Süddeutsche Zeitung

Berlin:Geliebtes Glühlicht

Berlin ist die Weltstadt der Gaslaternen, und wer glaubt, das sei unwichtig, kennt die Stadt und ihre Einwohner nicht. Die Geschichte eines Politikums.

Von Verena Mayer

In Berlin ging gerade das Licht aus. Diesmal allerdings nicht im übertragenen Sinn, also dass wieder etwas zum Erliegen kam (S-Bahn, Verwaltung) oder gar nicht erst in Betrieb genommen wurde (Flughafen). Sondern buchstäblich: Im Bezirk Spandau wurden vor Weihnachten 700 alte Gaslaternen abgedreht und durch moderne elektrische Leuchten ersetzt, viele tausend weitere sollen in der ganzen Stadt folgen. Abmontierte Gaslaternen würden in den meisten Metropolen und Großstädten der Welt nicht einmal für ein Achselzucken sorgen, anders in Berlin. Hier sind sie ein Politikum.

Seit Jahren schon wird erbittert um die 36 600 Gaslaternen gestritten, die noch Straßen, Parks und historische Bauten der Hauptstadt beleuchten. Berlin gilt als die Hauptstadt der Gaslaternen, hier befinden sich die Hälfte aller Gaslaternen weltweit. Und mit jeder Leuchte, die in einem Kiez ausgeht, steigt der Unmut.

Vereine und Denkmalschützer machen sich inzwischen dafür stark, das Berliner Gaslicht so zu erhalten, wie es ist. Geschäftsleute fürchten um ihren Umsatz, sollte ihre Einkaufsstraße elektrifiziert werden; es gibt regelmäßig Bustouren zu den schönsten Berliner Laternenmasten. Zuletzt hat sich sogar der New Yorker "World Monuments Fund" eingeschaltet. Der setzt sich normalerweise eher für Schlösser und Tempel ein, die vom Untergang bedroht sind, führt nun aber auch die Berliner Gaslaternen auf der Roten Liste der gefährdeten Kulturdenkmäler. Als einziges Objekt aus Deutschland übrigens. Weil Berlin eben die "Weltstadt der Gaslampen" sei.

Die Wartung der Gaslaternen kostet die Stadt jährlich mehr als eine Million Euro

Doch dieses Weltstadtniveau könnte Berlin bald verlieren. Der Berliner Senat verfolgt die Ablösung der Gaslaternen durch elektrisch betriebene Beleuchtung recht eifrig, ein großer Teil der Umrüstung soll bis Ende 2016 abgeschlossen sein. Die Argumente der Stadt sind durchaus einleuchtend. Die gasbetriebene Straßenbeleuchtung verbrauche viel Energie, sie sei daher teuer und nicht besonders umweltfreundlich. Auch müssten Gaslaternen häufiger kontrolliert werden und seien störungsanfälliger, die Ersatzteile würden aber nur in geringer Stückzahl hergestellt. Und: Um die vier, sechs oder neun Glühkörper, mit denen jede Gaslaterne bestückt ist, regelmäßig auszutauschen, gibt die zuständige Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt jedes Jahr mehr als eine Million Euro aus. Werden Gaslaternen jedoch durch moderne LED-Leuchten ersetzt, die von der Form und vom Licht den alten Modellen relativ ähnlich sind, gibt es zudem sogar Zuschüsse von der EU.

Hinzu kommt, dass die alten Laternen nicht besonders hell sind. Jedenfalls würde man in Gegenden, in denen die typische Berliner Gasreihenleuchte brennt, nicht auf die Idee kommen, dass hier einst Kurt Weill zu seinem berühmten Lied "Berlin im Licht" inspiriert wurde.

Andererseits: Was die Fans des Gaslichts vorzubringen haben, ist ebenfalls von großer Überzeugungskraft. So sei die Berliner Straßenbeleuchtung "ein funktionierendes System", sagt Bertold Kujath von Gaslicht-Kultur e.V., eine der vielen Initiativen, die das Berliner Gaslicht schon im Rang eines Weltkulturerbes sehen. Warum also mutwillig etwas einreißen, das in Berlin richtig gut läuft? Wenn es sich doch nur um alte Lampen handelt, nicht wahr? Von der Atmosphäre im Gaslicht mal ganz abgesehen; die alten Laternen verströmen ein warmes, dunkelgelbes Licht, und wenn sie angehen, kann man ein Zischen hören (vorausgesetzt, die Stadt rundherum ist leise genug). Die Berliner Gasbeleuchtung ist darüber hinaus noch ein Stück Industriegeschichte. In den Zwanzigerjahren wurde die Technologie aus Berlin in die ganze Welt exportiert, und in der Stadt selbst sorgte das Gaslicht dafür, dass es immer hell war, man also nachts arbeiten, ausgehen und über die Boulevards flanieren konnte. Man könnte also sagen: Ohne Gaslicht wäre Berlin ziemlich sicher vieles nicht, was es heute ist. Jung und schön zum Beispiel, wie der Titel eines berühmten Liedes der Band Element of Crime lautet. "Denn das Licht der Gaslaternen lässt uns schwindeln/ und warm sind die Nächte in Berlin./ Wir taumeln durch die Straßen, so als wären wir/ jung und schön."

Im Tiergarten befindet sich eine Art internationale Pilgerstätte der Licht-Fans

Wobei man schon sagen muss, dass einen das Licht der Gaslaternen eigentlich nur noch im Tiergarten schwindeln lässt. Ein schmaler Weg, mitten im weitläufigen Park, die Siegessäule ist nicht weit. Hier befindet sich das Gaslaternen-Freilichtmuseum, eine Art Pilgerstätte der internationalen Glühlicht-Szene, die gar nicht mal so klein ist. 90 verschiedene Laternenmodelle reihen sich zwischen den Bäumen aneinander, sie stammen aus London, Amsterdam, Zürich, Brüssel oder Budapest, sie sind ganz schlicht oder dreiarmig, und sie haben Namen wie "Wilmersdorfer Witwe", "Wiener Mast" oder "Bullenbein".

Romantisch ist das, wenn bei Einbruch der Dämmerung das Licht angeht. Aber weil hier eben auch Berlin ist, funktionieren einige Laternen nicht, sind beschmiert, oder Vögel brüten darauf. Immerhin gibt es Pläne, die alten Leuchten zu erhalten und aus dem Park in eine Sammlung des Technikmuseums zu holen. Es ist nur die Frage, ob das der Anfang oder das Ende einer Berliner Institution ist, die vielen als leuchtendes Beispiel gilt.

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Quelle:
SZ vom 05.01.2016
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