Bergsport:"Die Situation kann schnell kritisch werden"

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Wolfgang Mayr arbeitet hauptberuflich beim Deutschen Alpenverein. Der staatlich geprüfte Berg- und Skiführer hat auch eine Zusatzausbildung im Canyoning. Viele Wanderer unterschätzen die Gefahren in Schluchten, sagt er. (Foto: privat)
  • Elf Wanderer starben in der engen Raganello-Schlucht, nachdem das Wasser eines Baches nach einem Unwetter stark angeschwollen war.
  • Die Gefahren beim Schluchtenwandern und beim Canyoning werden generell oft unterschätzt, sagt Wolfgang Mayr.
  • Mayr ist staatlich geprüfter Bergführer und Canyoning-Experte.

Interview von Titus Arnu

Nach dem Unglück in der Raganello-Schlucht in Kalabrien suchen Behörden und Politiker nach einer Erklärung. Elf Wanderer waren in der engen Schlucht gestorben, nachdem das Wasser des fast ausgetrockneten Baches nach einem Unwetter stark angeschwollen war. Die Raganello-Schlucht ist in drei Canyon-Abschnitte unterteilt, je nach Schwierigkeitsgrad können Touren dort zwei bis acht Stunden dauern. Die Gefahren beim Schluchtenwandern und beim Canyoning werden generell oft unterschätzt, sagt Wolfgang Mayr. Der staatlich geprüfte Bergführer und Canyoning-Experte, der in der Jugendbildungsstätte des DAV in Bad Hindelang arbeitet, erklärt, worauf man achten muss.

SZ: Die Tour durch die Raganello-Schlucht gilt als technisch nicht besonders anspruchsvoll. Dennoch kam es dort zu dem Unglück . Wie kann das passieren?

Wolfgang Mayr: In Kalabrien hat man es mit besonderen Bedingungen zu tun. Es regnet dort im Sommer sehr selten, aber wenn doch, kann es sehr viel auf einmal sein. Dazu kommen die geologischen Gegebenheiten. Es ist ein Karstgebiet mit Höhlen und unterirdischen Wasserläufen. Auch wenn es direkt über der Schlucht gar nicht regnet, sondern ein paar Kilometer entfernt, kann das Wasser unterirdisch abfließen, in der Schlucht wieder zu Tage treten und sehr schnell anschwellen.

Für wie gefährlich halten Sie die Raganello-Schlucht?

Man könnte das Wandern in Schluchten in drei Stufen unterteilen. Erste Stufe: Wandern in Bachbetten, aus denen man im Notfall seitlich immer wieder hinauskommt - beispielsweise ein Spaziergang am Kiesufer der Isar. Zweite Stufe: Man geht durch eine Schlucht, mal im Bachbett, mal daneben, und hat immer wieder Ausweichmöglichkeiten. Hier ist die Gefahr am wenigsten offensichtlich. Dritte Stufe: Canyoning. Man folgt dem Wasserlauf durch eine tief eingeschnittene Schlucht. Dabei springt man in Gumpen, schwimmt, seilt sich ab und kann in der Regel auch nicht seitlich flüchten oder zurückgehen. So etwas würde ich nur als Tour mit Führer empfehlen.

Und braucht man für die Raganello-Schlucht einen Guide?

Man kann solche Wanderungen im Prinzip ohne Führer machen. Allerdings ist es sehr schwierig für Laien, das Wetter und die Folgen für eine Schlucht einzuschätzen. Die Situation kann schnell kritisch werden.

Was kann man tun, um nicht in eine so ausweglose Situation zu geraten?

Man sollte grundsätzlich eine gründliche Tourenplanung machen, wie man das für eine anspruchsvolle Bergtour auch tun würde. Wenn man sich weglos einen Tag lang durch die Wildnis bewegt, braucht man eine Karte, eventuell auch ein so genanntes Topo, das Detailinfos gibt und die technischen Schwierigkeiten aufzeigt. Das gibt es nicht für alle Schluchten. Dann sollte man eine Checkliste abarbeiten: Ist das Wasser trinkbar oder muss ich welches mitnehmen? Braucht man einen Neoprenanzug? Wie lange ist die Strecke? Gibt es Steinschlaggefahr, braucht man einen Helm und wie lang muss das Seil sein? Und man muss sich ausführlich über das Wetter und die Geomorphologie informieren.

Wieso über die Geomorphologie?

Man muss wissen, wie sich Niederschläge in dem jeweiligen Gebiet auswirken. Im Granit zum Beispiel kommt das meiste Regenwasser komplett an im Flussbett, weil es nicht versickert. In Kalkgebieten kann es sein, dass das Wasser komplett verschwindet und gar nichts passiert. Es kann aber auch sein, dass es, wie im Fall der Raganello-Schlucht, anderswo regnet und das Wasser unterirdisch in der Schlucht austritt. Es geht aber noch weiter: Man muss auch wissen, ob es in der Umgebung Wasserkraftwerke gibt, die oberhalb größere Mengen Wasser ausleiten und diesen Vorgang aber auch plötzlich stoppen.

Warum?

Die meisten Wasserkraftwerke in den Bergen verfügen über so genannte Geröllabsetzbecken, in denen sich Steine und Sand sammeln. Es kann sein, dass das Wasser aus solchen Becken abgelassen wird, um zu spülen, meist geschieht das automatisch. Und dann rauscht plötzlich ein Schwall Wasser durch die Schlucht. In der Nala im Tessin kamen so vor einigen Jahren zwei Canyoning-Sportler ums Leben. Schilder, die vor solchen Flutwellen warnen, sollten deshalb ernst genommen werden. Am besten kontaktiert man zuvor den Kraftwerksbetreiber.

Was muss man noch beachten?

Die Topografie und die Vegetation. Je enger der Querschnitt der Schlucht ist, desto größer ist die Gefahr bei Flutwellen, weil es wenige Ausweichmöglichkeiten gibt. Man sollte auch abklären, ob es Handyempfang gibt. Wobei eine Luftrettung in der Schlucht oft schwierig bis unmöglich ist.

Das klingt alles so, als sollte man Schluchten besser meiden.

Nein. Man sollte sich halt vorher informieren. Und bei engeren, anspruchsvollen Schluchten ist es ratsam, einen Bergführer zu buchen, am besten einen mit der Zusatzqualifikation für Canyoning. Die Spezialausrüstung ist meist im Preis inbegriffen.

Wo gibt es in den bayerischen Alpen gute Orte für Canyoning ?

In Bayern ist Canyoning offiziell nicht erlaubt. Die Naturschutzbehörden können theoretisch bestimmte Schluchten dieser Sportart widmen, das passiert aber fast nie. Wenn man in der Badehose durch einen Bach schwimmt, ist es legal, aber wenn man in einem Neoprenanzug durch eine Schlucht kraxelt und sich dabei abseilt, ist es illegal.

Was ist für Sie trotz all der Gefahren und Verbote der Reiz am Canyoning?

Im Sommer kommt man aus der Hitze in eine kühle, spannende Umgebung. Ich bewege mich mit der Natur, nicht gegen sie. Gegen eine starke Strömung komme ich nicht an. Ich begebe mich mit einer Gruppe bewusst in eine unausweichliche Situation. Das ist etwas, was man sonst selten erlebt und was besonders bei Jugendlichen zum nachhaltigen Erlebnis wird.

© SZ vom 24.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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