Belgien: Amoklauf im Kindergarten:Der "Joker" gibt Rätsel auf

Die grausame Tat in einem belgischen Hort war möglicherweise nicht seine erste: Medienberichten zufolge soll der mutmaßliche Amokläufer bereits eine 73-jährige Frau erstochen haben.

Nach wie vor rätselt Belgien über die Hintergründe der Messerstecherei am vergangenen Freitag im Kinderhort "Märchenland". Nun heißt es in belgischen Medien, dass der mutmaßliche Amokläufer bereits eine Woche vor der Bluttat eine 73-jährige Frau erstochen haben soll. Der Täter sei "wahrscheinlich auch verantwortlich für den Mord an einer älteren Frau in Beveren", berichtete etwa der flämische Rundfunksender VRT.

Belgien: Amoklauf im Kindergarten: Eine Mutter legt mit ihrem Kind einen Stoffhasen vor dem Kindergarten "Märchenland" in Dendermonde nieder. Nach wie vor sind die Eltern der Opfer über das Motiv des Täters im Unklaren.

Eine Mutter legt mit ihrem Kind einen Stoffhasen vor dem Kindergarten "Märchenland" in Dendermonde nieder. Nach wie vor sind die Eltern der Opfer über das Motiv des Täters im Unklaren.

(Foto: Foto: AFP)

Der 20-Jährige hatte nach bisherigen Erkenntnissen am Freitag in der Kinderkrippe von Dendermonde zwei sechs und neun Monate alte Babys und eine Betreuerin erstochen. Für die Taten fehlt bislang jegliches Motiv.

Unterdessen liegen fünf Opfer des Amokläufers weiter im Krankenhaus. Ein viereinhalb Monate altes Mädchen wurde am Montag weiterhin auf der Intensivstation der Universitätsklinik in Gent behandelt, berichtet die Zeitung De Standaard. Der 20 Jahre alte Täter hatte die Luftröhre des Babys durchstochen und dem Säugling innere Verletzungen beigefügt.

Der Täter, der kurz nach der Tat in einem Nachbarort festgenommen worden war, sollte am Montag einen Anwalt bekommen. Am Dienstag soll ein Untersuchungsrichter den 20-Jährigen vernehmen. Das ganze Wochenende über schwieg der junge Mann nach Angaben der Vermittler über seine Tat. Weil er sich weigere zu essen, wurde er nach Medienangaben künstlich ernährt.

Bei seiner Festnahme hatte der Mann eine kugelsichere Weste getragen. Im Rucksack hatte er ein Messer, ein Beil und eine täuschend echte Pistolenattrappe. Im Kindergarten wurden zwei weitere Messer gefunden, die ihm gehörten. "Aus dem Ablauf der Tat und den Waffen, die er bei sich trug, geht hervor, dass er alles geplant hatte", sagte Staatsanwalt Christian Du Four. Im Gegensatz zu anderslautenden Medienberichten habe der Täter aber keinen Plan von anderen Kindergärten bei sich getragen, die er auch noch heimsuchen wollte.

Auf Seite 2: Wie Nachbarn den mutmaßlichen Täter beschreiben

Der "Joker" gibt Rätsel auf

Wegen seiner auffälligen Gesichtsbemalung bei der Tat gaben belgische Medien Kim D. auch den Beinamen "Joker" - in Anlehnung an den Bösewicht aus dem "Batman"-Film.

Bei dem Täter handelt es sich nach Angaben von Staatsanwalt Christian Du Four um den alleine wohnenden Kim D. aus dem Ort Sinaai zwölf Kilometer nördlich von Dendermonde. Er sei selbstmordgefährdet, berichtete die Nachrichtenagentur Belga unter Berufung auf Justizkreise. Seit der Festnahme kurz nach der Tat werde er künstlich ernährt. Bei einer Vernehmung am Sonntag habe er einen "apathischen" Eindruck gemacht.

Der Mann wurde von Nachbarn als ein zurückgezogen lebender Sonderling beschrieben. Er habe in einem Geschäft für Dekorationsartikel im Ort Belsele gearbeitet, vor zwei Wochen aber diesen Job verloren. Schulkameraden beschrieben den 20-Jährigen im flämischen Fernsehen VRT als "intelligenten, aber stillen Jungen". Kim D. sei ein Anhänger der Gothic-Szene. Er komme aus einer intakten Familie, in der die Eltern gut für ihre Kinder sorgten.

"Schlaft sanft, kleine Englein"

Die Staatsanwaltschaft beauftragte drei Psychiater, Gutachten über den Täter zu erstellen. Du Four sagte, Kim D. habe kein Geständnis abgelegt, sei aber von Zeugen einwandfrei identifiziert worden. Er habe "keine psychiatrische Vorgeschichte" und habe vor der Tat auch weder Drogen noch Alkohol konsumiert.

Die Kinderkrippe in Dendermonde wird nicht wieder geöffnet. Nach Angaben der Stadtverwaltung soll das Gebäude künftig anderen kommunalen Zwecken dienen. Die überlebenden Kinder und deren Eltern sollten künftig nicht täglich an das Verbrechen erinnert werden.

In Belgien herrscht nach wie vor Entsetzen über die Bluttat. "Schlaft sanft, kleine Englein", stand auf einer von zahlreichen Karten, die trauernde Menschen vor dem Eingang der Kinderkrippe "Märchenland" niederlegten - zusammen mit Dutzenden von Plüschtieren.

"Niemand kann verstehen, wie jemand so etwas tun kann", sagte Marianne van Cakenberg, eine von Hunderten Trauernden. "Wir müssen mit der Erkenntnis leben, dass wir unsere Kinder nicht vollständig schützen können. Eine Erkenntnis, die fast nicht zu ertragen ist", kommentierte die Zeitung De Standaard.

Das Blatt De Morgen schrieb: "Konnte man dieses Drama verhindern? Ja, indem man vor jede Kinderkrippe eine Hand voll Polizisten stellt. Aber wer möchte sein Kind noch in solch eine Krippe bringen?" Die Zeitung Het Laatste Nieuws kommentierte die Ereignisse mit den Worten: "Flandern hat seine Unschuld verloren."

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