Prozess gegen Raser:War es Mord?

Neuer Prozess nach tödlichem Autorennen

Das Bild aus dem Februar 2016 zeigt den Ort an der Tauentzienstraße, an dem der Rentner getötet wurde.

(Foto: Britta Pedersen/dpa)

Marvin N. nahm 2016 auf dem Berliner Kurfürstendamm an einem illegalen Straßenrennen teil, bei dem ein Rentner zu Tode kam. Zum dritten Mal muss das Berliner Landgericht darüber entscheiden, ob er ein Mörder ist.

Von Verena Mayer, Berlin

Er habe gedacht, er sei einer der wenigen Menschen, die das Fahren eines Autos bis zur Perfektion beherrschen, hat Marvin N. in einem Prozess gesagt. Daher hatte er einen AMG-Mercedes mit 380 PS und zögerte auch nicht, als er im Februar 2016 auf dem Berliner Kurfürstendamm neben einem Audi A6 zu stehen kam und von dessen Fahrer zu einem Rennen aufgefordert wurde. Die beiden Männer fuhren mit bis zu 160 Stundenkilometern über mehrere rote Ampeln, an der Tauentzienstraße rammte Hamdi H. den Jeep eines Rentners, der bei Grün in die Kreuzung einfuhr. Der Jeep wurde 70 Meter über die Straße geschleudert, der Mann starb noch am Unfallort.

Marvin N. weiß, dass er ein Raser ist, vor Gericht ließ er seinen Anwalt verlesen, er bereue sein "Maß an Selbstüberschätzung". Aber ist er auch ein Mörder? Jemand, der aus Heimtücke und mit niedrigen Beweggründen einen anderen Menschen tötet? Diese Frage beschäftigt seit mehr als drei Jahren die deutsche Justiz. Im ersten Prozess vor dem Berliner Landgericht wurden Marvin N. und Hamdi H. 2017 wegen Mordes verurteilt. Die beiden hätten zwar niemanden töten wollen, so die Richter, doch wer mit 160 km/h durch eine belebte Innenstadt rast, nehme den Tod anderer billigend in Kauf, handle also mit einem bedingten Tötungsvorsatz. Das Urteil fiel in eine Zeit, als die Gesetze gegen Teilnehmer illegaler Straßenrennen verschärft wurden, und hatte Signalwirkung: Wer auf der Straße jemanden totfährt, kann dafür lebenslang ins Gefängnis kommen.

Doch der Bundesgerichtshof hob das Urteil auf, weil das Landgericht den bedingten Tötungsvorsatz nicht ausreichend belegt habe. Ein zweites Urteil des Berliner Landgerichts verhängte 2019 abermals lebenslange Haftstrafen wegen Mordes. Der BGH bestätigte dann das Urteil gegen Hamdi H., hob den Schuldspruch gegen Marvin N. aber auf. Das Berliner Landgericht muss nun zu einer dritten Entscheidung finden.

"Große Bandbreite an möglichen Ausgängen"

Marvin N., 28 und zuletzt bei einer Sicherheitsfirma beschäftigt, sitzt am Dienstag mit stoischem Blick auf der Anklagebank. Sein Fall steht dafür, wie kompliziert ist es ist, die Teilnahme an illegalen Straßenrennen juristisch aufzuarbeiten. Marvin N. wurde wegen gemeinschaftlich begangenen Mordes verurteilt - und das, obwohl sein Mercedes den Jeep nicht gerammt hatte und er, im Gegensatz zu seinem Kontrahenten, an zwei roten Ampeln stehen geblieben war, ehe er die Verfolgung von Hamdi H. aufnahm, um die "angestrebte Selbstbestätigung" zu erlangen, wie es in der Anklageschrift heißt. Auch setzt ein gemeinschaftlich begangener Mord voraus, dass man die Tat gemeinsam beschließt. Ob und wo das passiert sein könnte, muss das Landgericht klären.

Offen ist auch die Frage, inwiefern man den Tod von jemandem billigend in Kauf nehmen kann, wenn man sich dabei selbst in Gefahr bringt. War Marvin N. das Rennen so wichtig, dass er dafür sein eigenes Leben aufs Spiel setzte? Oder fühlte er sich als so guter Autofahrer, dass er auf ein sicheres Ende des Rennens vertrauen konnte? "Wir haben eine ausgesprochen große Bandbreite an möglichen Ausgängen", sagt dann auch der Vorsitzende Richter.

Auch Hamdi H. wird aussagen

Nun müssen alle Zeugen noch einmal erscheinen, die Polizisten, die Gutachter, die junge Frau, die bei Marvin N. im Auto saß und schwer verletzt wurde. Und auch der zweite Fahrer, Hamdi H., wird nach seiner Version gefragt werden, als rechtskräftig Verurteilter hat er kein Recht, die Aussage zu verweigern. Der Sohn des Opfers ist ebenfalls wieder in den Gerichtssaal gekommen. Es falle ihm schwer, hier zu sein und alles wieder "hochkommen zu lassen", sagt Maximilian W. Aber er tue es aus Prinzip. "Es kann nicht sein, dass Unschuldige zu Schaden kommen, weil Leute auf der Straße ihren Kick ausleben müssen."

Wie aktuell das Thema ist, zeigt ein Vorfall aus Berlin. Ende August raste ein 29-Jähriger mit einem Mietwagen über den Kurfürstendamm, wohl als Teilnehmer eines illegalen Rennens. An einer Kreuzung rammte er einen Ford, in dem eine Mutter mit ihrer Tochter saß. Das Mädchen wurde schwer verletzt, die Frau lag danach im Koma.

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