Begegnung mit Viktor Bout:Der Todbringer

Niemand hat den Kriegsherren in Afrika und im Mittleren Osten so viele Waffen verkauft wie der Russe Victor Bout. Während er noch von der internationalen Justiz gejagt wurde, traf er trotzdem einen Journalisten. Ein Bericht aus dem SZ-Magazin vom 23. Oktober 2003

Peter Landesman

Victor Bout hatte vorgeschlagen, mich im "Renaissance Hotel" in Moskau zu treffen, einem monolithischen Gebäude, das von drittklassigen Prostituierten und Männern in dunklen Anzügen bevölkert wird. Zur vereinbarten Zeit warte ich in der Lobby, zusammen mit zwei anderen Männern: Bouts älterem Bruder Sergei, der für die zahlreichen Luftfrachtunternehmen seines Bruders arbeitet, sowie einem ehemaligen Geschäftspartner, gebürtiger Syrer, der sich als "Bruder und Freund" von Victor Bout bezeichnet.

Begegnung mit Viktor Bout: Einer der mächtigsten Waffendealer der Welt im Verhör der thailändischen Polizei.

Einer der mächtigsten Waffendealer der Welt im Verhör der thailändischen Polizei.

(Foto: Foto: AP)

Während wir warten, versucht der Syrer mich davon abzubringen, Victor Bout allzu nachdrücklich über dessen Geschäfte auszufragen. Es gebe Dinge, die ich besser nicht wissen wolle. Sonst könne es gefährlich für mich werden. "Sie lassen dich niederknien, bevor sie dich erschießen", sagt er. Dann nickt er in Richtung Eingang. "Da kommt Victor." Bout, 36, ist einen Meter achtzig groß und eher korpulent. Zügig durchquert er die Lobby, packt meine Hand und nickt entschlossen. Wir setzen uns auf ein Sofa und Bout legt eine dicke Mappe auf seinen Schoß. Er beugt sich nach vorn: "Nach dem 11. September wachte ich auf und merkte, dass ich zweiter hinter Osama bin." Seine Hand ruht auf der Mappe. Aber die Wahrheit, sagt er, sei viel komplizierter als seine Lebensgeschichte. "Meine Kunden, die Regierungen...", beginnt er. Dann: "Ich halte den Mund." Später erklärt er: "Wenn ich Ihnen alles erzählen würde, dann hätte ich hier ganz schnell ein Loch." Er deutet auf seine Stirn.

Vieles in der Welt der Waffenhändler scheint dem Drehbuch eines schlechten Thrillers entsprungen und manchmal möchte man über die B-Film-Dialoge lachen. Doch die politischen und finanziellen Einsätze in diesem Spiel sind hoch und Victor Bout ist beileibe kein Aufschneider. Agenten der CIA und des britischen Geheimdiensts MI6 nahmen Mitte der Neunziger erstmals Notiz von ihm, als seine Flugzeuge Afrika anzufliegen begannen. Zuerst transportierten sie Schnittblumen und gefrorene Hühner; später Diamanten, Bergbau-Gerät, Kalaschnikows, Kampfhubschrauber und sogar, so Bout, UNO-Blauhelme und afrikanische Potentaten.

Immer wieder fiel sein Name in Kriegsgebieten wie Kongo, Liberia und Sierra Leone. Anhand von Fotos, heimlich an Dschungelpisten geschossen, konnte er identifiziert werden, nach und nach wurde den Geheimdiensten das Ausmaß von Bouts Operation bewusst. Doch erst im Sommer 2000 erkannte der Nationale Sicherheitsrat der USA: Er war nicht nur auf das größte und am besten organisierte Netzwerk nicht-staatlichen Handels mit Kriegsgerät gestoßen, sondern auch auf den Waffenhändler mit den wahrscheinlich weltweit besten Verbindungen in Regierungskreise. "Bout war brillant", sagt heute Gayle Smith, Leiterin der Afrika-Abteilung beim US-Sicherheitsrat. "Wenn er mit legalen Gütern gehandelt hätte, wäre er einer der größten Geschäftsleute der Welt geworden. Er ist faszinierend, aber zerstörerisch."

