Süddeutsche Zeitung

Baukunst:Mut zur Brücke

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2016 war ein Jahr spektakulärer Annäherungen - und sei es nur durch die Schaffung neuer, gewaltiger Bauwerke - wie der 565 Meter hohen Beipanjiang-Brücke in China.

Von Moritz Geier

Gar nicht lange ist es her, da dachte man allein metaphorisch, wenn man diesen Ausdruck hörte. Brücken bauen, das war, worüber Pfarrer in der Kirche sprachen, im weitesten Sinne ging es ihnen dabei um Verständigung. Das Jahr 2016 aber hat diese Gewissheit beschädigt, es hat ja vor allem Gräben geschaufelt und die Brücken-Metapher zur Floskel degradiert. In diesem Jahr hieß Brückenbau vor allem wieder: Brückenbau.

Die Chinesen haben gerade stolz einen Rekord verkündet, sie haben die höchste Brücke der Welt gebaut und nun für den Verkehr geöffnet. Fast 570 Meter hoch spannt sich das gewaltige Teil über das Beipanjiang-Tal, eine etwa einen Kilometer breite Schlucht, die zwei benachbarte Provinzen trennt. Künftig müssen die Autofahrer dort nicht mehr fünf Stunden lang durch die Berge kurven, um in die andere Provinz zu gelangen. Durch die 1341 Meter lange Brücke soll sich die Fahrtzeit auf weniger als eine Stunde verkürzen.

Früher brauchte man fünf Stunden in die nächste Provinz. Jetzt nur noch eine

Den Bau der Schrägseilbrücke hatten die Chinesen 2013 begonnen und wie man architektonische Mammutprojekte (rund 139 Millionen Euro soll der Bau gekostet haben) planmäßig realisiert, das haben die Chinesen auch deutschen Ingenieuren einmal mehr vorgemacht. Die jetzt nur noch zweithöchste Brücke der Welt haben sie nämlich auch gebaut: die Siduhe-Brücke in der Provinz Hubei mit einer Höhe von 472 Metern.

Das Jahr 2016 hat der Welt noch ein paar weitere monumentale Rekordbrücken geschenkt. Nochmal China: Erst im August haben die Chinesen in den Zhangjiajie-Bergen im Süden des Landes die längste und höchste Glasbrücke der Welt eingeweiht. Der spektakuläre Bau musste nach zwei Wochen vorübergehend gleich wieder gesperrt werden. Der Grund: zu viele Touristen. Die 430 Meter lange und nur sechs Meter breite Brücke hängt in bis zu 300 Metern Höhe über einem Canyon. Und dann soll China auch noch die weltweit erste unsichtbare Brücke bekommen: Französische Architekten bauen in den Zhangjiajie-Bergen aktuell an einer futuristisch anmutenden Konstruktion aus Stahl, schwarzem Stein, Wasser und Glas. Wie ein Spiegel soll die Brücke die Umgebung reflektieren und sich so nahezu unsichtbar in die Landschaft einfügen.

Auch die Russen haben in diesem Jahr einen Brückenbau begonnen und es ist einer, der sehr schön illustriert, warum die Brücken-Metapher nicht mehr wirklich frisch wirkt, in diesen Tagen. Das Großprojekt verbindet die Völker schließlich eher weniger, es hat sie vor allem verärgert. Die Brücke über die Straße von Kertsch wird das russische Festland mit der Krim verbinden, jener Halbinsel also, die Russland vor fast drei Jahren gegen den Willen der internationalen Staatengemeinschaft annektiert hat. Bauwerke demonstrieren immer auch Macht und Stärke, eine Regierung dadurch ihre Potenz - nach außen und nach innen.

Was also bleibt vom Jahr der Brücken und Gräben? Brückenbau, das wäre der Vorschlag für eine unverbrauchte Metapher, scheint mittlerweile vor allem für die Jagd nach Superlativen zu stehen. Und vor allem ein Land kultiviert diese Muskelspielerei, gerade wenn es um Brücken geht. 1. Wer hat die längste? China (Danyang-Kunshan-Brücke, fast 165 Kilometer). 2. Wer hat die längste über offenes Meer? Auch China (Hangzhou Bay Bridge, 36 Kilometer). 3. Und wo bleibt Europa? Die längste Brücke des Kontinents ist mit 17 Kilometern die Ponte Vasco da Gama in Lissabon. Immerhin: Als größte Brücke der Welt wird immer noch die 2004 fertiggestellte Brücke von Millau in Frankreich geführt, was daran liegt, dass ihre Pfeiler so hoch ragen, 343 Meter nämlich.

Wäre also nur noch ein Superlativ zu klären: Welche ist eigentlich die schönste unter all den Brücken? Für die US-amerikanische Nachrichtenseite The Daily Beast war es in diesem Jahr die wieder aufgebaute "Alte Brücke" in Mostar in Bosnien-Herzegowina. "Stari Most" sei ein Stück Architekturgeschichte. Sie gilt als symbolische Verbindung zwischen West und Ost. Brücken sind vielleicht halt doch mehr als ein Bauwerk.

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Quelle:
SZ vom 31.12.2016
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