Benedetto Superstar trifft die Jugend:Selig sind die Schlaflosen

Ein fremdelnder Papst begeistert die Menge, doch macht sie auch ratlos - und in der Synagoge wird die heikelste Stunde zum historischen Moment.

Monika Maier-Albang und Matthias Drobinski

Köln, 19. August - Es ist die heikelste Stunde dieser Reise. Am Freitag um Punkt zwölf Uhr, zur Mitte des Weltjugendtages, fährt Benedikt XVI., der deutsche Papst, zur streng bewachten Synagoge an der Kölner Roonstraße. Natanael Teitelbaum, der Rabbiner, nimmt ihn in Empfang, ein schwarz gekleideter, mächtiger Mann mit Bart und breiten Schultern. Neben ihm wirkt der weißgewandete Benedikt zerbrechlich. Es geht in den Raum, in dem die Gemeinde der mindestens 11.000 von den Nazis ermordeten Kölner Juden gedenkt. Schma Israel!, stimmt Teitelbaum an, höre Israel - das jüdische Totengebet Kaddisch. Benedikt steht neben ihm, die Augen gesenkt, ein bisschen unsicher geht er in den großen Synagogenraum, nimmt auf dem Stuhl Platz, der genauso hoch ist wie der, auf dem der Rabbiner sitzt. Zu Ehren des Gastes wird das Schofar-Horn geblasen, was sonst nur an den höchsten Feiertagen geschieht.

Benedikt bei seiner Ansprache in der Kölner Synagoge

Benedikt bei seiner Ansprache in der Kölner Synagoge

(Foto: Foto: ddp)

Der Rabbiner hält eine bewegende Rede. Er zitiert den Psalm 23 ("Der Herr ist mein Hirte) als Schriftstelle, in der verfolgte Juden wie Christen über die Jahrtausende hinweg Trost gefunden haben, würdigt den Besuch des Papstes als aktives Zeichen gegen den früheren christlichen Antisemitismus. "Lassen Sie mich vom Allgemeinen zur Einzelperson kommen", fährt er etwas ungelenk fort und zeigt auf Feda Lehrer, die Mutter des Gemeindevorstands-Mitglieds Abraham Lehrer: "Auf ihrem Unterarm kann man die Nummer lesen, die ihr im KZ eintätowiert wurde. 1944 in Auschwitz hatte sie weder die Kraft noch die Vorstellung, dass eines Tages in 2005 ihr Sohn den Papst offiziell in der Synagoge zu Köln begrüßen würde."

Ein befreites Lächeln

Das Judentum, sagt er dann, stehe auf fünf Säulen: Glauben an den Einen Gott, Erinnerung, gute Taten, das Gebet und der Klang der Schofar, der für den Frieden Gottes steht. "Zusammen fünf Finger einer Hand, und diese Hand gebe ich Ihnen als ein Symbol des Friedens des jüdischen Volkes für alle Völker auf dieser Welt." Spricht's, geht zum Papst, streckt ihm die mächtige Hand hin. Der hat für einen Moment die Brille abgenommen, und als er seine schmale Hand in die des Rabbiners legt, lächelt er befreit.

Papst Benedikt in der Synagoge, das ist der politische Höhepunkt seiner ersten Auslandsreise. Vier Monate nach seiner Wahl ist er in Deutschland, seiner Heimat, und stellt sich ihrer schwierigen Geschichte. Sein diplomatisches Programm, zu dem auch Händeschütteln mit dem Bundespräsidenten Horst Köhler und Treffen mit den evangelischen und orthodoxen Kirchenvertretern gehört, hat er eingebettet in seinen Besuch auf dem Weltjugendtag.

Hier hat er sich dem Erbe seines charismatischen Vorgängers Johannes Paul II. zu stellen, der diese Treffen erfunden hatte. Er habe das so nicht geplant, hat er schon bei der Ankunft am Donnerstag am Flughafen gesagt. Die "Vorsehung" habe ihn in hierher geführt, auf das katholische Mega-Event. Doch schnell ist schon an diesem ersten Tag zu merken, dass der Papst fremdelt. Das Fernsehen wird sich später überschlagen, von einem lockeren, gelösten Papst sprechen und ganz viele Jubelbilder zeigen: den Papst, der mit der Rheinenergie aufs Wasser gefahren ist wie einst Jesus im Fischerboot, damit ihn alle hören können, die da auf seine Worte warten.