Bout: Vegetarier, umweltbewußt, sorgt sich um den Regenwald

Da Bout außerhalb der USA tätig war, hatte der Sicherheitsrat keine gesetzliche Handhabe gegen ihn. Das Gremium unternahm trotzdem den Versuch, ihn zu stoppen, mit Hilfe von Geheimdienstquellen aus mindestens sieben Ländern und diplomatischen Gesprächen auf Kabinettsebene. Ein Jahr später erließ Belgien Haftbefehl gegen Bout, allerdings nicht wegen Waffenhandels, sondern wegen Geldwäsche und Diamantenschmuggels auf belgischem Boden; gefasst wurde er nie. Nominell ist Bout zwar immer noch auf der Flucht vor der internationalen Justiz, doch anders als Osama bin Laden lebt er vor aller Augen - in Moskau, offensichtlich unter dem Schutz des post-kommunistischen Systems.

Nur wenige Male hat sich Bout öffentlich geäußert - indem er kurz und knapp seine Beteiligung an Waffengeschäften dementierte. Doch die Beschuldigungen gegen ihn können mit dokumentiertem Schrift- und Geldverkehr, Geständnissen, Zeugenaussagen und Geheimdienstberichten untermauert werden. Je länger sich Bout der Justiz entzieht, desto stärker wuchert die Legende um seine Person. In vielerlei Hinsicht ist er inzwischen das bekannteste Gesicht eines riesigen kriminellen Netzwerks.

"Mit Blumen hat alles angefangen", sagt Richard Chichakli, der gebürtige Syrer, gegen Mitternacht. Wir sind von der Hotelhalle in ein italienisches Restaurant umgezogen, voll mit Leuten, die Pizza essen und Wodka trinken. Victor Bout bestellt einen Karottensaft und Rucolasalat. "Er ist Vegetarier", sagt Richard Chichakli. "Und er ist umweltbewusst, sorgt sich um den Regenwald." Bout nickt und beginnt zu reden. Wann immer er mit einem seiner Transporte in den Dschungel Afrikas geflogen sei, habe er dort die Tierwelt fotografiert und primitive Stämme studiert. "In diesen abgelegenen Gegenden fühlt man sich lebendig, ist Teil der Natur."

Seine Lieblingsautoren, erzählt er, seien Paulo Coelho und Carlos Castaneda. "Was ich wirklich gern machen würde: mit einem meiner Hubschrauber in den arktischen Norden Russlands fliegen und Naturfilme drehen." Warum er sich entschieden hat, mich zu treffen, ist mir noch nicht klar. Einerseits scheint er stolz auf die eigene Legende zu sein und gern an ihr zu stricken, andererseits versucht er, sie herunterzuspielen. Chichakli beginnt, von Bouts Karriere zu erzählen. Sein erstes Geschäft hatte er mit 25 abgewickelt: Für 120.000 Dollar kaufte er 1992 drei Antonov-Flugzeuge und gründete in Moskau ein Transportunternehmen. 1993 dehnte er seine Geschäfte auf die Vereinigten Arabischen Emirate aus. Neureiche Russen flogen damals zuhauf zum zollfreien Einkauf nach Dubai. "Sie wollten alles, von Bleistiften über Elektrogeräte und Ikea-Möbel bis hin zu Autos", sagt Bout. "Ich erkannte eine Marktlücke im Frachtgeschäft und flog die ganzen Sachen zurück."

