Süddeutsche Zeitung

Bergsteigen:"Man kann sicher nicht von Leichtsinn und Selbstüberschätzung sprechen"

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In Österreich, Deutschland und Italien sind mehrere Menschen in den Tod gestürzt. Ein Gespräch mit dem DAV-Geschäftsbereichsleiter Bergsport über Sicherheit am Seil.

Interview von Titus Arnu

Bei einer Serie tödlicher Bergunfälle in Österreich, Italien und Deutschland sind am Wochenende mindestens acht Menschen ums Leben gekommen. Am 3263 Meter hohen Gabler in den Zillertaler Alpen geriet eine Seilschaft mit sechs Bergsteigern aus Bayern ins Rutschen und stürzte 200 Meter in die Tiefe. Fünf von ihnen starben, einer überlebte schwer verletzt. In Italien stürzte eine Seilschaft mit neun Bergsteigern ab. Bei dem Unglück auf einem Gletscher an der 3556 Meter Presanella im Trentino kamen mindestens zwei Menschen ums Leben. Beim Wandern am 1680 Meter hohen Besler bei Oberstdorf stürzte eine 80-jährige Frau in den Tod. Ein Gespräch mit Wolfgang Wabel, Geschäftsbereichsleiter Bergsport beim Deutschen Alpenverein (DAV), über Sicherheit am Seil und die häufigsten Todesursachen am Berg.

SZ: Gibt es schon genaue Erkenntnisse darüber, wie das Unglück am Gabler passiert ist?

Wolfgang Wabel: Der Unfall muss von der Polizei noch genau untersucht werden, aber wir gehen davon aus, dass die Bergsteiger im Begriff waren umzudrehen, in einer Höhe von etwa 3000 Metern, weil sie sich nicht in der Lage sahen, den Gipfel zu erreichen. Eigentlich eine vernünftige Entscheidung. Aber dabei ist wohl einer aus der Gruppe ausgerutscht und hat die anderen am Seil mitgerissen. Augenzeugen haben den Vorfall beobachtet und mitgekriegt, wie die Seilschaft 200 Meter weit abstürzte.

Weiß man, ob die Gruppe fachgerecht angeseilt und ausgerüstet war?

Die waren bestens ausgerüstet mit Steigeisen, Eispickel und Seil, und wir wissen auch, dass es sich um erfahrene Alpinisten handelte. Die Männer waren 34, 56, 65, 69, 70 und 75 Jahre alt, sie gehörten der Alpenvereins-Sektion Burgkirchen an und waren wohl gut vorbereitet auf die Hochtour. Die Voraussetzungen waren eigentlich gut, man kann sicher nicht von Leichtsinn und Selbstüberschätzung sprechen.

Was haben sie dann falsch gemacht?

Schwer zu sagen. Eigentlich ist es richtig, sich auf einem Gletscher anzuseilen. Man geht angeseilt in großen Abständen, und wenn einer in eine Gletscherspalte fällt, kann man ihn bergen. Wichtig ist, auf die Seilführung zu achten, das Seil muss möglichst straff gespannt sein, damit die anderen den Stürzenden besser halten können. Aber wenn eine Seilschaft mit sechs Personen auf blankem Eis erst mal ins Rutschen gerät, wird es sehr schwierig, den Sturz aufzuhalten. Bei einer Neigung von geschätzt 40 Prozent wie an der Stelle, an der das Unglück passiert ist, nimmt man auf blankem Eis sehr schnell Fahrt auf, da kann man versuchen, noch mit dem Eispickel zu bremsen, aber große Chancen hat man nicht.

Auch beim Unfall einer Seilschaft im Trentino kam es zum Absturz einer größeren Seilschaft auf einem Gletscher. Wäre es in manchen Situationen nicht besser, ohne Seil zu gehen?

Eine heikle Frage. Tatsächlich sind die meisten Gletscher am Ende des Sommers blank. Dadurch ist einerseits die Rutschgefahr größer, andererseits sieht man auch die Spalten gut und kann sie umgehen. Deshalb wäre es in manchen Situationen sinnvoll, nicht am Seil über einen Gletscher zu gehen, dann besteht auch keine Mitreißgefahr. Ohne Seile ist es dann allerdings schwieriger, bei einem Spaltensturz zu helfen. Ähnlich schwer ist die Entscheidung, wann es sinnvoll ist, dass ein Bergführer mit seinem Gast am kurzen Seil über einen Grat über oder durch mittelschweres Blockgelände klettert - da besteht immer die Gefahr, bei einem Sturz mitgerissen zu werden.

Wie häufig sind solche Mitreiß-Unfälle?

Stürze sind die Hauptursache für Bergunfälle mit Verletzungen und Todesfolge, sie machen 63 Prozent aus. Dazu zählt auch, wenn jemand beim Wandern stolpert und sich den Knöchel verstaucht. Aber Unfälle mit Seilschaften werden immer seltener, auch Sicherungsfehler liegen nur bei zwei Prozent. Zehn Prozent der Unfälle sind auf körperliche Probleme von Bergsteigern zurückzuführen, die größte Ursache sind hier Herz- und Kreislaufprobleme. Dazu kommen noch die Fälle, in denen die Bergretter ausrücken müssen, weil jemand Panik bekommt und nicht mehr weiter kann - an Klettersteigen sind die Rettungsaktionen wegen solcher "Blockierungen" stark angestiegen.

Bei den Unfallmeldungen vom Wochenende fällt das hohe Alter einiger der Opfer auf. Sehen Sie da einen Zusammenhang?

Nein, nicht unbedingt. Es ist tatsächlich zu beobachten, dass immer mehr ältere Wanderer und Bergsteiger unterwegs sind. Aber die meisten sind ziemlich fit und haben eine Menge Erfahrung. Ein höheres Risikopotential bringen eigentlich die jüngeren Bergsportler mit, die sich selbst überschätzen und manchmal leichtsinnige Entscheidungen treffen. Auch wenn es nach den tragischen Ereignissen vom vergangenen Wochenende anders scheint, kann man feststellen: Das Risiko, beim Bergsport tödlich zu verunglücken, sinkt seit mehr als 60 Jahren und befindet sich auf einem historischen Tiefstand.

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