Prozess um getötete Tramperin:Was geschah im Führerhaus?

  • Im Prozess um die getötete Tramperin Sophia L. hat der Angeklagte vor Gericht ein Geständnis abgelegt.
  • Er bestreitet jedoch, die Frau aus sexuellen Motiven attackiert und zur Vertuschung dieser Tat ermordet zu haben.
  • Den Hergang der Tat zu klären, ist die wichtigste Aufgabe des Gerichts.

Von Hans Holzhaider, Bayreuth

Am Anfang dieses Prozesses steht ein Geständnis: "Er war es, der Sophia L. getötet hat", sagt der Rechtsanwalt Karsten Schieseck. "Er" - das ist der Marokkaner Boujemaa L., 42. Sein Mandant habe die Tat lange Zeit bestritten, fährt der Verteidiger fort, aber jetzt wolle er sagen, wie sich alles abgespielt habe. Die Nebenkläger hätten ein Recht darauf.

Die Nebenkläger, das sind Marie Elisabeth, Johannes und Andreas L., die Eltern und der Bruder Sophias. Ob sie durch das Geständnis des marokkanischen Fernfahrers wirklich erfahren werden, was sich abgespielt hat am Abend des 14. Juni 2018, dem Tag, an dem Sophia L. starb, daran gibt es an diesem ersten Verhandlungstag vor dem Landgericht Bayreuth noch erhebliche Zweifel.

Sophia L., 28, wollte an jenem Tag von Leipzig, wo sie studierte, per Anhalter in ihre Heimatstadt Amberg fahren. Kurz nach 18 Uhr stieg sie an der Raststätte Schkeuditzer Kreuz in einen Lkw. Um 19.55 Uhr schickte sie eine Textnachricht an eine Freundin: "Sitze bei Bob, dem Marokkaner im Lkw." Danach ist ihr Handy nicht mehr erreichbar. Eine Woche später wird die halb verbrannte Leiche der Frau in Nordspanien gefunden. Da sitzt Boujemaa L., der Fahrer des Lkw, schon in spanischer Haft.

Für die Oberstaatsanwältin Sandra Staade ist der Fall klar. Auf dem Handy des Angeklagten wurden Fotos gefunden, die er kurz vor seinem Zusammentreffen mit Sophia gemacht hatte. Auf einem Parkplatz an der A 14 bei Leipzig hatte er Frauen auf dem Weg zur oder von der Toilette fotografiert. Im Führerhaus seines Lkw hatte er Fotos von seinem eigenen erigierten Glied gemacht. Daraus folgert die Staatsanwältin, Boujemaa L. sei sexuell erregt gewesen, als Sophia L. zu ihm in den Lkw stieg. Er sei, vermutlich während eines Aufenthalts auf einem Rastplatz bei Pegnitz, "sexuell übergriffig" geworden und habe sich "auf unbekannte Weise an ihr vergangen". Weil er befürchtet habe, dass Sophia ihn deshalb anzeigen werde, habe er sie zunächst gefesselt und sie dann durch Schläge mit einem Eisenwerkzeug getötet. Sophia L. starb, wie die Obduktion ergab, infolge eines schweren Schädel-Hirn-Traumas.

Boujemaa L. ist ein unscheinbarer Mann, mittelgroß, schlank, mit spärlichem Haarwuchs und kurz gestutztem Bart. Sein Mandant sei bereit, alle Fragen zu beantworten, aber eines wolle er von vornherein klarstelle: Es gebe keine sexuelle Komponente bei seiner Tat. "Er ist weder sexuell übergriffig geworden, noch hat er sich an Sophia L. vergangen", trägt sein Verteidiger vor.

Die Fahrt sei zunächst ganz harmonisch verlaufen, schildert der Anwalt. Man habe sich größtenteils durch Handzeichen verständigt. Einmal habe sein Mandant an einer Tankstelle zwei Kaffee besorgt, dann habe Sophia einen Joint geraucht. Am Parkplatz Sperbes habe sie um eine Toilettenpause gebeten.

Die Leiche verstaute er in einer der Schlafkabinen hinter dem Fahrersitz

Sie sei als erste wieder eingestiegen, während Boujemaa L. mit einem eisernen Ratschenschlüssel die Reifen überprüft habe. Als er wieder einsteigen wollte, habe er gesehen, wie Sophia seine Sachen durchwühlt habe. Er habe gedacht, sie wolle ihn bestehlen, und sei wütend geworden. Auch sie sei wütend gewesen, sie habe ihn beschuldigt, er habe ihr Haschisch gestohlen. Sie habe dann, wohl unabsichtlich, auch noch seinen Laptop vom Armaturenbrett gefegt; als er danach greifen wollte, habe sie ihn mit der flachen Hand ins Gesicht geschlagen. Da habe er impulsiv und unkontrolliert mit dem Werkzeug, das er noch in der Hand hatte, zweimal auf den Kopf geschlagen.

Er sei dann noch einmal zur Toilette gegangen; als er zurückkam, haber er sich eingebildet, sie wolle nach ihm greifen, und habe noch einmal zugeschlagen, wieder auf den Kopf. Die Leiche verstaute er in einer der Schlafkabinen hinter dem Fahrersitz. Auf einem Parkplatz in Frankreich habe er auf dem Boden einen kleinen Brocken Haschisch gefunden und erkannt, dass alles die Folge eines schrecklichen Missverständnisses gewesen sei.

Der Vorsitzende Richter Bernhard Heim unterzieht den Angeklagten einer langen und peniblen Befragung, die Boujemaa L. mehr oder weniger stoisch über sich ergehen lässt, bereitwillig fertigt er auch Skizzen an, etwa um das Tatwerkzeug zu beschreiben.

Erst als der Richter mit kaum verhohlener Ironie ausführt, man "könnte ja auf den Gedanken kommen", dass "der liebe Bob" vielleicht doch auf die Idee gekommen sei, seine Mitfahrerin sei für eine schnelle Nummer im Lkw zu haben, und sie dann aus Wut darüber, "dass der Kaffee umsonst investiert war", erschlagen habe - da flippt der Angeklagte regelrecht aus. Er redet so schnell, dass der Dolmetscher kaum nachkommt mit dem Übersetzen.

"Ich fange nichts an mit einer Frau, die ich noch keine zwei Stunden kenne", sprudelt es aus ihm heraus. "Unmöglich" sei das für ihn, er habe panische Angst vor Geschlechtskrankheiten. Er habe schon oft Anhalterinnen mitgenommen, nie habe er sich irgendetwas zuschulden kommen lassen. "Ich bin ein hilfsbereiter Mensch. Ich bitte Sie, mischen Sie nichts Sexuelles in das Ganze. Ich bitte Sie, nicht die Würde der Frau zu beflecken mit irgendeiner Unterstellung."

Richter Heim erweckt nicht den Eindruck, als ob ihn das überzeugt.

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