Der wirkliche Durchbruch kam, als er seine Flugzeuge mit südafrikanischen Gladiolen belud. "Vic kaufte eine Blume für zwei Dollar und verkaufte sie in Dubai für hundert", erklärt Chichakli. "Pro Flug brachte er zwanzig Tonnen ins Land. Besser als Gelddrucken." > Seine Basis richtete Bout in Schardscha ein, das zu den Vereinigten Arabischen Emiraten gehört; der dortige Flughafen ist für besonders laxe Kontrollen berüchtigt. Hier traf Bout auch Chichakli, damals Gründungsdirektor der Freihandelszone von Schardscha.

1996 besaß Bout die größte der 160 Lufttransportfirmen des Emirats, mit 1000 Angestellten. "Ich wollte ein Netzwerk von Unternehmen in Afrika und im Nahen Osten gründen. Es sollte eine große Fluglinie für Fracht und Passagiere sein, wie Virgin Atlantic." Relativ offen erzählt Bout von seinen frühen kommerziellen Unternehmungen, doch wenn das Gespräch auf ihn selbst kommt, bleibt er reserviert. "Es tut weh", sagt er, "wenn das Privatleben in die Öffentlichkeit gezerrt wird."

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Der Todbringer

Victor Bout wurde am 13. Januar 1967 in Duschanbe, Tadschikistan, als Kind russischer Eltern geboren. In Moskau besuchte er das sowjetische Militärinstitut für Fremdsprachen, dann eine Militärakademie. Er hat einen Abschluss in Wirtschaft und spricht sechs Sprachen. Bis 1991 diente er in einem russischen Luftwaffenregiment, zwei Jahre davon in Mosambik, gegen Ende des Bürgerkriegs. Angeblich war Bout danach in Angola für den KGB tätig. Er beharrt jedoch darauf, nie Verbindungen zum KGB gehabt zu haben. 1995 dehnte Bout seine Luftfrachtgeschäfte zunächst nach Ostende, Belgien, aus und später nach Odessa in der Ukraine. Dort kam er einfach und schnell an alles, was Machthaber und Milizenführer in Afrika und im Nahen Osten brauchten. Es waren weder Gladiolen noch gefrorene Hühner.

Während des Kalten Krieges mag es gelegentlich möglich gewesen sein, Waffengeschäfte mittels internationaler Diplomatie zu unterbinden; damals waren Waffenhändler oft Subunternehmer der Supermächte und heizten für Washington und Moskau diverse Stellvertreter-Kriege an. Auch heute noch arbeiten einige Händler mit Regierungsauftrag und liefern nur an ideologisch genehme Regime. Doch die meisten sind freie Unternehmer, die weder Skrupel noch politische Vorbehalte kennen und bei ihren Geschäften nur den Profit im Sinn haben.

Nach dem Ende des Kalten Krieges herrschte Chaos im sowjetischen Militär, das riesige Arsenal der Roten Armee fiel zum großen Teil an die aus der Sowjetunion hervorgegangenen Republiken. Um Devisen einzunehmen, verkauften Generäle und Politiker die Waffen nun zu Großhandelspreisen. Von allen Republiken außerhalb Russlands erhielt die Ukraine die meisten - und gefährlichsten - Waffen: Auf ihrem Staatsgebiet lagerte zahlreichen Quellen zufolge genug konventionelle Feuerkraft, um eine Million Soldaten für den Kampf gegen die NATO zu rüsten.

Zwar gab die ukrainische Regierung die Atomwaffen unter großem Medientamtam an Russland zurück. Doch soll zwischen 1992 und 1998 Kriegsgerät im Wert von 32 Milliarden Dollar aus den Armeedepots verschwunden sein. "Das ukrainische Militär wurde zur Einkommensquelle einer ganzen Generation von Politikern, die Waffen produzierten und an jeden verkauften, der sie haben wollte", sagt Jonathan M. Winer, in der Clinton-Regierung als stellvertretender Staatssekretär für internationale Verbrechensbekämpfung zuständig. So wurde die Ukraine zum verlässlichsten Nachschub-Lieferanten der verborgenen Netzwerke des Waffenhandels. "Dort liegt die Macht in den Händen weniger ", erklärt Winer, "es gibt keine Kontrolle von außen, keine unabhängige Justiz, eine lange und durchlässige Grenze, riesige Militäreinrichtungen, viele kleine Flugplätze, eine Menge alter Flugzeuge. Die Ukraine ist das Epizentrum des globalen Verbrechens. Ein großer Selbstbedienungsladen, in dem man alles kaufen kann."

