Süddeutsche Zeitung

Bergoglios Brandrede:Das Gegenteil von Benedikts Programm

Die Veröffentlichung der Bewerbungsrede von Jorge Mario Bergoglio ist eine Weltsensation. Und es ist eine Kampfansage von Papst Franziskus auf das Bild der Kirche seines deutschen Vorgängers.

Ein Kommentar von Matthias Drobinski

Palabra Nueva ("Neues Wort"), die Bistumszeitung aus Havanna, hat eine wechselvolle Geschichte - die kommunistischen Machthaber verboten sie wegen ihrer kritischen Berichterstattung, vor dem Besuch von Papst Benedikt auf Kuba ließ Fidel Castro sie 2012 wieder zu.

Und nun findet sich in dem Blatt eine Weltsensation. Kardinal Jaime Lucas Ortega veröffentlicht dort die kurze Rede, die Jorge Mario Bergoglio, der künftige Papst Franziskus, kurz vor Beginn des Konklaves den Kardinälen hielt. Es ist eine vom Papst persönlich autorisierte Publikation, anderenfalls wäre der Kardinal aus Kuba automatisch exkommuniziert gewesen.

Was dort steht, ist nichts weniger als das Programm des neuen Papstes; die Fünf-Minuten-Ansprache auf dem Arbeitstreffen der Kardinäle hat damit den gleichen Rang wie 2005 die Predigt des damaligen Kardinals Joseph Ratzinger in der feierlichen Messe vor dem Konklave.

Bergoglios Rede ist das Gegenteil von Benedikts Programm

In den offiziellen Stellungnahmen aus Rom wird in den kommenden Tagen einiges unternommen werden, um Bergoglios Rede im Lichte der Kontinuität zu Joseph Ratzinger zu lesen: Es sind doch beide gegen den Relativismus und für die Wahrheit des Evangeliums. Und die Warnung vor der "mondänen", also rein weltzugewandten Kirche, unterscheidet sich doch kaum von Papst Benedikts Wunsch nach Entweltlichung. Ja - und trotzdem ist Bergoglios Rede das Gegenteil von Benedikts Programm.

Joseph Ratzinger beschrieb 2005 die Kirche als Schifflein, bedrängt von den hohen Wellen der "Diktatur des Relativismus". Was kann eine Segelmannschaft tun im Sturm? Segel reffen, die Luken schließen, die Bordwände erhöhen, sich abschließen gegen die Gefahr von draußen. Joseph Ratzinger predigte 2005 die Hermetik, die Sicherung des Eigenen, die Bewahrung des anvertrauten Schatzes an sicherem Ort. Das ist das - wenn man die Sache zuspitzt -, was sein Nachfolger als selbstbezogen und "theologischen Narzissmus" geißelt, als "egozentrische Kirche", die Jesus "für sich drinnen beansprucht".

Das Bild von einer Kirche, die an die Ränder der Welt und der menschlichen Existenz geht, verträgt sich nicht mit dem Bild vom Schiff im feindlichen Sturm. Eine Kirche, die an die Grenzen geht, riskiert etwas. Sie riskiert, eigene Sicherheiten zu verlieren. Und dass der Schatz der katholischen Tradition angesichts der Schreie der Gegenwart als schön, aber zweitrangig erscheint.

An die Peripherie gehen - der Begriff entstammt der lateinamerikanischen Befreiungstheologie, deren Anhänger in den Siebzigerjahren die Pfarrhäuser verließen, um mit den Armen zu wohnen. Für viele in der Kurie - längst nicht für alle - ist das eine Kampfansage: Befreiungstheologe zu sein und damit natürlich auch Marxist, ist ihnen ein Schimpfwort. Es ist eine Kampfansage wie der demonstrative Verzicht auf die vielen Insignien, Zeichen und Äußerlichkeiten der päpstlichen Existenz, der Verzicht auf Formen, die sich längst von ihrem Inhalt gelöst haben, die selbstreferenziell und narzisstisch geworden sind.

Die Kardinäle haben diese Kampfansage gewählt - in Kenntnis der Brandrede des Kardinals aus Buenos Aires, Argentinien. Sie hatten mit Zweidrittelmehrheit die Schnauze voll vom höfischen Gebaren der Kurie, von der Heiligung der Form statt des existenziellen Inhalts, von einer skandalös mit sich selbst beschäftigten Kirchenführung, mit einem zwar absolut integren und gelehrten, aber zunehmend überforderten Papst an der Spitze.

Sie haben den Wechsel gewählt, den sie 2005 noch nicht wollten. Es werden diese Kardinäle nun auch ihren Papst Franziskus unterstützen müssen, gegen die Mentalität des Beharrens, der geschlossenen Luken. Denn sie sind stark, diese Kräfte in der katholischen Kirche.

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SZ vom 28.03.2013/vs
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