Steigende Benzinpreise:Danke, Tanke!

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Paradies für Pendler: Tankstelle im Ort Všeruby an der bayerisch-tschechischen Grenze. (Foto: Marcel Laskus)

In Berlin will man die Bürger jetzt entlasten. Kurz hinter der tschechisch-bayerischen Grenze bekommt der deutsche Autofahrer den Tankrabatt schon lange. Ob ihn das besänftigt? Ein Besuch.

Von Marcel Laskus, Všeruby

Die Schiebetür zur Tankstelle öffnet sich, ein Mann in Arbeitsschuhen und einer Hose der deutschen Anpacker-Marke Engelbert Strauss tritt über die Schwelle. "Dobrý den", sagt er, "guten Tag" auf Tschechisch. Sein Name ist Tobias Irlbeck, und nun nicken ihm die drei Mitarbeiter im Inneren der Tankstelle zu. Leute wie ihn sind sie hier gewohnt. Ohne Leute wie ihn, einen Handwerker aus Deutschland, würde es diese Tankstelle kurz hinter der bayerisch-tschechischen Grenze womöglich nicht geben.

Dann geht Tobias Irlbeck die zehn, zwölf Schritte vor zur Kasse, vorbei an allerlei Sorten Energydrinks, vorbei an tschechischen Bierbüchsen und an den Kanistern mit Scheibenwischerflüssigkeit, das Radio dudelt leise. Er legt die Hand auf den Tresen und sagt auf Deutsch: "die Vier." Die Kassiererin nickt, Säule vier also. Sie schiebt ihm das EC-Kartengerät rüber. Karte rein. Pin eingeben. Karte raus. "Danke", sagt die Frau. Als er den zu zahlenden Betrag sieht, nickt Irlbeck ebenfalls. Ja, so hat er sich das vorgestellt. 1,75 pro Liter statt die 2,15 auf deutscher Seite. Deshalb ist er hier.

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Sollte es den Schutzpatron der Reisenden und Autofahrer, den heiligen Christophorus, tatsächlich geben, dann hat es dieser Schutzpatron mit den Menschen in der östlichen Oberpfalz ziemlich gut gemeint. Irgendwann muss er ins benachbarte Tschechien Tankstellen herabgesandt haben. Und deren Preise sind so günstig, dass die Menschen in Scharen kommen, um ihren VW Golf, ihre S-Klasse oder, wie Tobias Irlbeck, den Kombi hier aufzufüllen.

Autofahrer, sind das nicht fossile Fossilien?

Einer dieser Orte heißt Všeruby, vier Kilometer hinter der Grenze. Und die Oberpfälzer sind dankbar dafür, dass unter anderem die niedrigen Steuern in Tschechien so niedrige Preise ermöglichen. Schon an der Grenze werden sie von einem Werbeschild in deutscher Sprache begrüßt: "Wir sind jeden Tag geöffnet." Und so kommen und tanken sie, gerade jetzt. Der sogenannte Tanktourismus nimmt zu, heißt es auch vom deutschen Zentralverband des Tankstellengewerbes.

Spricht man Tobias Irlbeck auf sein Heimatland an, verdunkelt sich seine Laune sogleich. "Na ja", sagt er. "Es ist brutal." Mit der Brutalität meint er die Preise auf der anderen Seite, in Deutschland. Wo sich die Menschen seit Wochen darüber ärgern und zoffen. Im politischen Berlin und an der nun mal wieder recht politischen Zapfsäule. Autofahrer werden da, je nach Sichtweise, zum Rückgrat des Landes überhöht oder schadenfroh degradiert. Zu fossilen Fossilien, denen das jetzt nur recht geschieht. Und die Fossilien wehren sich: Lkw-Fahrer fahren nun hupend durch deutsche Städte, um gegen die steigenden Preise zu protestieren. Die Diebstähle von Diesel nehmen zu.

"Es ist brutal": Tobias Irlbeck fährt regelmäßig nach Tschechien, um günstiger zu tanken. (Foto: Marcel Laskus)

Die Politik will die rund 20 Millionen Pendler unterstützen. Von Energiegeld ist die Rede, von einem Tankrabatt, von Mobilitätsprämien. In einer Nachtsitzung hat die Koalition gerade ein Entlastungspaket beschlossen. Die Details sollen am Donnerstag bekannt werden. Wer nicht mehr so lange warten will, fährt über die Grenze.