Die Kunden kamen aus dem Irak, Iran, Somalia, dem Jemen und Pakistan. Vielleicht war auch Nordkorea dabei - und al-Qaida, auf Vermittlung der Taliban. Was fehlte, waren die Vertriebswege. Diese Aufgabe übernahmen Männer wie Victor Bout. Von der Sowjetunion erbten die Waffenhändler nicht nur das Arsenal, sondern auch die Infrastruktur, um die Deals abzuwickeln, wie geheime Transportwege und Kanäle für Geldtransfers. Der Schmuggel wird dabei mit Geschäften getarnt, die legal erscheinen. Das erste Glied in der Kette ist meist ein Militär: Ein Offizier wird fürs Wegschauen bestochen; Soldaten werden bezahlt, Lagerarbeiter zu spielen.

Die Waffenkisten werden dann zum Beispiel als Frischobst deklariert. Oder das Bodenpersonal vertauscht bei angeblichen Tankstopps schnell die Ladung. Manche Flugzeuge sind bei der Landung unter einer anderen Nummer registriert als beim Start. Auf einem Flug von, sagen wir, Ostende nach Peru macht der Pilot kehrt und nimmt unbemerkt Kurs auf die afrikanischen Kriegsgebiete. Das Geld wird zwischen Briefkastenfirmen hin und her geschoben. Oder an Transportunternehmen überwiesen, die scheinbar legalen Geschäften nachgehen. Manchmal werden Waffen aber auch einfach mit Säcken voller Bargeld oder Socken voller Diamanten bezahlt. "Bouts Netzwerk zur Beschaffung von Waffen und zur logistischen Abwicklung der Geschäfte ist hervorragend organisiert - das macht ihn so erfolgreich", sagt Lee S. Wolosky, der als Direktor im Nationalen Sicherheitsrat die Geheimdienstaktion gegen Bout koordinierte. "Waffen sind schwieriger zu bekommen und zu transportieren als Frauen oder Drogen. Weltweit hat niemand dieses Geschäft so effizient geregelt wie er."

Als ich am nächsten Tag mit Bout und seinem Bruder allein bin, lege ich ein Papier auf den Tisch - die Rechnung für ein Waffengeschäft, die ich als Kopie von einem europäischen Geheimdienst erhalten habe. Die Aufstellung - auf Briefpapier der San Air General Trading, einer von Bouts Firmen im Emirat Schardscha - beläuft sich auf 1.900.000 Dollar für zwei russische Kampfhubschrauber vom Typ MI-8T, vier Raketenwerfer und drei Granatwerfer. Offiziell war die Lieferung für die Elfenbeinküste bestimmt, in Wirklichkeit, so die Geheimdienstquelle, ging sie nach Liberia. Bout wirft kurz einen Blick auf das Blatt und erklärt lakonisch, dass es sich um eine Fälschung handle. "Davon abgesehen sind MI-8Ts keine Kampfhubschrauber. Sie dienen nur Transportzwecken."

Nach einem Moment unangenehmen Schweigens fügt er hinzu: "Natürlich kann man sie mit Raketen und Feuerwaffen zu Kampfhubschraubern umfunktionieren." Hohe US-Beamte haben Bout mit Alexander Islamov, einem berüchtigten russischen Waffenhändler, in Verbindung gebracht und mit Leonid Minin, seinem ukrainischen Gegenpart. Ich frage ihn, ob er Fracht für die beiden transportiert habe. "Das sind Kunden von mir", antwortet er. "Aber wen interessiert das? Es ist nicht meine Aufgabe zu wissen, woraus die Fracht besteht. Es ist nicht der Job des Piloten, die Kisten zu öffnen und zu schauen, was drin ist." (Tatsächlich sehen es Piloten beinahe als heilige Pflicht an zu wissen, was sie transportieren.)

