Berlin:Ex-Bahn-Mitarbeiter wegen sexueller Übergriffe angeklagt

Amtsgericht Tiergarten

Der Eingang des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin. Dort ist nun ein Urteil mit Signalwirkung für die queere Szene gefallen.

(Foto: Taylan Gökalp/dpa)
  • Weil er Mitarbeiterinnen sexuell belästigt und angegriffen haben soll, steht ein ehemaliger Vertriebsleiter der Bahn in Berlin vor Gericht.
  • Der Mann weist die Vorwürfe zurück.
  • Vor Gericht wird klar, wie schwierig es ist, Verfahren wegen sexueller Nötigung zu führen. Und wie lange es dauern kann, bis es bei sexueller Belästigung am Arbeitsplatz zu Konsequenzen kommt.

Von Verena Mayer, Berlin

Als die Frau ihre Stelle antrat, sagten Kolleginnen, sie solle aufpassen bei ihrem Abteilungsleiter. Da habe es in der Vergangenheit Vorfälle gegeben. Renate Müller (Name geändert) nahm die Gerüchte nicht ernst, sie hielt den Chef für einen Familienmenschen. Doch dann kam ein Freitag im November 2016. Der Abteilungsleiter bestellte sie in sein Büro, um über ihre Zukunft im Team zu sprechen. Er schloss die Tür, griff ihre Oberarme und versuchte, sie zu küssen. Als sie sagte, sie wolle das nicht, sagte er, man könne es doch mal eine Woche miteinander versuchen. Später schickte er eine SMS hinterher, die mit "Gruß und Kuss" endete.

Am Montag sitzt der Mann deswegen vor dem Amtsgericht Tiergarten. Es ist ein ungewöhnlicher Prozess. Zum einen, weil ein großer Konzern Schauplatz des Vorfalls war, die Deutsche Bahn. Zum anderen, weil Fälle sexueller Belästigung am Arbeitsplatz selten angezeigt werden und noch seltener vor Gericht landen. Aus Scham und aus Angst vor beruflichen Konsequenzen oder einfach davor, nicht ernst genommen zu werden. Es ist dann auch eine Frage, die Renate Müller. vor Gericht immer wieder gestellt wird: Warum sie den Vorfall einem Vorgesetzten gemeldet habe. Erhoffte sie sich eine Beförderung, hatte sie Konkurrenten? Die 48-Jährige antwortet immer gleich: "Ich fand, ich konnte das nicht akzeptieren." Sie spricht langsam und sachlich, man merkt, dass sie mit Rechnungswesen zu tun hat.

"Ich bekomme eine Anzeige dafür, alles richtig gemacht zu haben"

Durch sie kam schließlich eine ganze Reihe von Vorfällen bei der DB Netz AG ans Licht, einem hundertprozentigen Tochterunternehmen der Deutschen Bahn. Etwa ein Dutzend Frauen meldete sich bei der Personalabteilung, vier Fälle wurden angeklagt. So soll der Abteilungsleiter an den Standorten Berlin, Frankfurt und Hannover ihm untergebene Frauen sexuell belästig oder genötigt haben, zwei Mal soll er sogar "dem Beischlaf ähnliche, besonders erniedrigende Handlungen vorgenommen haben", wie es in der Anklageschrift heißt. Das Muster war immer ähnlich. Der Mann soll zu den Frauen ins Büro gegangen sein und die Tür verschlossen haben. Den Mitarbeiterinnen, die "vollkommen perplex" waren, wie die Staatsanwältin sagt, soll er an die Brust gegriffen und versucht haben, sie zu küssen. Zwei Frauen soll er mit dem Finger penetriert haben.

Der Abteilungsleiter, 55, ein unscheinbarer Mann in Jeans und Pulli, erzählt vor Gericht erst einmal von seinem Werdegang. Wie er als Betriebswirt bei der Bahn angefangen, welche "Karriereschritte" er unternommen habe, welche Position für ihn "finanziell interessant" gewesen sei, er klingt, als ginge es um eine Beförderung. Als die Rede auf Renate Müller kommt, sagt er, er habe "Signale" gespürt. Unter anderem habe sie eine dienstliche SMS mit "Liebe Grüße und bis bald!" unterschrieben. Den Vorfall im Büro habe er als "positives, angenehmes Gespräch" in Erinnerung, nach dem man sich in die Arme genommen habe, wie das unter Kollegen schon mal vorkomme. Dass Renate Müller sich danach an einen Vorgesetzten wandte, habe ihm "den Boden unter den Füßen weggezogen". "Ich bekomme eine Anzeige dafür, alles richtig gemacht zu haben."

Vor Gericht werden zwei Dinge klar

Sein Verteidiger sagt, Aussage stehe gegen Aussage und man müsse prüfen, ob die Frauen glaubwürdig seien. Vor Gericht werden dann zwei Dinge klar: Wie schwierig es ist, Verfahren wegen sexueller Nötigung zu führen. Und wie lange es dauern kann, bis es bei sexueller Belästigung am Arbeitsplatz zu Konsequenzen kommt. Die Vorfälle, um die es geht, reichen bis ins Jahr 2002 zurück. Inzwischen ist der Abteilungsleiter gekündigt.

Bei der Deutschen Bahn will man es den Frauen nun leichter machen, übergriffiges Verhalten zu melden. Ute Plambeck, Personalvorstand der DB Netz AG, sagt, es gebe Anlaufstellen und zwei externe Vertrauensanwältinnen, die auf Fälle sexueller Belästigung spezialisiert seien. Dazu würden die Beschäftigten geschult, sexuelle Übergriffe "werden schonungslos geahndet". Renate Müller wird davon nicht viel haben, sie will die Stelle wechseln. "Das belastet mich immer noch." Der Prozess ist bis November terminiert.

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