Keine zwei Tage nach dem verheerenden Brand in einer Bekleidungsfabrik in Bangladesch ist am Montagvormittag (Ortszeit) erneut ein Feuer in einem Textilbetrieb in der Hauptstadt Dhaka ausgebrochen. Feuerwehrleute konnten den Brand nach Polizeiangaben jedoch schnell unter Kontrolle bringen. Das Feuer brach demnach im dritten Stockwerk eines zwölfstöckigen Gebäudes aus, in dem vier Textilfirmen untergebracht sind. Nach Behördenangaben gab es offenbar weder Tote noch Verletzte. Alle Arbeiter hätten sich ersten Erkenntnissen zufolge in Sicherheit bringen können.
Bei einem Brand in einer anderen Textilfabrik in Bangladesch waren zuvor mindestens 109 Menschen ums Leben gekommen. Das Feuer brach am Samstagabend in einem mehrstöckigen Gebäude in einem Industrieviertel am Rande der Hauptstadt Dhaka aus. Insgesamt seien 109 Leichen geborgen worden, teilten die Behörden mit. Zunächst war von 121 Toten die Rede gewesen. Einige Arbeiter hätten sich tödlich verletzt, als sie in Panik aus den Fenstern gesprungen seien und starben später im Krankenhaus.
Von 200 weiteren Menschen ist die Rede, die beim Brand verletzt worden seien. Bei den Todesopfern handelt es sich wahrscheinlich vornehmlich um Arbeiterinnen, die von den Flammen eingeschlossen waren.
Der Einsatzleiter der Feuerwehr sagte, die meisten Opfer seien im zweiten Stock am Rauch erstickt. Zwar habe das Gebäude drei Ausgänge gehabt, doch da der Brand in einem Lager im Erdgeschoss ausgebrochen war, konnten die Arbeiter nicht rausgelangen. "Mehr als tausend Arbeiter waren in der Fabrik eingeschlossen", sagte die 42-jährige Arbeiterin Romesa auf ihrem Krankenbett. Sie selbst habe sich aus dem vierten Stock auf das Dach eines Nachbargebäudes gerettet.
Berichte über Sicherheitsmängel
Wie die New York Times berichtet, sei in der Fabrik auch Kleidung für den US-amerikanischen Einzelhandelskonzern Walmart gefertigt worden. Ein Beauftragter von Walmart habe aber bereits im Mai 2011 vor Sicherheitsmängeln in dem Werk gewarnt. Bei drei solchen Warnungen innerhalb von zwei Jahren stellt Walmart für ein Jahr die Zusammenarbeit mit dem betreffenden Unternehmen ein.
Ein Sprecher der betroffenen Fabrik Tazreen Fashion Limited erklärte dagegen vor Kameras, der Betrieb habe EU-Standards eingehalten, etwa mit mehreren alternativen Treppenaufgängen. Die Arbeiter seien aber panisch zum Hauptausgang gestürmt. Hasan Ashraf, Südasien-Experte an der Universität Heidelberg, sagte im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung: "Die Arbeiter werden zur Reduzierung der Raumkosten so eng wie möglich zusammengepfercht, so dass die Notausgänge bei weitem nicht ausreichen."
Ashraf bestätigte aber, dass Sicherheitsvorkehrungen der betroffenen Fabrik eher eine positive Ausnahme darstellten. Sie habe sogar Richtlinien der Europäischen Union eingehalten. "Trotzdem waren die Arbeitsbedingungen dort wohl furchtbar", sagte Ashraf weiter.
Neben Walmart gehörte auch das deutsche Bekleidungsunternehmen C&A zu den Auftraggebern von Tazreen Fashion. Nach Angaben von Thorsten Rolfes, Sprecher von C&A Europe, habe die Fabrik Pullover für C&A Brasilien gefertigt. Rolfes sprach den Angehörigen Mitgefühl aus und sagte, die Firmenleitung in Europa sei "mit ihren Gedanken und ihren Gebeten" bei den Opfern und ihren Familien.
Im September brannte in Pakistan eine Fabrik. Sie produziert für Kik.
In Bangladesch gibt es mehr als 4000 Textilfabriken. Sicherheitsvorkehrungen werden in vielen von ihnen kaum oder gar nicht getroffen. Textilien sind das wichtigste Exportprodukt des Landes. Durch ihre Ausfuhr, vor allem in die USA und nach Europa, nimmt Bangladesch jährlich umgerechnet rund 15,5 Milliarden Euro ein. Allein Deutschland importierte nach Angaben des Statistischen Bundesamtes im Jahr 2011 Bekleidung im Wert von 2,8 Milliarden Euro.
Der Verband der Textilhersteller und -exporteure in Bangladesch versprach den betroffenen Familien Entschädigung. Einer Studie der Kampagne für "Saubere Kleidung" zufolge kam es seit dem Jahr 2005 zu sieben tödlichen Bränden und Fabrikeinstürzen in Bangladesch, bei denen bislang insgesamt 145 Menschen starben. Die vielen Toten seien mit mangelhaften Sicherheitsmaßnahmen zu erklären. Elektrokabel hingen häufig frei im Raum, Feuerlöscher fehlten, Notausgänge waren verschlossen und Fluchtwege versperrt.
Erst im September gab es einen verheerenden Brand mit mehr als 300 Toten in einer Textilfabrik in Pakistan. Die pakistanische Fabrik belieferte auch den deutschen Textildiscounter Kik.
Südasien-Experte Hasan Ashraf hat die Situation von Textilarbeitern in Bangladesch erforscht und selbst in einem ähnlichen Betrieb in Dhaka gearbeitet. Das vollständige Interview mit dem Assistant Professor der Jahangirnagar Universität Bangladesch lesen Sie in der Montagsausgabe der Süddeutschen Zeitung.