Verbrechen in den USA:Als der "Axeman" New Orleans in Angst versetzte

New Orleans Louisiana c 1927 Traffic at the intersection of Canal and Carondelet Streets in New O

Eine vibrierende Stadt: New Orleans in den Zwanzigerjahren.

(Foto: imago/UIG)

Vor 100 Jahren wütete ein Serienmörder in der Metropole am Mississippi. Rückblick auf Verbrechen, die bis heue unaufgeklärt sind.

Von Florian Welle

Eine martialische Tatwaffe. Ein mysteriöses Bekennerschreiben. Ein unbekannter Täter. Und viele offene Fragen. Diese krude Mischung hat den "Axeman of New Orleans" zu einem der spektakulärsten Serienmörder der amerikanischen Geschichte werden lassen.

Kaum war der Terror im Herbst 1919 vorbei, gingen die Morde in die Populärkultur ein. So komponierte Joseph John Davilla den Song "The Mysterious Axman's Jazz (Don't Scare Me Papa)". Bis heute inspirieren die nie aufgeklärten Taten, denen binnen 18 Monaten sechs Menschen auf blutrünstige Weise zum Opfer fielen - noch mal genauso viele wurden mit Schlägen auf Gesicht und Kopf übel zugerichtet -, Musiker, Zeichner, Filmemacher.

So taucht der von Augenzeugen vage als groß und kräftig beschriebene Axtmann in der TV-Serie "American Horror Story" auf, und kürzlich erst erschien "Höllenjazz in New Orleans", die Übersetzung von Ray Celestins Thriller "The Axeman's Jazz", in dem der junge Louis Armstrong die Fährte des Mörders aufnimmt.

Bei Celestin ist auch jener Brief zu lesen, den die Zeitung The Times-Picayune aus New Orleans auf dem Höhepunkt der Tatserie wirklich erhielt und am 16. März 1919 veröffentlichte. Darin verhöhnt der Schlächter seine Verfolger und gibt sich als Weggefährte des "Angel of Death" zu erkennen: "I am not a human being, but a spirit and a demon from the hottest hell."

Es folgt ein Vorschlag, der bizarrer nicht sein könnte, damit es zumindest in der darauffolgenden Dienstagnacht keine weiteren Toten gäbe: Jedes Haus, in dem um 00.15 Uhr eine Jazzband spielt, werde verschont. Anderenfalls sei sicher, "dass einige von Euch, die in jener Dienstagnacht nicht jazzen (falls es welche gibt), die Axt zu spüren bekommen werden". Der Axtmörder ein Jazz-Liebhaber?

Wahrscheinlich aber hat sich ein Trittbrettfahrer einen üblen Scherz mit den verängstigten Einwohnern von New Orleans erlaubt. Schließlich lag der letzte Anschlag nur wenige Tage zurück. Am 10. März schlich sich der Mörder ins Schlafzimmer der Familie von Charles und Rosie Cortimiglia, verletzte die Eltern schwer und tötete die zwei Jahre alte Tochter.

Ein Bekennerschreiben, das die Einwohner von New Orleans verhöhnt, war wohl ein Scherz

Es war dies der erste Mord im Jahr 1919, nachdem er ein Jahr zuvor mehrmals zugeschlagen und vier Menschen brutal getötet hatte. So genügte es ihm im Mai 1918 nicht, seine allerersten Opfer, die Gemüsehändler Joseph und Catherine Maggio, mit der Axt hinzurichten, sondern er schnitt dem Paar zusätzlich die Kehlen mit einem Rasiermesser durch. Der Kopf von Catherine soll fast vom Rumpf abgetrennt gewesen sein.

Kein Wunder, dass in der vom vermeintlichen Mörder im Bekennerschreiben geforderten Nacht fast überall in der Stadt Jazzmusik zu hören war. Und wirklich: Es gab keine Toten. Die nächsten Hiebe sausten erst im August nieder. Diesmal trafen sie den Gemüsetandler Steve Boca. Er überlebte, konnte sich danach aber an nichts erinnern.

Genauso wie die 19-jährige Sarah Laumann, die Anfang September im Schlaf getötet werden sollte, aber mit dem Leben davonkam. Weniger Glück hatte Mike Pepitone, das (wohl) letzte Opfer. Er starb in der Nacht des 27. Oktober und hinterließ seine Frau und sechs Kinder. Danach endet die Blutspur. Warum?

Diese Frage löst Spekulationen aus: Wurde der Killer selbst ermordet? Nur ein Rätsel von vielen, das die Geschichte, in der sich über die Jahrzehnte Fakt und Fiktion vermischten, aufgibt. Gehen alle Morde auf das Konto dieses Täters?

Glaubt man Miriam C. Davis, Verfasserin von "The Axeman of New Orleans: The True Story", dann wurde Mike Pepitone nicht mit einer Axt erschlagen, sondern erschossen. Betrachtet man jedes einzelne Tötungsdelikt genau, dann weist jedes Widersprüche auf.

Mehr noch: Lässt sich auch eine Mordserie an Lebensmittelhändlern, die New Orleans 1911 erschütterte, bereits dem berüchtigten Axtmann anlasten? Waffe (eine Axt), Zeitpunkt (in der Nacht), Tatort (das Schlafzimmer) und Tathergang (das blutverschmierte Mordwerkzeug wird stets zurückgelassen) deuten darauf hin. Allerdings bleibt die Frage, warum danach sieben Jahre lang Ruhe herrschte.

In dem Zusammenhang fällt immer wieder der Name Joseph Mumfre oder Momfre. Dieser verbüßte angeblich zwischen 1911 und 1918/19 mehrere Gefängnisstrafen, was die lange Zeitspanne ohne Axtmann-Morde erklären würde.

Mumfre selbst konnte man nie dazu befragen, wurde er doch, der gängigsten Version dieser beliebten Theorie zufolge, von der Witwe Mike Pepitones erschossen, als er im Dezember 1920 vor deren neuem Heim in Los Angeles erschien, um Geld und Juwelen zu erpressen. Andernfalls würde es ihr ergehen wie ihrem Mann, habe Mumfre angeblich gedroht.

War es die Mafia - oder doch ein Mann namens Momfre?

Diese Geschichte hat nach jüngeren Nachforschungen des Schriftstellers Michael Newton nur einen Haken: Es gibt nirgends einen Hinweis auf die Tötung eines Mannes namens Joseph Momfre.

Handelt es sich hier also nur um eine urbane Legende? Doch auch alle anderen Theorien, die versuchen, hinter das Rätsel "Axeman" zu kommen, haben ihre Schwächen. Lange wurde vermutet, die Mafia stecke dahinter, schließlich handelte es sich bei den Opfern meist um italo-amerikanische Gemüsehändler. Aber eben nur meistens. Zudem würde es zur damaligen Mafia nicht passen, Frauen und Kinder zu ermorden.

Zuletzt: Eine Mafia-Organisation, wie wir sie heute kennen, gab es zu dieser Zeit in New Orleans noch nicht. Raubmord passt auch nicht, es wurde nie etwas entwendet.

Bleibt: ein Rassist mit Hass auf Immigranten oder schlicht ein Psychopath. Vielleicht vom Typ Dr. Jekyll und Mr. Hyde? Oder doch ein Dämon aus der Hölle.

Dieser Text erschien zuerst in der SZ vom 28.09.2019.

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