Bairischer Dialekt:Das Ü ist schuld

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Ein Hobby-Sprachforscher weiß, warum die Bayern ungern Tschüs sagen: Sie sind nämlich ein bisserl mundfaul und spitzen den Mund höchstens zum Trinken oder zum Bussln, nicht aber um ein "ü" zu sprechen.

Ein kleiner Aufsatz zur Dialektpflege ist zum Publikumsrenner in Bayern geworden. Darin geht der pensionierte Lehrer Valentin Erl der Frage nach, warum viele Bayern partout nicht Tschüs sagen wollen. "Der Bayer spitzt seinen Mund höchstens zum Trinken oder zum Bussln, nicht aber um ein "ü" zu sprechen", erklärt der Hobby-Sprachforscher aus dem niederbayerischen Pfarrkirchen.

Im bairischen Dialekt sei das "ü" weitgehend zu "i" geworden. Man sage deshalb auch Strimpf statt Strümpfe und Schissl statt Schüssel. Der Aufsatz des 66-Jährigen, oft kopiert und verteilt, wurde sogar schon im Internet verbreitet.

Erls Sprachstudie bezieht sich auf Altbayern - also auf Oberbayern, Niederbayern und die Oberpfalz -, wo der bairische Dialekt, allerdings mit erheblichen regionalen Unterschieden, immer noch gesprochen wird.

Durch die Wandlung von "ü" zu "i" sage der Bayer auch Hittn statt Hütte und Minga statt München. Manchmal, so erläutert Erl, wird das "ü" auch zu einem "ia" umgeformt: siaß statt süß, miad statt müde, Fiaß statt Füße, Kiah statt Kühe und Hosendial statt Hosentürchen.

In einer Reihe von Wörtern verwandele sich das "ü" in ein "u" oder eine Verbindung mit "u": Bruck statt Brücke sagt der Bayer demnach, ebenso hupfa statt hüpfen oder Gfui statt Gefühl. In Einzelfällen tauche das "ü" sogar als "ea" auf, etwa in grea (grün) oder Bleamal (Blümchen).

Und dann gibt es nach einer Auflistung von Erl noch zahlreiche Fälle, in denen das schriftdeutsche Wort lieber gleich durch ein bairisches ersetzt wird: Pflücken heißt dann brocka, drüben wird zu drent, die Pfütze wird zur Lacka. Statt Lümmel sage der Bayer gscherter Lackl und statt Küken Biwal oder Singal.

Ludwig Zehetner, Regensburger "Mundart-Papst" und Honorarprofessor für bairische Dialektforschung, charakterisiert die Umlautänderung von "ü" zu "i" sprachwissenschaftlich als Entrundung. "Die Lippenrundung fällt ja weg", erläutert Zehetner.

Ähnliches gebe es beim Wandel von "ö" zu ¸¸e" (schee statt schön) oder von "eu" zu "ei" (eich statt euch). Ein bisserl Mundfaulheit der Bayern spiele bei dieser Entrundung möglicherweise eine Rolle, meint der Dialektforscher.

"Andererseits kann man für solche Entwicklungen kaum je einen greifbaren Grund angeben, zum Beispiel auch nicht dafür, warum aus mittelhochdeutsch mîn wîp dann mein Weib geworden ist."

Viele Bayern könnten sich also aus sprachlichen Gründen mit dem Tschüs nicht anfreunden und nicht etwa deswegen, weil das Wort als "preißischer Import" abgelehnt werde, betont Erl. Der Bayer solle also lieber bei Pfiat di oder Servus bleiben.

Ähnlich äußert sich Hans Triebel aus Weyarn, der Vorsitzende des Fördervereins Bairische Sprache und Dialekte. "Im Bairischen gibt es so viele Abschiedsformeln, dass wir auf Tschüs nicht angewiesen sind", sagt Triebel und empfiehlt sich mit einem herzlichen "Habe die Ehre".

Seine Enkelkinder sprechen zwar schönen Dialekt, erzählt Erl. Aber am Telefon verabschieden sie sich dann ganz süß mit Tschüs, weil's die Mama auch sagt." Ein bisserl tue ihm das schon weh, sagt Erl. Aber man dürfe das ganze Thema nicht verbissen und puristisch sehen: "Lieber ein freundliches Tschüs als ein grantiges Pfia Gott."

© Jürgen Balthasar, dpa - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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