Australien:"Unsere Familie ist wieder vollständig"

18 Tage lang hatte die Polizei in Westaustralien nach der vierjährigen Cleo Smith gesucht. Sie war mitten in der Nacht aus einem Zelt verschwunden. Die Polizei fand sie nun im Haus eines Fremden und feiert das Wunder von Carnarvon. Doch es bleiben viele offene Fragen.

Als das kleine Mädchen in die Augen der fremden Männer in Uniform blickte und sagte: "Mein Name ist Cleo", waren die Polizisten zu Tränen gerührt. So erzählt es der Vize-Polizeichef Col Blanch in einem Interview mit dem örtlichen Radiosender 6PR. Selbst erfahrene Ermittler konnten ihre Erleichterung kaum verbergen. Die Beamten hatten zuvor mitten in der Nacht ein abgeschlossenes Haus aufgebrochen und die Vierjährige aus einem der Zimmer befreit. Nicht nur die besorgten Eltern, halb Australien schien nun aufzuatmen. "Unsere Familie ist wieder vollständig", schrieb die Mutter, Ellie Smith, auf Instagram. Im Frühstücksfernsehen sprachen die Moderatoren mit gebrochener Stimme, als sie die gute Nachricht vermeldeten. Ein Wunder sei geschehen.

18 Tage zuvor war Cleo nachts von einem Campingplatz in Westaustralien verschwunden. Die Familie - Ellie Smith, ihr Lebensgefährte und die beiden Töchter - waren mit dem Zelt unterwegs und wollten bei den Blowholes ein paar unbeschwerte Tage verbringen. Diese Meereshöhlen, aus denen die Brandung spritzt, sind ein beliebtes Ausflugsziel am Indischen Ozean und liegen etwa 75 Kilometer nördlich von Carnarvon, wo Cleos Familie lebt.

Der Zelt-Reißverschluss war verdächtig weit geöffnet

Am Morgen des 16. Oktober wachte die Mutter um sechs Uhr morgens auf, wie sie später erzählte, und stellte fest, dass Cleo aus einem der beiden Räume des Familienzeltes verschwunden war. Dort habe ihre Tochter neben der kleinen Schwester geschlafen. Auch der Schlafsack des Mädchens fehlte. Und: Der Zelt-Reißverschluss sei bis zu einer Höhe geöffnet gewesen, die die Vierjährige selbst nicht hätte erreichen können. Seither wurde das Kind nicht mehr gesehen.

Die Polizei richtete eine 100-köpfige Sonderkommission ein. Die einzige Spur ist die Aussage von Zeugen, die in der Nacht von Cleos Verschwinden ein Auto vom Campingplatz wegfahren sahen. Aber weder die Automarke noch das Nummernschild sind bekannt. Für die Eltern und viele Beobachter gab es nur eine plausible Erklärung: Die kleine Cleo wurde entführt. Immer wieder wendeten sie sich mit verzweifelten Aufrufen an die Öffentlichkeit - in der Hoffnung, den oder die Täter zu überzeugen, das Mädchen freizulassen. "Es ist eine bemerkenswert dreiste und schockierende Sache, zu einem Campingplatz zu gehen, ein Zelt aufzumachen und ein kleines Mädchen mitzunehmen", sagte der Premierminister von Western Australia, Mark McGowan, am Mittwoch. "Es ist unfassbar, dass jemand so etwas tut."

Die Regierung des Bundesstaates Westaustralien setzte schließlich eine Belohnung von einer Million australischer Dollar (rund 650 000 Euro) für Hinweise aus, die zum Auffinden des Mädchens führen. Bis zum Wochenende waren bereits etwa 200 Hinweise eingegangen und große Mengen Videomaterial aus Überwachungskameras hochgeladen worden, teilte die Polizei am Wochenende mit. Die Familie werde nicht verdächtigt, man vermute, dass Cleo von einem "opportunistischen" Täter entführt worden sei, wie die australische Nachrichtenagentur AAP berichtete.

Ein 36-Jähriger wurde in Gewahrsam genommen

Die Anteilnahme war nach dem Verschwinden des Mädchens riesig - nicht nur in Australien. Auf Instagram versuchten Menschen unter anderem aus Schottland, den USA und Deutschland, der Familie Mut zu machen. Vermutlich auch, weil der Fall an den der damals dreijährigen Britin Madeleine McCann erinnerte, die am 3. Mai 2007 in Portugal aus einer Apartment-Anlage spurlos verschwunden war. Das ungeklärte Schicksal des Mädchens sorgt bis heute für Schlagzeilen. Als Ermittler im vergangenen Jahr überraschend bekannt gaben, dass ein Deutscher unter Mordverdacht steht, keimte zumindest Hoffnung auf späte Gewissheit auf. Bisher gibt es aber keinen Durchbruch in den Ermittlungen.

Anders bei Cleo. Sie sei körperlich unversehrt und inzwischen wieder zu Hause bei ihren Eltern, sagten die Ermittler bei einer Pressekonferenz am Mittwoch. Dass sie nach knapp zweieinhalb Wochen in dem Haus in Carnarvon, rund 900 Kilometer nördlich der Regionalhauptstadt Perth, gefunden werden konnte, "war hartnäckige, methodische Polizeiarbeit", erklärte Polizeikommissar Chris Dawson. Die Ermittler hätten Tausende forensische Exponate, Daten und Informationen aus der Gemeinde gesammelt und jeden Hinweis genau geprüft. Welcher letzten Endes zum Erfolg führte, verriet er nicht.

Und auch die größte Frage ist noch offen: Wer hat Cleo entführt? Ein 36-Jähriger aus Carnarvon, der keine Verbindung zur Familie habe, sei in Gewahrsam genommen und befragt worden, gab die Polizei bekannt. Nach Angaben des australischen Senders ABC war er der Bewohner des Hauses, in dem Cleo jedoch allein gefunden wurde. Das Gebäude liege nur drei Kilometer vom Wohnhaus der Familie entfernt. Ein Nachbar habe berichtet, den Mann kürzlich beim Kauf von Windeln im Supermarkt gesehen zu haben. Darüber habe er sich gewundert.

Zur SZ-Startseite

SZ PlusReden wir über Geld
:"Mein Job ist: die Geiseln zurückzubekommen, heil und gesund"

Oliver Schneider war Offizier im Kommando Spezialkräfte, heute berät er in Entführungsfällen. Ein Gespräch über den Wert eines Menschenlebens und Schweißausbrüche im Minenfeld.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: