Süddeutsche Zeitung

Bandenkriminalität:"Gewalt ist ein Teil der Rocker-Kultur"

LKA-Ermittler Thomas Jungbluth über die Regeln der Rocker und den Kampf der Polizei vor dem Mordprozess gegen einen Hells Angel in Duisburg.

Dirk Graalmann

Weil an diesem Donnerstag in Duisburg der Mordprozess gegen ein Mitglied der Hells Angels beginnt, haben Polizei und Justiz massive Sicherheitsvorkehrungen getroffen. Hintergrund des Prozesses ist eine Bluttat im Rotlichtmilieu der Stadt, bei der im vergangenen Oktober ein Mitglied der Bandidos erschossen wurde. Beide Clubs sind verfeindet, als Motiv gilt der Streit um eine Frau. Die Stadt rechnet wegen des Prozesses mit der Anreise vieler Gang-Mitglieder sowie mit weiterer Gewalt. Thomas Jungbluth, Leiter der Abteilung für organisierte Kriminalität am LKA Nordrhein-Westfalen, über zwei Motorradclubs, deren Brutalität immer wieder Schlagzeilen macht.

SZ: Herr Jungbluth, das Thema "Rockerkrieg" ist präsent wie selten. Erst vergangene Woche hat ein Mitglied der Hells Angels im rheinland-pfälzischen Anhausen einen Polizisten durch seine geschlossene Wohnungstür hindurch erschossen. Erleben wir eine Zuspitzung der Gewalt?

Thomas Jungbluth: Von einer neuen Qualität der Gewalt könnten wir nur sprechen, wenn wir sicher wüssten, dass dies ein bewusster Angriff auf die Polizei war. Das muss jetzt die Staatsanwaltschaft herausfinden. Sicher ist aber, dass es bei diesen Gruppen eine erhebliche Bereitschaft gibt, scharfe Schusswaffen einzusetzen.

SZ: Wie groß ist nach Ihren Erkenntnissen das Potential dieser Gruppen?

Jungbluth: In Nordrhein-Westfalen sind es vor allem die zwei bekannten Gruppierungen Hells Angels mit etwa 140 und die Bandidos mit 200 Mitgliedern. Dazu kommen Unterstützer-Gruppen.

SZ: Diese Gruppenstärke wirkt überschaubar. Aber sie bewirkt trotzdem, dass in der Öffentlichkeit - etwa nach der Gewaltnacht von Duisburg - der Eindruck entsteht, die Polizei sei hilflos.

Jungbluth: Nein, wir haben insbesondere nach den Vorgängen in Duisburg deutlich gemacht, dass wir nie und nirgendwo rechtsfreie Räume dulden und das Gewaltmonopol beim Staat liegt. Dank dieser massiven Präsenz ist es seit Herbst auch hier in NRW merklich ruhiger.

SZ: Ruhiger, aber wie jetzt in Duisburg wegen des Prozesses weiter gespannt?

Jungbluth: Spontane Auseinandersetzungen sind nie auszuschließen. Aber die Botschaft, dass sie nicht tun und lassen können, was sie wollen, ist angekommen.

SZ: Also gibt es eine Art Waffenstillstand der Rocker-Clubs?

Jungbluth: Waffenstillstand klingt mir zu martialisch. Aber ich habe den Eindruck, dass es eine Art Übereinkunft gibt, sich jetzt etwas zurückzuziehen.

SZ: Um ihr Image als marodierende Schlägertruppe abzuschwächen?

Jungbluth: Die Gruppierungen versuchen ja schon, über ihre Öffentlichkeitsarbeit den Eindruck zu erwecken, es handle sich bei ihnen um freiheitsliebende Harley-Davidson-Fahrer, die sich nur etwas außerhalb bürgerlicher Normen bewegen.

SZ: Das sieht die Polizei anders.

Jungbluth: Wir stellen zumindest fest, dass wir auf diese Gruppen oft in Milieus treffen, die eine Affinität zur Kriminalität haben: im Rotlichtmilieu, in der Türsteher-Szene, im Bereich von Drogenhandel, bei Verstößen gegen das Waffengesetz.

SZ: Es geht, so heißt es bei Ermittlern, vorwiegend um Drogengeschäfte, Prostitution und Menschenhandel.

