Belgien:"Da waren Musik und Gelächter, und drei Sekunden später waren es Schreie"

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Trauer und Entsetzen in der belgischen Gemeinde Strépy-Bracquegnies. Am frühen Sonntagmorgen ist dort ein Auto in einen Karnevalszug gefahren. (Foto: Johanna Geron/Reuters)

Mindestens sechs Menschen sterben, als bei einer Karnevalsfeier in Belgien ein Wagen in die Menge rast. Über die beiden Insassen ist noch wenig bekannt, der genaue Fahrtweg soll nun schnellstmöglich rekonstruiert werden.

Von Josef Kelnberger, Brüssel

Jacques Gobert, der Bürgermeister von Strépy-Bracquegnies, war am frühen Sonntagmorgen selbst unterwegs, um Karneval zu feiern. Er tummelte sich auf den Straßen seiner Gemeinde, um der "Ramassage des Gilles" beizuwohnen, dem Einsammeln der Narren zu Beginn der für drei Tage geplanten Feierlichkeiten. Doch um fünf Uhr morgens brach die Hölle los. Ein Auto raste mit hoher Geschwindigkeit in eine der Karnevalsgesellschaften, genannt "Les boute en train", es waren etwa 200 Menschen, die aus einer Sporthalle in der Rue des Canadiens gekommen waren. Das Auto habe die Menschen "pulverisiert", sagte Bürgermeister Gobert, als er Stunden später, im Pullover und weißen Hemd um Fassung ringend, im Hochzeitssaal seines Rathauses eine erste Bilanz zog: sechs Tote, zehn Schwerverletzte, 27 Leichtverletzte.

Warum es zu der Katastrophe kam? Auf diese Frage gab es zunächst keine Antworten. Von einem Terroranschlag sei nach Lage der Dinge nicht auszugehen, sagte ein Vertreter der Staatsanwaltschaft bei der Pressekonferenz am Sonntagmittag. Die beiden Insassen des Autos, Jahrgang 1988 und 1990, stammen offenbar aus La Louvière, mit 81 000 Einwohnern die elftgrößte Stadt Belgiens, zu der die Gemeinde Strépy-Bracquegnies gehört. Sie liegt etwa 40 Kilometer südwestlich von Brüssel.

(Foto: SZ-Karte: saru; Mapcreator.io)

Gegen die beiden Personen wird wegen Mordes ermittelt. Wie Bürgermeister Gobert sagte, hätten sie zunächst zu fliehen versucht, seien dann aber von Passanten gestoppt worden. Ob sie vorbestraft sind, blieb unklar. Die Staatsanwaltschaft teilte lediglich mit, sie seien bislang nicht "mit ähnlichen Delikten" aufgefallen. Zunächst gab es Gerüchte, das Auto sei in eine Verfolgungsjagd mit der Polizei verwickelt gewesen, von den Behörden wurde das jedoch später dementiert. Unbestätigten Berichten vom Sonntagabend zufolge kamen die beiden von einer Tanzveranstaltung, und es werde untersucht, ob sie unter Drogen oder Alkoholeinfluss standen.

Beileid aus dem belgischen Königshaus

Der Karneval in Strépy-Bracquegnies war wegen der Covid-Pandemie in den beiden vergangenen Jahren ausgefallen, umso größer war nun die Vorfreude - ehe der Horror sich Bahn brach. Ein Moderator des belgischen Radiosenders RTL, der an der Karnevalsveranstaltung teilnahm, berichtete von dramatischen Szenen. Seinen Angaben zufolge fuhr das Auto mitten in die Menschenmenge. "Da waren Musik und Gelächter, und drei Sekunden später waren es Schreie. Es war schrecklich", zitierte ihn der Sender. Zu Wort kam auch ein Augenzeuge, dessen Aussage nahelegt, der Fahrer habe so viele Menschen wie möglich treffen wollen. Demnach habe er einmal gewendet, um erneut in die Menschenmenge zu rasen. Auch dafür gab es zunächst keine Bestätigung. Die Staatsanwaltschaft wollte so schnell wie möglich die genaue Fahrtroute des Autos rekonstruieren.

Am Sonntagnachmittag besuchten König Philippe, Kronprinzessin Elisabeth, Regierungschef Alexandra De Croo sowie Innenministerin Anelies Verlinden den Ort des Unglücks. "Das hätte nach einer schweren Zeit ein Tag zum Feiern werden sollen", sagte De Croo mit Blick auf die Corona-Pandemie. "Er ist zu einem Tag der Trauer geworden." Eine Beileidsbekundung schickte auch der französische Staatspräsident Emmanuel Macron.

Die Karnevalsfeierlichkeiten in dem Ort wurden nach dem tödlichen Unfall abgebrochen. (Foto: Nicolas Maeterlinck/dpa)

Bürgermeister Gobert rief nach dem Unglück dazu auf, den Karneval abzubrechen. "Ich glaube, der Gemütszustand aller ist so, dass wir nichts anderes in Betracht ziehen konnten", sagte er. Die anderen Karnevalsgesellschaften leisteten seinem Aufruf Folge, nachdem sie ursprünglich die Feierlichkeiten hatten fortsetzen wollen.

Die Ereignisse in Belgien erinnern an das Grauen beim Rosenmontagsumzug vor zwei Jahren im nordhessischen Volkmarsen. Damals wurden 88 Menschen, unter ihnen 26 Kinder, schwer verletzt, als ein Autofahrer vorsätzlich in den Rosenmontagszug raste. Der Täter wurde mittlerweile zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt.

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