An der Tankstelle in Všeruby füllt Tobias Irlbeck seinen silbernen Kombi auf. Das Auto verbraucht rund zehn Liter auf 100 Kilometer, erzählt er, was schon lange nicht mehr zeitgemäß ist, das weiß er ja selbst. Aber: "Mir fehlt einfach das Geld für einen neuen Wagen", sagt er, der als Innenausbauer in ganz Deutschland unterwegs ist. Ein neues, effizienteres Auto könne er sich aktuell nicht leisten. Und so müsse er wenigstens da sparen, wo er sparen kann: am Sprit. Etwa 40 Liter Super hat er jetzt getankt, und damit rund 15 Euro gespart. "Sonst wäre es echt übel." Tobias Irlbeck steigt wieder ins Auto und fährt die zehn Kilometer zurück nach Hause.

In Všeruby trifft man auf Menschen, die das Schicksal oder die Lust am Land zwar weit weg von jeder Großstadt gebracht hat, die aber dafür sehr froh darüber sind, zumindest nahe dieser Grenze zu leben. Manche kommen seit Jahren. Einer sagt, dass er zur Arbeit bei BMW nach München fährt, und zwar täglich. Rund 240 Kilometer sind das pro Richtung. Ein Spritpreis, der in so kurzer Zeit so schnell nach oben geht, kann so ein ohnehin schon waghalsiges Pendler-Konzept zum Kollabieren bringen. Trotz kürzlich angehobener Pendlerpauschale. Die Tankstelle Všeruby hilft da wenigstens ein bisschen.

Andere sind wegen der gestiegenen Preise zum ersten Mal hier. Und gerade die wirken so glückselig, als hätten sie in einer gerade gewaschenen Hose einen längst verloren geglaubten 50-Euro-Schein gefunden.

Barbora Rácová hilft ihrem Vater Jiří Ticháček gelegentlich bei seiner Arbeit in der Tankstelle aus. Und gerade ist besonders viel zu tun. (Foto: Marcel Laskus)

Dieser Sanftmut kommt dann ganz ungefiltert auch bei zwei Tschechen an. Jiří Ticháček, 57, der seit 25 Jahren in der Tankstelle arbeitet und sie seit vier Jahren leitet. Und bei Barbora Rácová, 32, seiner Tochter, die ihren Vater ab und an unterstützt und perfekt dolmetschen kann. Die Mehrheit seiner Kunden seien Deutsche, sagt Ticháček, zwei Drittel ungefähr. "Sie sind gute Kunden", sagt er. Manchmal kaufen sie noch Zigaretten, die es hier ja ebenfalls günstiger gibt. Und am Wochenende investieren sie die gesparten 20 Euro dann in einem tschechischen Gasthaus in böhmische Knödel. Jiří Ticháček selbst ist übrigens ebenfalls Konsumpendler. Die Margarine von Rama kaufe er in Deutschland. "Einfach die beste."

Nun aber werde es immer wilder. Die Zahl der Deutschen sei in den letzten Tagen nochmals gestiegen, um rund 50 Prozent, sagt er. Um den Beweis dafür zu erbringen, braucht es nicht viel Geduld. Alle paar Minuten steckt ein Autofahrer mit deutschem Kennzeichen den Tankschlauch in sein Auto. So geschieht es hier am Morgen, am Mittag und am Abend.

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Für die Tankstelle ist es eine gute Zeit, weil die Pendler nun noch häufiger kommen. Und sie kommen nicht nur vom benachbarten Landkreis Cham, sondern auch aus Regensburg und Landshut, manche gar aus Nürnberg. "Die nehmen Sprit mit ohne Ende", sagt Jiří Ticháček. Einige belassen es nicht dabei, nur ihr Auto vollzutanken. Sie haben zusätzlich Kanister im Kofferraum dabei. Erlaubt ist, 20 Liter auf diese Art mitzunehmen. Manchen reicht nicht mal das.

