Autoren:Die Unterwasserschreibmaschine

Man nehme: Selbstbewusstsein, eine gute Story und ein ausgeklügeltes Marketing - Frank Schätzings kalkulierter Erfolg nach amerikanischer Art.

Von Cathrin Kahlweit

Eine merkwürdige Geschichte ist das: Seit ungefähr 30 Jahren trägt er einen Ring am Finger, den ihm seine Eltern aus Griechenland mitgebracht hatten. Und erst jetzt, als er nach dem Ring mit dem ungewöhnlichen Stein gefragt wird, stellt er überrascht fest, dass rechts und links davon zwei silberne Fische eingelassen sind. Dabei hat er gerade tausend Seiten über die Unterwasserwelt geschrieben, die unter dem Titel "Der Schwarm" zu einem Bestseller wurden, er ist also quasi mit Fischen und anderem Meeresgetier bekannt geworden. "War mir nie aufgefallen", sagt Frank Schätzing und dreht den Ring am Finger hin und her. Allerdings könnten Schmuck und Reaktion auch ein Marketing-Gag sein: Schließlich hat der Kölner auch deshalb so viel Erfolg, weil er nichts dem Zufall überlässt.

Werbeleute planen Kampagnen, um Produkte zu verkaufen. Schätzing, Creativ-Direktor und Teilhaber einer Werbefirma in der Kölner Innenstadt, hat das Buch und seinen Erfolg minutiös geplant. Aus dem Stand sprang sein Buch, als es im März erschien, ganz nach oben auf die Bestsellerlisten, eine viertel Million hat er schon verkauft, nicht zu vergessen Dutzende von Auslandslizenzen. Bei der ZDF-Aktion "Das große Lesen" kam Schätzing jüngst immerhin auf Platz 50. Auf der Frankfurter Buchmesse, die am morgigen Mittwoch beginnt, wird er mit Lesungen, Interviews und Signierstunden hofiert. Demnächst erhält er den internationalen Buchpreis "Corine".

Der Anruf in Hollywood war einkalkuliert

Schätzing ist darüber nicht undankbar, aber auch nicht sonderlich überrascht: Er hatte schon als Werber Erfolge gefeiert und wollte "mal was Längeres schreiben". Mit seinem ersten Köln-Krimi "Tod und Teufel" (1995) bastelte er klammheimlich einen Bestseller und wurde, zumindest in Nordrhein-Westfalen, ein Großer. Nur nahm das die literarische Welt nie wahr, weil sein Verlag, Emons, recht klein und sehr lokalpatriotisch war, und weil Mittelalterkrimis die Branche nicht sonderlich erregen.

Schätzing suchte also weiter nach dem Rezept für einen Erfolgsroman und versuchte es mit einem Krimi über Bill Clinton; der lief beileibe auch nicht schlecht. Aber noch hatte er die Zutaten für einen echten Thriller amerikanischer Machart nicht zusammen, Thriller, wie Michael Crichton, John Grisham oder Dan Brown sie schreiben können. Dann kam die Idee mit dem Meer und den Fischen. Und alles war klar, selbst der Anruf aus Hollywood war einkalkuliert, bevor das Werk in Druck ging.

Fundierte Sintflut

Worum es geht? "Der Schwarm" entfaltet ein grandioses Szenario, in dem sich denk- und lernfähige Einzeller in der Tiefe der Ozeane organisieren, um Rache an der Menschheit zu nehmen, weil sie die Meere leerfischt und vergiftet. Wissenschaftler werden zusammengetrommelt, um die Ursache der Naturkatastrophen zu erforschen, die die Erde bedrohen. Der Untergang der Welt ist schließlich fast besiegelt - aber weil am Ende jedes anständigen Thrillers, den Hollywood verfilmen soll, ein happy ending stehen muss, gibt es auch am Ende von Schätzings Roman zumindest einen Aufschub für die Menschheit. Und ein Liebespaar gibt es auch.

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Jahrelang hat der 47-Jährige für den Plot bei Wissenschaftlern recherchiert, hat so viel Faktenwissen über Meeresbiologie, Klimaforschung und Biogenetik erfragt und angelesen, dass es für drei Examina an der Kölner Universität gereicht hätte - und hat erst dann seine wissenschaftlich fundierte Sintflut inszeniert.

Seitenweise referiert er im "Schwarm" Erkenntnisse über den Methanabbau an Kontinentalhängen, die Konstruktion von Forschungsschiffen oder die Entstehung von Riesenwellen, den Tsunamis. Das Ganze hätte natürlich auch schief gehen können, weil nicht jeder, der einen Unterhaltungsroman kauft, sich stundenlang belehren lassen will. Aber das Buch ist aufregend, und wer sich schon immer gern vor der Klimakatastrophe gegruselt hat, ohne deshalb sein Auto stehen zu lassen oder seltener in die Karibik zu fliegen, der bekommt hier den ultimativen Kick.

Berufswunsch Popstar

Schätzing und sein Verlag waren sich ganz sicher: "Der Trend geht von der Belletristik zum Sachbuch", glaubt der Verleger, Helge Malchow von Kiepenheuer und Witsch, "immer mehr Menschen sind dankbar, wenn sie beim Lesen das Gefühl haben, viele Fakten mitgeliefert zu bekommen." Auch der Literaturkritiker der Welt, Uwe Wittstock, beobachtet diesen Trend: "Nach dem Motto 'Geiz ist geil' kaufen die Leser gern Geschichten, in denen Sachbücher enthalten sind."