Und die Jugendlichen, die an den Poller Rheinwiesen bis zu den Knien im Wasser stehen, um sich abzukühlen an diesem heißen Tag und um ihrem Benedikt näher zu sein. Auf dem Schiff aber steht ein erkennbar aufgeregter Stellvertreter Christi, er hält das Manuskript fest, an dem der Wind zerrt, blinzelt durch eine selbsttönende Brille in die helle Sonne, liest Zeile für Zeile ab, macht falsche Pausen. Da stehen 100.000 und mehr Jugendliche auf einer riesigen Wiese, sie schwenken Fahnen, skandieren Be-ne-detto, und es ist mindestens so laut wie auf einem Popkonzert - das ist erkennbar immer noch neu für den Mann der Bücher und des gepflegten Diskurses.

Der Text seiner Predigt ist von gut gemeinter Wärme, aber doch ziemlich abstrakt; er, Benedikt, wolle nun niederknien "vor der weißen konsekrierten Hostie, in der die Augen des Glaubens die reale Gegenwart des Erlösers der Welt erkennen" - der Ausflug in die Transsubstantiationslehre mit anschließender Erklärung des katholischen Reliquienverständnisses lässt viele Jugendliche, die ihm gerade noch zugejubelt haben, ratlos zurück.

Erst später auf dem Roncalliplatz vor dem Dom ist Joseph Ratzinger richtig angekommen auf dem Weltjugendtag. Er kommt durch die jubelnde Menge, die seit Stunden auf ihn wartet. Kniet als Pilger wie die Jugendlichen vor dem goldenen Schrein der Heiligen Drei Könige, setzt sich auf den Stuhl mit der überlangen Lehne. Junge Frauen und Männer knien vor ihm nieder. Benedikt ergreift ihre Hände, sie sollen ihm nicht den Ring küssen, er wärmt sie, segnet sie. Wieder sagt seine Ansprache den Jugendlichen eher wenig, an den Tod von Frère Roger, den Gründer von Taizé, um den einen Tag zuvor so viele seiner Zuhörer getrauert haben, erinnert der Papst nicht. Es ist Kardinal Joachim Meisner, der mit einem auf Latein gesprochenen Vaterunser des Ermordeten gedenkt.

Der Kardinal zieht um

Und trotzdem bleibt diesmal die Jubelstimmung, die der Papst am nächsten Tag eine "Explosion der Freude" nennen wird.

Das Papamobil mit dem segnenden Papst und einem euphorisierten Kardinal Meisner, der in der schusssicheren Kabine zu seinen Füßen sitzt, bahnt sich seinen Weg durch die begeisterte Menge zum erzbischöflichen Haus, wo Meisner ins Prälatenzimmer umgezogen ist und extra eine Espressomaschine für den hohen Gast hat besorgen lassen.

Am Tag dürfen zwölf Jugendliche mit Papst Benedikt zu Mittag essen. Alle sind Langzeithelfer, die ein Jahr an der Vorbereitung des Weltjugendtages mitgearbeitet haben. "Ganz normale Jugendliche", versichert der Osnabrücker Jugendbischof Franz-Josef Bode, die nicht eigens auf ihre Glaubenstreue hin überprüft wurden.

Selig sind die Schlaflosen

Der Papst sei ein zuhörender, aufmerksamer Mensch, berichten sie später. Er habe die mitgebrachten Geschenke ganz genau angesehen und sie gesegnet. Und, um sich besser unterhalten zu können, habe Benedikt auf die für ihn vorgesehene Forelle verzichtet - stattdessen nahm er wie seine Gäste ein vegetarisches Omelette.

Papst Benedikt XVI. verabschiedet sich in der Kölner Synagoge von Kantor Chaim Adler

Papst Benedikt XVI. verabschiedet sich in der Kölner Synagoge von Kantor Chaim Adler

(Foto: Foto: ddp)

Den menschelnden Papst, den mag die Menge. Die Bravo hat nun einen Papst-Starschnitt im Heft, die Bild-Zeitung erklärt ihre "Wir sind Papst"-Buttons zum Renner, und das, obwohl kaum jemand sie trägt und der Satz eigentlich gar nicht katholisch ist, sondern Martin Luthers These vom allgemeinen Papsttum der Gläubigen anhängt. Gegenüber vor dem Hauptportal des Kölner Doms verhängt das Bild des Papstes ein halbes Haus - Benedetto Superstar.

