Süddeutsche Zeitung

Beluga-Wale aus Shanghai:Langstreckenflug in die Freiheit

Zwei Beluga-Wale sollten aus einem chinesischen Wasserpark entlassen, eine Bucht vor Island ihr neues Zuhause werden. Nur: Wie schafft man tonnenschwere Wale einmal um die Welt?

Von Max Sprick

Pferde fliegen sie häufig zu Wettbewerben, auch Schweine transportieren sie oft. Tiger, Nashörner, Giraffen, alles kein Problem. Sonst auch Maschinen, große Gerätschaften, die in Europa gebaut, aber in Asien gebraucht werden. "Eigentlich wirklich alles, was schnell um die Welt geflogen werden muss", sagt Michael Verhülsdonk. "Die einzigen Grenzen, die wir kennen, sind die Abmaßungen unserer Flugzeuge."

Verhülsdonk, 35, ist Ingenieur bei Cargolux, einem luxemburgischen Luftfrachtunternehmen. Er ist zuständig für besonders schwere Lasten, berechnet, wie diese im Flugzeug verteilt werden müssen und schreibt mit seinen Kollegen entsprechende Software-Programme. Das, was er nun berechnen musste, war von den Zahlen her nichts außergewöhnliches für ihn. Um die vier Meter lang, etwa eine Tonne schwer. Und doch sagt er: "Das war ein einzigartiges Projekt." Denn die Last, deren Transport Verhülsdonk und seine Kollegen verantworteten, waren zwei Beluga-Wale. "So etwas haben wir noch nie transportiert", sagt Verhülsdonk. Auch, dass zwei Wale von einem Wasserpark aus in die Freiheit geflogen werden, dürfte eine Premiere gewesen sein.

Nach zwölf Stunden Flug seien die Weißwale aber wohlbehalten auf dem Flughafen Keflavik gelandet, sagte eine Sprecherin von Cargolux am Mittwoch Abend.

"Little White" und "Little Grey" waren etwa zwei Jahre alt, als sie im Weißmeer im Nordwesten Russlands gefangen wurden. Dem Land, das der Tierschutzorganisation Whale and Dolphin Conservation (WDC) zufolge das überhaupt einzige Land ist, das noch Beluga-Wale für die Haltung in Delphinarien fängt. 2011 dann kamen die beiden Weibchen nach Shanghai, um in Unterhaltungsshows im Changfeng Ocean World Aquarium Kunststücke zu zeigen. Ein Jahr später übernahm Merlin Entertainments diesen Park - zum Glück für die Belugas. Denn der Konzern hinter den weltweiten Sea Life Centers lehnt Wale in seinen Parks ab. "Little White" und "Little Grey" sollten also in eine passende, freie Umgebung umgesiedelt werden. Doch die zu finden, dauerte. Die Umweltschutz-Stiftung Sea Life Trust fand schließlich eine Lösung: In einer Bucht vor der isländischen Insel Heimaey will sie das erste Schutzgebiet für Beluga-Wale eröffnen. So weit, so gut, doch blieb die Frage: Wie kommen die Wale von Shanghai nach Island?

Cargolux erklärte sich bereit, die Belugas mit einer Boeing 747 über die mehr als 10000 Kilometer lange Strecke zu fliegen. Kostenlos, als Spende an Sea Life Trust, weil Umweltbewusstsein und Tierschutz der Airline wichtig seien, teilte das Unternehmen Anfang diesen Jahres mit. Und druckte ein Foto der beiden Belugas auf eine 747, die entsprechend umgebaut werden musste. Insgesamt zehn Monate haben die Vorbereitungen gedauert, sagt Verhülsdonk. "Bei den normalen Transporten dauern sie ein paar Tage."

Was die Sache so schwer machte, war das Wasser. Beide Belugas werden in einem eigenen Container transportiert, der bei Start und Landung mit 4000 Litern Wasser befüllt war. Auf Reiseflughöhe wurden dann weitere 2000 Liter hinzu gepumpt. "Wir wussten vorher nicht, wie sich das Wasser im Flug verhält", sagt Verhülsdonk. Probeflüge mit befüllten Containern, aber ohne Wale, gab es nicht.

Die beiden Tiere verbrachten den Langstreckenflug in einer Art Hängematte. Nicht ruhiggestellt, um zu sehen, ob sie sich normal verhalten - beziehungsweise um zu bemerken, wenn sie es nicht tun und etwas nicht stimmt. Zwei Tierärzte und zwei Pfleger, die die Belugas seit Monaten darauf vorbereitet haben, waren mit an Bord um den Zustand der Wale zu beobachten und sie über den Wolken zu beruhigen.

Seit klar war, dass ihr Leben in Gefangenschaft ein Ende haben würde, haben die Belugas gelernt, die Luft länger anzuhalten, um tiefer tauchen zu können. Die Wassertemperatur in ihrem Becken wurde gesenkt, um sie auf isländische Verhältnisse einzustimmen. Ihre neue Anlage vor Island ist nun bis zu zehn Meter tief, 32 000 Quadratmeter groß. Nach ihrer Ankunft kommen "Little White" und "Little Grey" für mindestens 40 Tage in ein Quarantänebecken, wo sie überwacht werden und sich erholen können. Später werden sie dann in die geschützte Bucht gelassen.

Dass sie eines Tages ganz ausgewildert werden können, glauben die Tierschützer derzeit nicht. "Dafür waren sie zu lange in Gefangenschaft", sagte Rob Lott von der Tierschutzorganisation WDC dem Tagesspiegel.

Das isländische Schutzgebiet soll in den kommenden Jahren noch mehr befreite Belugas aufnehmen, der Platz reiche für zehn bis zwölf. Weltweit lebten 300 bis 400 Belugas in Gefangenschaft, sagte Lott. "Das ändert man nicht über Nacht."

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