Klopapier, Speiseöl, als Nächstes der Sprit

Kurt Schon, 68, steht nun an der Kasse der Tankstelle, seinen Wagen hat er hier vollgetankt, was nur selbstverständlich ist, immerhin wohnt er, der Deutsche, mit seiner tschechischen Ehefrau auch seit einigen Jahren auf der tschechischen Seite der Grenze. Seine Landsleute findet er manchmal recht dreist. Erst vor einer Woche sei er auch hier gewesen, da habe er beobachtet, wie ein Deutscher gleich vier Kanister mit Benzin gefüllt hat. "Das ist eine Unverschämtheit!", habe er da gerufen. Kurt Schon sorgt sich dabei nicht unbedingt um Zollverstöße. Er sorgt sich um die nächste Phase des Hamsterns, bei der nach seinem Empfinden nach Speiseöl und Klopapier nun auch bald der Sprit knapp und teurer werden könnte. Für deutsche Tankstellen, gerade in Nähe zur Grenze, schätzt der Zentralverband des Tankstellengewerbes die Situation derzeit als "bedrückend" ein. Auch weil laut dem Verband Tschechien und Polen ihr Benzin für den eigenen Bedarf zurückhalten und nicht an Deutschland weiterverkaufen. Der Mann jedenfalls habe sich von Kurt Schon nicht abbringen lassen. Mit seinen vier vollen Kanistern fuhr er einfach davon.

Die erwartbare Reaktion, auf die gestiegene Preise mit Fasten zu reagieren, bleibt indes offenbar aus. Die Deutschen fahren nicht weniger und nicht langsamer, worauf Daten des Navigationsgeräte-Herstellers Tomtom hindeuten, die der SZ vorliegen: Das Verhalten der deutschen Autofahrer hat sich demnach kaum geändert. Für die Woche vom 14. bis 18. März lassen die Daten den Schluss zu, dass auf deutschen Autobahnen sogar mehr Fahrzeuge unterwegs waren als in der Woche zuvor. Ihr Durchschnittstempo war zwar niedriger, allerdings nur in einem so geringen Maß, dass sich das eben auch mit dem dichteren Verkehr erklären lassen könnte.

Hier gibt es acht Sorten Energydrinks, tschechisches Bier und Scheibenwischerflüssigkeit. Aber die Deutschen interessieren sich nur für Benzin. (Foto: Marcel Laskus)

Am Nachmittag dann wird es noch voller in Všeruby, die Arbeiter aus der Frühschicht kommen nun zurück und geben ihr Geld für Benzin aus. Manche können nicht fassen, dass nur vier Kilometer entfernt von ihnen so etwas wie eine Parallelwelt existiert. "In Deutschland ist es viel teurer", sagt eine Frau, die 60 Liter getankt hat. Die Mitarbeiterin hinter der Kasse lächelt, sie weiß das natürlich, sonst hätte sie diesen Job vielleicht gar nicht. Dann schiebt sie das EC-Kartengerät rüber.

Die gestiegenen Benzinpreise sind, wie so vieles dieser Tage, eine direkte Folge des Krieges, und doch bleiben sie gegen andere Folgen des Krieges natürlich eine mickrige Banalität. So sehen es übrigens auch die Menschen, die hier tanken. Zum Beispiel Ingrid Vasova. Sie ist Tschechin, als Ärztin arbeitet sie in Nürnberg, auch sie pendelt 500 Kilometer pro Woche zu ihrem Arbeitsplatz und zurück. "Aber wenn man an die Ukrainer denkt, dann ist das hier nichts." Den Streit um den Benzinpreis kann sie nicht verstehen. "Ob das jetzt wichtig ist?", fragt sie. Dann steigt sie in ihren Wagen ein und fährt los.

Die Deutschen gelten als fanatisch, wenn es um ihre Autos und ihre Benzinpreise geht. Dabei will Tankstellen-Chef Jiří Ticháček eines klarstellen: Jene Tschechen nämlich, die nahe der Grenze zu Polen wohnen, würden genauso eifrig ins Nachbarland fahren, um dort günstiger zu tanken als daheim. Gerade jetzt, da sie in Polen kürzlich die Mehrwertsteuer auf Benzin gesenkt haben.

Und die Tschechen, die hier in Všeruby tanken müssen, weil kein günstiger Nachbar in der Nähe ist? "Die schimpfen", sagt Ticháček, und sie schimpfen auch mit ihm. Die meisten Deutschen seien da die angenehmeren Kunden.

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