Wer deutsche Katholiken- und Kirchentage kennt, die schlimmstenfalls betroffenheitssäuselnd daherkommen, wundert sich über die Stimmung auf der Domplatte. Da gibt es ein Sprechchor-Duell zwischen den Italiener und den Polen, die sich täglich vor dem Bild Johannes Pauls treffen, und auch die Deutschen skandieren kräftig mit. Fahnen wehen, Trillerpfeifen schrillen mehr oder weniger rhythmisch, Trommeln wummern, die Jugendlichen ziehen Hände haltend in langen Schlangen über den Domplatz und je später der Abend wird, desto wilder ist der katholische Rempeltanz. Es ist ein fröhlicher Lärm, allerdings: Wer mitmacht, ist dabei, aus welchem Land er immer kommen mag. Rollstuhlfahrer werden in die Mitte genommen und umarmt; selbst die Punks, denen sonst um diese Zeit die Stufen hier gehören, bekommen ihr Plätzchen.

Nur mit dieser fröhlichen Gelassenheit lässt sich auch das Chaos in der Stadt ertragen. 400.000 Menschen sind als Dauerteilnehmer gemeldet, wie viele Zehntausend sich gerade wo befinden, weiß längst niemand mehr. Nach der Fahrt des Papstes durch die Stadt sind die Rheinbrücken über Stunden hinweg gesperrt, der Verkehr ist zusammengebrochen. Andere stehen zwei Stunden an fürs Mittagessen, und wenn sie dran sind, ist die Pfanne leer. Einmal trifft es auch die Journalisten: Eine erwählte Schar sollte auf einem Begleitschiff dem Papst ganz nah sein, doch dann dampft das Boot an den Poller Wiesen einfach weiter, der Papst verschwindet, es gibt keinen Fernseher an Bord und nur ein einziges Exemplar der Papstrede; ferner kann man an diesem Tag dem Pontifex kaum sein.

Stille am Schrein

Doch ein Pilger hat sich eben in Geduld zu üben und das Unerwartete als Normalfall zu nehmen. So steigen die Massen in der prallen Sonne in endloser Schlange die Treppen vom Rhein zum Dom hinauf, vorne die Mexikaner gar mit zwei Eseln; die Australier tragen ein Plastikkänguru voran. Tagsüber ist Remmidemmi hier: Die Jugendlichen werden von den nachrückenden Massen am Schrein vorbeigeschoben. Die freiwilligen Helfer im roten T-Shirts, "Volunteers" heißen sie hier, treiben zur Eile an, schließlich soll jeder während seines Aufenthalts in Köln mindestens einmal am vergoldeten Schrein der Heiligen Drei Könige vorbeiziehen.

Eine besinnliche Pilgerschaft ist tagsüber unmöglich. Erst kurz vor Mitternacht kehrt Ruhe ein im gewaltigen Dom. Die hohen Bögen des Kirchenschiffs verschwinden im Dunkeln, Kerzen leuchten, es riecht nach dem verbrannten Paraffin der Teelichter. Jetzt bleiben viele stehen vor dem Schrein, knien nieder auf dem Steinboden und beten. Und bevor sie den Dom verlassen, entzünden fast alle noch ein Licht vor der mit Schmuck behängten Gnadenmadonna.

Der Weltjugendtag ist schwer zu fassen. In den vergangenen Jahren stand er bei den Deutschen im Ruch, eine Gegenveranstaltung zur selbstbewussten, verbandlich organisierten Jugendarbeit und zu den diskussionsfreudigen Katholikentagen zu sein, weshalb auch eher die konservativen jungen Christen nach Paris, Rom, Toronto fuhren. Doch solche Einteilungen passen längst nicht mehr.

In Köln treffen sich die Leute von "Teen-Star", die Enthaltsamkeit bis zur Ehe geloben. Dort tritt aber auch die 15-jährige Lea Schlechtriem aus Bochum auf und will vom Essener Weihbischof Franz Grave wissen, warum die Kirche so hartnäckig am strikten Kondomverbot festhalte. "Wie können Sie das bei der Aids-Seuche in Afrika überhaupt verantworten?", fragt die Teenagerin den Oberhirten. "Ja", windet sich Grave, "das ist eine Frage, die die Öffentlichkeit sehr beschäftigt." Es sei "ein provokanter Punkt, an dem man sich reiben und auch dagegen sein kann", räumt der Bischof ein, aber er vertrete nun mal die Position der Kirche: "Wir müssen durch Enthaltsamkeit einen Weg finden, um uns mit Sicherheit vor Aids zu schützen." Da platzt es aus Anna Maria Wollner, einer 21-jährigen Pfadfinderin aus Ahlen, heraus: "Die labern dumm rum. Alles bla, bla."