Ansonsten beharren Malchow und Wittstock darauf, dass man einen Bestseller nur bedingt planen kann; nur wirklich gut erzählte Bücher würden mit dem entsprechenden Marketing in der Regel ein Erfolg. Schätzing sieht das professioneller, vielleicht amerikanischer: Er hatte sich ganz bewusst "ein Megathema gesucht, bevor es andere tun. Ich hatte Angst, dass Michael Crichton schneller ist als ich". Auch der US-Autor Crichton ist auf das Rezept "Thriller plus Wissenschaft" spezialisiert.

An Selbstbewusstsein fehlt es dem Kölner nicht: Als er im Kino einen Trailer für Roland Emmerichs Blockbuster "The day after tomorrow" sah, in dem die Welt aufgrund der Klimakatastrophe auch kurz vor dem Untergang steht, war er kurz fassungslos. Nicht etwa, weil ihm da einer das Thema geklaut hätte, sondern: "Eine kurze Schocksekunde lang dachte ich, Emmerich hätte mein Buch schon verfilmt." Hätte Schätzing mitbekommen, dass ein anderer an einem Umweltthriller seines Kalibers arbeitet, hätte er ein anderes Megathema aus der Schublade gezogen: "Ich hatte als Alternative die Nanotechnologie in Planung."

Als er klein war, wollte Frank Schätzing Popstar werden. Oder Schauspieler. Oder Schriftsteller, jedenfalls bekannt. Sein Auftritt passt zu diesem Wunsch: graues, schulterlanges Haar, Cowboy-Boots, Jeans und schwarzes Hemd; er ist geistreich, smart, locker. Jetzt ist er Popstar, Schauspieler und Schriftsteller gleichzeitig: Das Buch hat eine eigene, von Schätzing entworfene Corporate Identity; das Cover, die blaue Iris eines Auges auf schwarzem Grund, prangt auch auf den Plakaten und auf den Hörbüchern. Er hat eigens eine Schrift für den Buch-Titel entworfen.

Mehr als ein Rezept für gelungene Inszenierung

Für das Hörbuch hat er selbst die Musik geschrieben und größtenteils selbst eingespielt; Schätzing ist auch Komponist, spielt Keyboards und hat sein eigenes Studio. Anstelle von Lesungen präsentiert er eine Multimediashow, bei der er auf der Bühne mit den Figuren aus seinem Roman spricht, die aus Lautsprechern zugeschaltet werden; im Hintergrund laufen Filmausschnitte aus dem Unterwasserfilm "Deep Blue", die er der BBC abgeschwatzt hat. Der Mann und sein Buch - ein Gesamtkunstwerk.

Und doch muss da natürlich mehr sein als ein gutes Marketing und ein Verlag, der an sein Projekt glaubt. Thomas Tebbe, Belletristik-Lektor beim Münchner Piper-Verlag, erklärt den Erfolg der Konkurrenz so: "Der Autor ist gut inszenierbar. Die Story ist spannend. Das Buch ist auffällig. Aber wenn es so einfach wäre, würden es alle machen." Nein, findet Tebbe, so einen Thriller müsse man erst mal schaffen! Und das könnten eben die wenigsten, zumal in Deutschland: "Die deutsche Literatur ist nicht bekannt für ihren Handlungsreichtum", stellt der Lektor fest.

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Und so ist eben mit dem Rezept für eine gelungene Inszenierung von Autor und Werk noch nicht die ganz Erfolgsgeschichte dieses deutschen Buches und seines Erfinders erzählt. In der angelsächsischen Welt sind Unterhaltungs-Bestseller auf hohem Niveau und professionell inszenierte Bestseller-Autoren ja nichts Ungewöhnliches, dagegen gibt es kaum international erfolgreiche Unterhaltungs-Autoren deutscher Provenienz.

Schätzing ist einer. Er weiß auch bei Erzähltechniken, Spannungsbögen und Schockeffekten, was er tut: "Ich setze auf das Spektakuläre. Ich habe den Mut zur Eskalation und zu Klischees, den Mut zu echtem Entertainment." Dieser Mut gehe den meisten deutschen Kollegen ab, findet er. "Bei uns gibt es entweder U oder E, entweder Unterhaltung mit Dieter Bohlen und Hera Lind oder Ernsthaftes von Günter Grass." Schätzing wollte großes Kino entwerfen, er wollte tun, was Stephen King oder John Grisham bisher am besten konnten - ein Buch wie ein Drehbuch schreiben, bei dem das Rezept heißt: große Katastrophe plus großes Gefühl plus wichtige Botschaft gleich Erfolg.

Zu einfach gestrickt

Die Welt der Feuilletons ist tief gespalten ob eines Autors, der sich nicht an die Regeln deutscher Bescheidenheit hält. Der von sich selbst sagt, er sei kein großer Stilist, wisse aber, welche Register man ziehen muss. Und der vor allem eines will: sein Buch verkaufen. Die taz findet, die Schwäche des Buches habe "schon fast tragische Züge". Da wolle ein deutscher Verlag den amerikanischen Thrillerautoren ein Produkt aus eigener Produktion entgegensetzen. Aber: Es sei ideologisch zu einfach gestrickt. Auch der Rezensent der SZ lästerte, Schätzing ergehe sich in einem "Öko-Pantheismus"

Schätzing ist das alles ziemlich wurst. Er sagt lässig wie immer: "Ich bin Mainstream." Der Mainstream - das ist die Mehrheit, und die kauft bekanntlich die meisten Bücher. Der Mainstream geht auch am häufigsten in Mainstream-Filme. Deshalb haben Schätzing und sein Verlag einen Agenten in Hollywood engagiert. Peter Jackson könnte man sich vorstellen, den Regisseur des "Herrn der Ringe". Jackson, den Kultregisseur? Geht es nicht ein bisschen kleiner? "Warum sollte es?" sagt Schätzing und lehnt sich entspannt in seinen Bürosessel zurück. "Diese Auswahl ist nicht unrealistisch."

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