Jungbluth: Die Brutalität untereinander lässt sich zumindest nicht damit erklären, dass es einen Streit darum gibt, wer die richtige Kutte trägt. Das hat hier nichts mit Schlägereien unter verfeindeten Gruppierungen zu tun, wie man es beispielsweise von den Hooligans kennt. Hier geht es nach unserer Einschätzung um Gebietsansprüche, um Einflussbereiche, hier werden die Claims abgesteckt, wer wo etwas zu sagen hat.

SZ: Deshalb auch die häufige Gewalt?

Jungbluth: Gewalt ist ganz sicher dort auch ein Teil der Kultur, wo es vorrangig um Machtdemonstration geht. Dazu kommt die Abschottung nach außen, verbunden mit der Bedrohlichkeit, die diese Gruppe schon per se, etwa durch die Kluft, verbreitet. Das spricht ganz sicher manchen an. Genau wie die starke Innenbindung, die sicher bei einigen eine gewisse Faszination auslöst.

SZ: Eine Gruppe, die nach eigenen Regeln lebt.

Jungbluth: Es ist eine geschlossene, stark hierarchische Gemeinschaft, wo man sich den Spielregeln wie etwa Befehl und absolutem Gehorsam komplett unterwerfen muss. Und es ist unsere Aufgabe, zu verhindern, dass sie nach außen hin nach eigenen Regeln spielen können.

SZ: Ein üblicher Reflex auch innerhalb der Politik lautet: Vereinsverbot!

Jungbluth: Die juristischen Anforderungen für ein Verbot sind sehr hoch. Sie müssen nachweisen, dass die Straftaten eines einzelnen Mitglieds zum Zwecke des gesamten Vereins begangen wurden und das Delikt jeweils dem Verein in seiner Gesamtheit zuzuordnen ist. Das ist nicht einfach. Denn wenn Sie ein Verbot aussprechen, müssen Sie garantieren können, dass dies auch vor Gericht Bestand hätte. Alles andere wäre verheerend.

SZ: Der Ruf nach Verboten ist vielleicht auch eine Reaktion darauf, dass die Polizei nur schwer Zugang in diese abgeschotteten Gruppen findet.

Jungbluth: Es gehört zu deren ehernen Gesetzen, nicht mit der Polizei und den Ermittlungsbehörden zu kooperieren. Das ist ein verquaster Begriff von Ehre, der ja zu den abstrusesten Situationen führt. Da kommt es vor, dass selbst ein Schwerverletzter, dem soeben mit einer Machete fast das ganze Bein abgehackt wurde, lieber schweigt, bevor er den Täter nennt. Zu ihrer Logik, die uns so fremd ist, gehört, dass sie solche Dinge selbst regeln wollen.

SZ: Bisher sind die Opfer zumeist Mitglieder der verfeindeten Gruppe.

Jungbluth: Das stimmt zwar, aber die Erfahrungen in anderen Ländern zeigen uns, dass es dafür keine Garantie gibt. Wenn es wie in Schweden um den Einsatz von Handgranaten geht, ist das Risiko, dass Unbeteiligte zu Schaden kommen, ungleich größer. Aber davon unabhängig: Das Verprügeln eines Rockers durch einen anderen Rocker ist genauso eine Körperverletzung wie bei einem unbeteiligten Dritten. Entsprechend müssen und werden wir da genauso einschreiten. Sich zurückzuziehen nach dem Motto: "Hauptsache, da kommen keine Unbeteiligten zu Schaden", ist eine Kapitulation.

SZ: Entsprechend rigide geht die Polizei vor, derzeit gibt es fast wöchentlich irgendwo Hausdurchsuchungen.

Jungbluth: Die Rockerkriminalität ist ein akutes Problem, entsprechend hoch ist die Priorität ihrer Bekämpfung. Wir versuchen, Präsenz zu zeigen und den Druck aufrechtzuerhalten. Aber der Druck von außen dürfte auch den Druck innerhalb der Organisationen erhöhen.

SZ: Da reicht womöglich ein einzelner Funke zur Explosion.

Jungbluth: Daher müssen wir gleichzeitig die Glut austreten. Aber es wäre nicht seriös, zu sagen, es wird keine gewalttätigen Auseinandersetzungen mehr geben. Ein Restrisiko gibt es immer.

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SZ vom 25.03.2010/grc
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