Belgien: Kardinal im Polizeiverhör:Monsignore und der Fall Dutroux

Die belgische Kirche steht im Verdacht, Kindesmissbrauch durch Priester vertuscht zu haben. Außerdem sollen in einer Kirche 15 Jahre alte Fotos von Opfern des Mörders und Kinderschänders Dutroux aufgetaucht sein.

Jeanne Rubner

Was wusste Monsignore Danneels über die pädophilen Machenschaften von Priestern? Und was hat er mit dem Kinderschänder Dutroux zu tun? Am Dienstagmorgen ist Godfried Kardinal Danneels, der frühere Erzbischof von Mecheln-Brüssel und belgische Primas, zum Polizeiverhör nach Brüssel gebracht worden.

Belgien: Kardinal im Polizeiverhör: Missbrauchsopfer werfen ihm Untätigkeit vor: Godfried Kardinal Danneels, der frühere Erzbischof von Mecheln-Brüssel und belgische Primas, auf einem Archivbild.

Missbrauchsopfer werfen ihm Untätigkeit vor: Godfried Kardinal Danneels, der frühere Erzbischof von Mecheln-Brüssel und belgische Primas, auf einem Archivbild.

(Foto: dpa)

Denn Danneels und die Erzdiözese stehen mittlerweile nicht nur im Verdacht, Kindesmissbrauch durch Priester vertuscht zu haben. In den Räumen der Kirche von Mecheln sollen nach einem Bericht der Zeitung Het Laatste Nieuws auch Fotos der geschundenen Körper von Julie und Melissa aufgetaucht sein.

Julie Lejeune und Melissa Russo - das sind die Opfer des berüchtigten belgischen Kinderschänders Marc Dutroux, der vor ziemlich genau 15 Jahren die damals achtjährigen Mädchen entführte, missbrauchte und grausam verhungern ließ.

Aber noch immer gibt es keine offizielle Bestätigung dafür, dass bei einer umstrittenen Durchsuchung kirchlicher Einrichtungen in Mecheln wirklich vertrauliche Unterlagen aus dem Fall des Kinderschänders und Mörders Marc Dutroux gefunden wurden. Die Zeitung De Morgen berichtete unterdessen am Mittwoch, das Material sei Danneels von einem britischen Satiremagazin zugeschickt worden.

Während des Dutroux-Prozesses 2004 sei ein auf drei DVDs zusammengefasstes Dossier in die Hände von Gerichtsjournalisten gelangt. Das britische Magazin The Sprout habe die These vertreten, die Dutroux-Opfer seien von einem Ring hochrangiger belgischer Politiker und Kirchenvertreter missbraucht worden. Die Zusendung an Kardinal Danneels sei erfolgt, um den ehemaligen Erzbischof zu einer Reaktion zu bewegen.

Doch schon allein die Erwähnung des Namens Marc Dutroux weckt in ganz Belgien sehr unangenehme Gefühle.

Das Land fühlt sich an dunkle Zeiten erinnert. Die Kirche ist in Aufruhr. Und mittendrin befindet sich der 77-jährige Kardinal Danneels. Die Affäre begann vor knapp zwei Wochen, am 24. Juni, als Ermittler den erzbischöflichen Palast im flämischen Mecheln nördlich von Brüssel durchsuchten. Sie beschlagnahmten 500 vertrauliche Dossiers, nahmen Rechner und Laptops mit und konfiszierten die Handys der damals dort versammelten Kirchenoberen Belgiens.

Ermittler öffneten Bischofsgräber

Schlimmer noch: Weil man vermutete, dass die katholische Kirche Unterlagen versteckt haben könnte, wurden Gräber verstorbener Bischöfe in der Kathedrale Sint Rombouts geöffnet. Dannels selbst, so meldete die Zeitung De Standaard, soll in der Krypta Dokumente versteckt haben. Gefunden wurde allerdings nichts.

Mit ihrem harten Vorgehen wollen die Behörden auch ein Signal setzen. Im Fall des Kinderschänders Dutroux hat man Polizei und Justiz Laxheit bis hin zu groben Ermittlungsfehler vorgeworfen. Tatsächlich konnte Dutroux, der 2004 zu lebenslanger Haft verurteilt wurde, wochenlang Melissa und Julie gefangen halten, obwohl es bereits einen schwerwiegenden Verdacht gab.

Razzien sorgten für Empörung

In Kirchenkreisen freilich haben die Razzien für Empörung gesorgt - bis hinauf zum Vatikan. Wenige Tage nach der Razzia äußerte sich Papst Benedikt XVI. "verwundert" über das Vorgehen der Ermittler.

Empört ist aber auch eine Kommission, die seit zehn Jahren im Auftrag der Kirche die Missbrauchsfälle untersucht, von denen die meisten vermutlich in den neunziger Jahren passierten. Denn in einer zweiten Razzia durchforsteten Ermittler auch das Archiv dieser Kommission und beschlagnahmten deren Akten.

Die Expertenrunde unter Vorsitz des Kinderpsychiaters Peter Andriaenssens ist inzwischen zurückgetreten. Sie könne so nicht mehr arbeiten, sagte Andriaenssens. Zum Schutz der Opfer sei eine Vereinbarung mit der Justiz getroffen worden, so der Psychiater, jetzt könnten diese nicht mehr mit Verschwiegenheit rechnen. Jedoch hatte er durchblicken lassen, dass ein paar Dutzend der 500 namentlich bekannten Missbrauchsopfer Kardinal Danneels Untätigkeit vorwerfen. Sie hätten sich ihm damals anvertraut, ohne dass dieser ihnen geholfen hätte.

Bis zum Abend war unklar, was das Verhör von Danneels ergeben hat. Für den emeritierten Kardinal steht viel auf dem Spiel. Bisher galt er als ein Repräsentant der modernen, aufgeklärten Kirche. Falls er tatsächlich Unterlagen unter Verschluss gehalten hat, könnte er angeklagt werden - weil er Täter gedeckt und Opfern Hilfe verweigert hätte, sagte ein Sprecher der Brüsseler Staatsanwaltschaft gegenüber belgischen Medien. Dann droht dem Monsignore sogar eine Gefängnisstrafe.

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