Süddeutsche Zeitung

Automatisierung:San Francisco verbannt rollende Roboter aus der Innenstadt

Ausgerechnet in der Metropole sind selbstfahrende Rollcontainer unerwünscht, die Essen oder Päckchen ausliefern. Dahinter steckt die Grundsatzfrage, wer in der fortschrittlichen Westküstenstadt das Sagen hat.

Von Johannes Kuhn, San Francisco

Die Straßen von San Francisco sind ziemlich steil und selten leer: Touristen im Hippielook drängen sich neben jungen Programmierern, die sich und ihre erstaunlich teuren Laptop-Taschen zum Firmenbus Richtung Silicon Valley schleppen; Obdachlose sehen von ihren Kartonbehausungen am Straßenrand aus zu, wie selbstfahrende Autos ihre Testrunden im dichten Verkehr drehen. Die tolerante Metropole an der amerikanischen Westküste stört sich nur selten an diesen Unterschieden. Dass ihr das Treiben einmal zu bunt wird, galt deshalb lange als ausgeschlossen. Doch nun hat der Stadtrat tatsächlich einen Störenfried identifiziert, der keinen Platz im Stadtbild haben soll: den Liefer-Roboter.

Ein paar Start-ups lassen testweise kleine Rollcontainer-Boten Essen oder Päckchen ausfahren. Sie lassen sich per Smartphone-App öffnen, ihren Weg zur gewünschten Adresse finden sie selbständig. Dabei zuckeln sie über den Gehsteig. Und genau das rief Stadtrat Norman Yee auf den Plan: "Nicht jede Erfindung ist gut für die Gesellschaft", schimpfte er, "was passiert hier, wenn wir nicht in ein Geschäft gehen können, ohne von einem Roboter überfahren zu werden?" Unterstützung erhielt er von Fußgänger-, Rollstuhlfahrer- und Seniorengruppen.

Menschliche Begleitung ist erforderlich

Obwohl Yee von ständigen Beschwerden berichtet, bekamen die Anwohner die Testroboter dem Vernehmen nach nur selten zu Gesicht. Die selbstfahrenden Boten können ohnehin Fußgänger erkennen und ihnen ausweichen, für den Notfall ist ihnen derzeit noch ein Mensch auf den Fersen, der per Joystick eingreifen und Kollisionen verhindern kann. Dennoch hat der Stadtrat strenge Regeln für die Roboter erlassen: Nur neun von ihnen dürfen gleichzeitig im Stadtgebiet fahren und das in menschlicher Begleitung und auf ausgewählten Straßen, die vorwiegend in wenig bevölkerten Industriegebieten liegen. Die Höchstgeschwindigkeit liegt bei 4,8 Kilometern pro Stunde - die Bundesstaaten Virginia, Idaho, Wisconsin und Florida erlauben den autonomen Lieferboten mehr als das Dreifache. Die Auflagen kommen einem Verbot ziemlich nahe.

Hinter dem Roboterbann steckt die Grundsatzfrage, wer in San Francisco das Sagen hat. Über Jahre pflegte die Stadt eine allzu große Nähe zur Technologiebranche, lockte Jungfirmen wie Twitter mit Steuernachlässen an, ließ trotz explodierender Mietpreise das ortsansässige Airbnb gewähren und präsentierte sich stolz als Metropole des Fortschritts. Weil Normalverdiener sich die Stadt jedoch inzwischen kaum noch leisten können und Aktivisten Druck machen, positioniert sich der Stadtrat immer kritischer. Yees Kollegin Jane Kim forderte gar eine Robotersteuer, um die Folgen der Automatisierung abzufedern. "Sollen die Reichen noch einen Luxus per Fingerwischen bekommen, der ihnen Geld spart und kein Trinkgeld kostet?", fragte eine Senioren-Aktivistin während der Anhörungen. Die Lieferroboter seien ein weiteres Beispiel für die "Apartheid in San Francisco, die Kluft zwischen Besitzenden und Besitzlosen".

Gesetze wie aus der Frühzeit des Automobils

Ein Sprecher der Automatisierungsbranche vergleicht die neu erlassenen Auflagen mit Gesetzen aus der Frühzeit des Autos, nach denen ein Mann mit einer roten Flagge den "pferdelosen Kutschen" vorangehen musste. Ob Lieferroboter wirklich die Zukunft sind und ob sie auf den Gehsteig gehören, ist allerdings selbst in Tech-Kreisen umstritten.

Aber nicht nur die profitorientierte Technikbranche, sondern auch das gemeinnützige örtliche Tierheim setzt auf die selbstfahrenden Wägelchen. Die Einrichtung ist in die Schlagzeilen geraten, weil sie einen 95 Zentimeter hohen Sicherheitsroboter um ihr Grundstück patrouillieren lässt. Er filmt seine Umgebung und setzt Laser und Wärmesensoren ein, um verdächtige Aktivitäten zu melden. Die Zahl der geknackten Autos und der Obdachlosenzelte rund um das Tierheim sei dadurch gesunken, heißt es. Kritiker schimpfen: Ob einem Heim für obdachlose Tiere nichts Besseres einfällt, als einen Roboter gegen obdachlose Menschen einzusetzen? Das Gerät wurde mehrmals Opfer von Vandalismus, Unbekannte beschmierten es mit Barbecue-Sauce und Fäkalien. Die Stadt hat das Tierheim inzwischen aufgefordert, die Roboterpatrouillen einzustellen.

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Quelle:
SZ vom 15.12.2017/ees
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