Dann ändert Bout seine Taktik und gibt das halbherzige Leugnen auf. Okay, sagt er, die Frage sei doch nicht, ob er Waffen liefere oder nicht; die Frage sei, was daran falsch sein soll. "Illegale Waffen? Was bedeutet das? Wenn Rebellen einen Flughafen, eine Stadt kontrollieren und dir Landeerlaubnis geben, was ist daran illegal?" Schließlich würden die Rebellen später die Regierung stellen und diese hätte ein Recht auf Selbstverteidigung. Bout erwähnt nicht, dass die Länder, in die seine Waffen gehen, oft unter UN-Embargo stehen. Oder dass Rebellen die Bevölkerung abschlachten, um an die Macht zu kommen.

"Das Problem liegt im System", erklärt Bout. "Waffen sind wie Medikamente. Genau genommen können Medikamente gefährlicher sein." Aus dem Mund eines Humanisten und Naturliebhabers klinge das bestenfalls wie kühle Berechnung, erwidere ich. "Beim Töten geht es nicht um Waffen", erwidert Bout ungeduldig. "Es geht um die Menschen, die sie benutzen." Dann schweigt er. Plötzlich verschwinden sein agiler Verstand und seine Insiderkenntnis der internationalen Politik hinter der zynischen Visage eines Drogenhändlers, der auf dem Schulhof Crack verkauft. Er sieht sich nur als Geschäftsmann, der seine Ware anbietet. Wie könnte er sich anmaßen, über Gut und Böse zu urteilen.

Auf der nächsten Seite: "Ich war auf Seiten Rabbanis, weil ich wusste, wer die Taliban waren", erklärt Bout. "Rabbani war die einzige Hoffnung für das Land."

Der Todbringer

Genau betrachtet, hat er damit sogar Recht. Denn vom Drogenhändler unterscheidet er sich in einem wesentlichen Punkt: Was er macht, mag abstoßend sein - deshalb ist es nicht notwendigerweise kriminell. Es gibt einfach nicht viele Gesetze zum Waffenhandel. Seit Mitte der Neunziger hat kein UN-Embargo zur Verurteilung eines Waffenhändlers geführt. Erstaunlicherweise haben die USA trotz der weltweit strengsten Gesetze noch keinen einzigen Fall von Waffenhandel vor Gericht gebracht. Zum Teil ist das Absicht. "Regierungen stellen Regeln auf, die Waffenhandel ermöglichen", sagt Lisa Misol von Human Rights Watch. "Die Händler können sich darauf verlassen, dass einzelne Staaten Waffenlieferungen dann nicht als ihr Problem ansehen, wenn sie von irgendwo anders kommen." Wenn der Handel nicht verboten ist, wie soll er dann verhindert werden? Warum sollte man ihn verhindern? In Anbetracht der Bilder von liberianischen Kindersoldaten scheint die Frage naiv zu sein, wenn nicht rhetorisch.

Doch wenn es um Waffen geht, sind andere Interessen maßgeblicher als die Menschenrechte. Die USA verkaufen mehr Kriegsgerät als die restliche Welt zusammengenommen, und die Hersteller haben ein lebhaftes Interesse daran, ihr Produkt auf dem Markt zu halten, legal oder illegal. Außerdem handeln Waffenhändler oft im geostrategischen Interesse der Regierungen - weshalb diese die Schiebereien nur zögerlich behindern. Nach allem, was man hört, hat Bout in Afrika an jeden verkauft, der zahlen konnte. In Afghanistan war das anders: Dort hat er nur die Truppen der Regierung Rabbani ausgerüstet, die Mitte der Neunziger mit den Taliban um die Macht kämpften. "Ich war auf Seiten Rabbanis, weil ich wusste, wer die Taliban waren", erklärt Bout. "Rabbani war die einzige Hoffnung für das Land."

