Süddeutsche Zeitung

Berlin:Alarm im Apple Store

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Eine Aktion des Künstlers Johannes Paul Raether am Kurfürstendamm geht gehörig schief.

Dass Kunst für einen ordnenden Geist nicht immer als solche zu erkennen ist, hat sich spätestens seit Joseph Beuys' unbetitelter Säuglingsbadewanne herumgesprochen, die 1973 zwei Sozialdemokratinnen des Ortsvereins Leverkusen-Alkenrath von den Heftpflastern, dem Fett und den Mullbinden des Künstlers befreiten, um darin Gläser zu spülen. Am Wochenende nun wurde eine Kunst-Aktion in einem Berliner Apple-Laden weggeputzt. Was als Installation unter Einbeziehung des wirklichen Lebens gedacht war, scheiterte an der das wirkliche Leben gerade dominierenden Sorge vor Anschlägen.

Es war Samstagnachmittag, als eine rund 30-köpfige Gruppe im Apple Store am Kurfürstendamm eine zähe silbrige Substanz verteilte, die an giftiges Quecksilber erinnerte. Das Ganze fand schnell ein Ende: Irgendjemand rief 110, Feuerwehr und Polizei räumten den Laden und sperrten ihn für Stunden ab. 27 Beteiligte wurden vorübergehend festgenommen, gegen sie wird wegen gemeinschaftlicher Sachbeschädigung ermittelt. Dabei war alles nur ein Teil der Berliner Festspiele gewesen.

Am Abend noch entschuldigten sich deren Organisatoren für die "dramatische Entwicklung" der Aktion. Die Festivalleiter seien von Abläufen ausgegangen, "die keinerlei Form von Rechtsverstößen darstellen oder in anderer Hinsicht zum öffentlichen Ärgernis führen würden", hieß es beschwichtigend. Intendant Thomas Oberender soll laut Berliner Morgenpost allerdings nicht gut auf die Polizei zu sprechen sein. Er habe von einer Überreaktion der Behörden und von Apple gesprochen.

Auch wenn Apple seiner harten Technik gerne ein stylisches, wenn nicht gar künstlerisch wertvolles Image verleiht: Der Verweis auf ihre Ambitionen rettete die Teilnehmer der Aktion nicht. Sie hätten den Beamten sofort gesagt, dass sie Teil eines Kunstprojekts seien, sagten die Festgesetzten. Auch hätten sie versichert, dass die Substanz, die offenbar über Tische und Geräte tropfte, harmlos sei. Doch die Beamten waren nicht überzeugt. Erst als Spezialisten die silbrige Flüssigkeit untersucht hatten, gaben sie am Abend Entwarnung.

Ausgedacht hatte sich die Sache der Künstler Johannes Paul Raether. Seine Mitstreiter sollten an den Computern im Laden vorgegebene Links aufrufen, deren Inhalte Teil einer Geschichte waren. Beim Betreten des Ladens gab er ihnen je einen kleinen Ring aus dem Metall Gallium, das sich in der Hand verflüssigt. Nicht zur Beruhigung beigetragen hat wohl auch Raethers martialisches Kostüm: Er trug einen hautengen blauen Anzug, lange Zöpfe, ein Ledergeschirr, eine Halskrause mit Metalltentakeln und viel Farbe im Gesicht. Seine Aktion war Teil des Festivals "Foreign Affairs" - auswärtige Angelegenheiten. So heißt das wohl, wenn Kunst auf echtes Leben trifft.

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SZ vom 11.07.2016 / SZ, dpa
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