Das Treffen bleibt auch nicht unpolitisch. Der Bund der Deutschen Katholischen Jugend schenkt am "FairPoint" gerecht gehandelten Kaffee aus, man kann dort mit Fußbällen spielen, die nicht aus Kinderarbeit stammen, oder einer Podiumsdiskussion mit Familienministerin Renate Schmidt zuhören. Fromm und politisch engagiert - das sind nicht mehr so tiefe Gegensätze wie vor zwanzig Jahren.

Selig sind die Schlaflosen

Die Kirche geht nah ran ans Leben. Vor dem "Café Cappuccino" direkt am Dom winken Ordensleute die Pilger hinein. Eigentlich heißt das Café ja Raffaello; die Kapuziner-Mönche haben den Besitzer aber überredet, ihnen einen der Räume zu überlassen. 16.000 Schokoplätzchen in Kreuzform haben Franziskaner-Klarissinnen für das Brüder-Café gebacken. Die Ordensfrauen leben normalerweise in Klausur, dort sollen sie "nur das Notwendigste in Kürze und mit leiser Stimme reden", wie Schwester Eva-Maria sagt. Für den Jugendtag durften sie das Kloster verlassen. Seitdem hat Eva-Maria kaum geschlafen, nachts ziehen ihr die lärmenden Pilgermassen noch einmal durch den Kopf.

Schwester Maria-Lukas hingegen kann gar nicht genug bekommen vom ungewohnten Trubel. Sie stellt sich auf die Domplatte, verteilt Flugblätter und sagt, sie biete sich "zum Gespräch an". Vor allem Frauen kommen auf sie zu. In St. Kunibert am Rheinufer laden die Klarissinnen zur "eucharistischen Anbetung" ein. Es sind nicht viele, die den Weg hierhin finden, aber ein paar Betende sind doch immer da. Eva Eisfelder ist gekommen, weil es ihr draußen zu laut geworden ist. Mögen andere Party machen, für die 28-Jährige ist "das Meditative wichtiger".

Das gemeinsame Erbe

Die Ruhe ist es auch, von der der Papst immer wieder spricht, wenn er zum Gebet aufruft. Doch sein eigenes Programm ist dicht gefüllt. Zumindest aber dürfte er erleichtert und zufrieden gewesen sein nach seinem Auftritt in der Synagoge. Als Natanael Teitelbaum, der Rabbiner, ihm das Wort übergibt, betont Benedikt, dass er die Aussöhnung mit den Juden, die sein Vorgänger so vorangetrieben hatte, "mit aller Kraft" fortsetzen möchte.

Er gedenkt der 11.000 Opfer, nennt den Nationalsozialismus die "dunkelste Zeit deutscher und europäischer Geschichte", spricht von einer "wahnwitzigen, neuheidnischen Rassenideologie". Er zitiert Johannes Pauls II. Satz: "Wer Jesus Christus begegnet, begegnet dem Judentum" und sehr ausführlich die Erklärung Nostra Aetate des II. Vatikanischen Konzils, die "alle Hassausbrüche, Verfolgungen und Manifestationen des Antisemitismus" beklagt.

Leider, fährt Benedikt fort, tauchten "heute erneut Zeichen des Antisemitismus und Formen allgemeiner Fremdenfeindlichkeit" auf, sie "müssen uns Grund zur Sorge und Wachsamkeit sein". Er ermuntert Christen und Juden zum Dialog, nennt die Zehn Gebote ein "gemeinsames Erbe und gemeinsame Verpflichtung". Nur eine historische Geste erwähnt er mit keinem Wort: die Vergebungsbitte von Papst Johannes Paul II. für die jahrhundertelange kirchliche Judenfeindschaft, ausgesprochen im Jahr 2000. Joseph Ratzinger soll damals über einige Formulierungen nicht glücklich gewesen sein.

Dem langen Applaus in der Synagoge tut das keinen Abbruch. Paul Spiegel, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, wird später sagen, er sei "tief beeindruckt" von dem historischen Moment. Und es ist ein historischer Moment: Nicht durch das, was Papst Benedikt gesagt hat - auch diese Rede bleibt hinter vielen Erwartungen zurück. Sie vermeidet echte Fehler, weist aber nicht so recht in die Zukunft.

Der Papst wirkt vor allem dadurch, wie er nach der Rede dasteht, mit der Rührung kämpft. Und den Alten der Gemeinde, den Überlebenden der Schoah, lang und fest die Hand drückt.

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