Damals flog Bout nach eigenen Angaben viermal täglich Waffen und Unterhaltungselektronik in die Regierungshochburg Jalalabad. Im August 1995, also zwölf Monate vor der Übernahme Kabuls durch die Taliban, wurde eines seiner Flugzeuge abgefangen: Kampfjets zwangen den Transporter zur Landung in Kandahar, das von den Taliban gehalten wurde. Flugzeug und Ladung wurden beschlagnahmt, die siebenköpfige Besatzung mehr als ein Jahr lang gefangen gehalten.

Mehrmals, erzählt mir Bout, sei er nach Kandahar geflogen, um über die Freilassung der Crew zu verhandeln. Aber nicht allein - Abgesandte der russischen Regierung hätten ihn begleitet. Die Verhandlungen waren erfolglos, doch auf bis heute ungeklärte Weise kam seine Mannschaft schließlich frei. Wie? "Man hat sie rausgeholt", sagt Bout. War es eine Operation der russischen Regierung? Erst antwortet Bout nicht. Dann sagt er, sichtlich erregt: "Bislang haben Sie mit einem Löffel in einem großen See herumgestochert. Es gibt Mächte..." Mitten im Satz bricht er ab. Eine genauere Schilderung des Vorfalls würde zu viel über die Dreiecksbeziehung zwischen ihm, den Regierungen und den Kunden verraten, erklärt er. Er müsse uns beide schützen.

Am Abend des dritten Tages in Moskau klingelt in meinem Hotelzimmer das Telefon. Eine Männerstimme sagt: "Ich glaube, wir müssen ein paar Dinge besprechen." Zuerst bin ich verblüfft, sogar belustigt über die James-Bond-Romantik. Die Kälte in der Stimme ist jedoch ernüchternd. "Morgen, 17 Uhr", sagt der Anrufer. "Gehen Sie zu McDonald's am Puschkin-Platz. Kaufen sie zwei Becher Kaffee und setzen Sie sich. Ich werde Sie finden." Damit legt er auf. Um fünf Uhr nachmittags bin ich bei "McDonald's". Die Filiale erstreckt sich über mehrere Stockwerke und ist voll mit russischen Teenagern. Techno-Pop schallt durch die Räume - der perfekte Ort für eine ungestörte Unterhaltung. Ich stelle die Kaffeebecher auf einen Tisch und warte. Um 17.02 Uhr blicke ich kurz nach links in die Menge und wende mich dann wieder meinem Tisch zu. Mir gegenüber sitzt ein Mann Anfang vierzig. "Danke für den Kaffee", sagt er.

Der Mann stellt sich nicht vor, aber seine Kenntnisse über den Waffenhandel und dessen Drahtzieher weisen ihn als Fachmann aus. Er erklärt mir, dass Bout nur das öffentlich bekannte Gesicht von etwas viel Größerem sei. Ich sei gerade dabei, an der Oberfläche zu kratzen - tiefer zu bohren sei jedoch sehr gefährlich. Das russische Waffengeschäft solle ich mir wie einen Pilz vorstellen. Bout gehöre zu denen im Hut des Pilzes, die sichtbar seien.

Die Männer, die in Russland wirklich die Fäden zögen, säßen jedoch im Stiel. "Und den bekommen Sie niemals zu sehen", sagt er. Ich beginne zu verstehen, warum Bout einerseits gern redet, sich andererseits immer wieder auf die Zunge beißt. Er will sich darüber beklagen, dass er zum Sündenbock für ein kriminelles System gemacht wird, in dem er selbst nur ein Rad von vielen ist. Zu viel von diesem System verraten kann Bout jedoch auch nicht - das wäre viel zu gefährlich, wie er mehrmals betont.

An meinem letzten Abend in Moskau lädt mich Bout in ein Restaurant außerhalb der Stadt ein. Er wirkt entspannt, so als habe er sich endlich rechtfertigen und einiges gerade rücken können. Natürlich hat er nichts dergleichen getan. Trotzdem scheint er froh zu sein, geredet zu haben. Nach ein paar Wodkas wird er philosophisch: "Es ist einfach, Krieg zu führen oder Politik zu machen", sinniert er. "Aber mit sich selbst in Frieden zu leben..." Nach dem Essen fahren wir über einen Waldweg zu einem exklusiven Privatclub für banya , die traditionelle russische Sauna. Wenn russische Männer Verhandlungen führten, sagt Bout, oder sich auf schwierige Besprechungen vorbereiteten, gingen sie zusammen in die banya . Nach dem Schwitzbad sei man gewissermaßen wehrlos und könne nichts mehr verbergen. "Falls Sie Eheprobleme haben oder so etwas mögen, bekommen Sie oben ein Mädchen", fügt er hinzu.

In der Sauna herrschen 75 Grad. Ein Bediensteter verpasst uns eine Abreibung mit Eukalyptusblättern. Dann tauchen wir in ein Becken mit eiskaltem Wasser. Zweimal wiederholen wir den Durchgang. Später sitzen wir auf einer Couch und Bout redet über Literatur und die Pygmäen. In der Ecke hängt ein Fernseher, auf dem Naturfilme laufen. Eine Stunde lang sehen wir zu, wie sich die wilden Tiere in der afrikanischen Savanne gegenseitig auffressen. Mit einem Handtuch um die Hüften auf dem Sofa sitzend wirkt Bout nicht wie jemand, den die Welt nicht aufhalten kann - sondern wie jemand, den sie nicht aufhalten will.

Im Vergleich zum großem System, in dem er arbeitet, erscheint Bout selbst plötzlich klein und unscheinbar. Wenn er wirklich das öffentlich bekannte Gesicht des Waffenhandels ist und nicht gefasst oder gestoppt werden kann - was sagt das über die Ausmaße dieses weltweiten unmoralischen Handelsverkehrs aus, und über die immensen Profite, die für Geschäftemacher wie für Regierungen auf dem Spiel stehen? Mir fällt ein, was Richard Chichakli über Bout gesagt hatte: "So viele politische Verbindungen wie Victor hat sonst keiner. Aber er ist niemand, der die Welt verändern will."

Die meisten Waffenhändler sind freie Unternehmer, die weder Skrupel noch politische Vorbehalte kennen und bei ihren Geschäften nur den Profit im Sinn haben. Was Victor Bout macht, mag abstoßend sein - deshalb ist es nicht notwendigerweise kriminell. Es gibt einfach nicht viele Gesetze zum Waffenhandel. "Bislang haben Sie mit einem Löffel in einem großen See herumgestochert", sagt Bout. "Es gibt Mächte..." Mitten im Satz bricht er ab.

"Beim Töten geht es nicht um die Waffen. Es geht um die Menschen, die sie benutzen" - Victor Bout, 36, im Juni in Moskau. Schwer bewaffnete Soldaten der liberianischen Regierung bereiten sich im Juli 2003 bei Brewerville auf einen Angriff vor. In Afrika lieferte Victor Bout an jeden, der zahlen konnte. Mit russischen Kalaschnikow-Sturmgewehren ausgerüstete Truppen der Rebellengruppe "Revolutionary United Front" in Sierra Leone, 1997. Mudschaheddin der Regierung Rabbani bei Kabul, 1996, mit einem russischen Maschinengewehr, Typ 7,62 Millimeter PK, 650 Schuss pro Minute.

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