Australien:Überlebenskampf am Ende der Welt

Von einer mysteriösen Krankheit bedroht, von eingeschleppten Füchsen verfolgt - wenn nicht bald Hilfe kommt, stirbt der Tasmanische Teufel aus.

Von Urs Wälterlin

Hobart, im März - Die erste Begegnung mit dem Teufel ist eher unerfreulich. ¸¸Da ist einer", sagt Nick Mooney und steigt auf die Bremse. Mit einem Ruck kommt der Kleinlaster zum Stehen. Mooney, ein drahtig gebauter 50-Jähriger mit schütterem Haar, geht zur Straßenmitte. Vor ihm liegt mit grotesk aufgerissenem Mund und matten Augen das Wahrzeichen des australischen Bundesstaates Tasmanien: der Tasmanische Teufel, ein Fleisch fressendes Beuteltier von der Größe eines kleinen Hundes.

Australien: Fleischfressendes Beuteltier, existenzgefährdet: Der Tasmanische Teufel

Fleischfressendes Beuteltier, existenzgefährdet: Der Tasmanische Teufel

(Foto: Foto: Talune Wildlife Park)

Dieser hier hat in der Nacht den Gang auf die andere Straßenseite nicht überlebt. Mooney greift in die blutige Masse aus Fell, Knochen und Gedärm und inspiziert den zerschmetterten Kopf. ¸¸Alles klar", sagt er erleichtert. ¸¸Gesund."

Es ist ein böses Omen, wenn ein Biologe ein zu Brei gefahrenes Tier als gesund befindet. Nick Mooney aber interessiert sich nicht für die tödlichen Verletzungen. Der kleine Tasmanische Teufel auf der Straße 50 Kilometer nördlich der tasmanischen Hauptstadt Hobart hat zumindest äußerlich keine Symptome für eine viel größere Gefahr: für eine Krankheit, die das Ende dieser einzigartigen Tierart bedeuten könnte.

Devil Facial Tumor (DFT gleich Teufel-Gesichtsgeschwür) nennen die Wissenschaftler die Seuche, die sich durch die Kolonie der Tasmanischen Teufel frisst. Bereits 50 Prozent der rund 150 000 Tiere sind an der Krankheit zugrunde gegangen.

Jede Nacht stellt Nick Mooney Kontrollfallen auf - mit Atemschlitzen versehene Plastikröhren. Noch vor kurzem knurrte am Morgen in fast jeder ein ungeduldiger Tasmanischer Teufel. Heute sind sie oft leer. ¸¸Wenn das so weitergeht, werden wir die Tiere bald nur noch auf Fotos sehen können", sagt der Forscher. Mit seinem glänzend schwarzen Fell und den weißen Flecken an Brust und Rücken sind Tasmanische Teufel eigentlich ganz putzig. Wenn nur diese scharfen Raubtierzähne nicht wären.

Auf dem australischen Festland ist der Tasmansiche Teufel bereits ausgerottet. Er lebt nur noch auf der Insel Tasmanien. Tagsüber schläft er. In der Nacht streift er dann durch das Gelände und sucht nach Aas und verletzten Tieren - Kängurus, Vögel, Reptilien. Wird er fündig, zerreißt er die Beute in wilder Gier. Die ersten Siedler in Tasmanien waren überzeugt davon, der Teufel persönlich wüte im dunklen Unterholz, so Furcht erregend sind die Geräusche, die Tasmanische Teufel beim Fressen von sich geben.

Ungebetene Einwanderer

Die Einstellung der Einwohner zu den Tasmanischen Teufeln hat sich mittlerweile geändert. Nicht nur, dass die Tiere als Gesundheitspolizei der Natur wichtig sind, sondern auch als Devisenbringer: ob in Tierparks oder in so genannten Teufel-Restaurants, in denen Touristen sie beim Fressen beobachten können, ob auf Postkarten oder als Plüschtiere - Tasmanische Teufel sind für die Reiseindustrie eine Attraktion geworden, die Millionen einbringt.

Nick Mooney ist mehr als besorgt. Er ist außer sich. Es ist nicht nur die mysteriöse Teufel-Gesichtsgeschwür-Krankheit, die dem Biologen den Schlaf raubt, es ist auch die Furcht vor dem Zusammenbruch der jahrtausende alten Hierarchie der Natur auf seiner Insel. Den kranken Teufeln lauert auch ein ungebetener Einwanderer aus Europa auf: der Fuchs. In Australien nicht heimisch und in Tasmanien bis vor kurzem unbekannt, könnten Füchse der geschwächten und bis auf wenige tausend Tiere reduzierten Teufel-Kolonie den Rest geben.

¸¸Der Fuchs würde den Platz an der Spitze der Nahrungskette sofort ausfüllen", sagt Mooney. Auf dem australischen Festland sind Füchse für die Ausrottung dutzender Kleintierarten verantwortlich. Sie sind eine Plage, die Siedler vor 200 Jahren aus Europa eingeschleppt haben. Als Jagdgehilfen.

Eine derartige ökologische Katastrophe könnte sich nun in Tasmanien wiederholen, warnt Chris Emms vom Agrarministerium: ¸¸Vor ein paar Jahren brachten Jäger illegal 20 Jungfüchse vom australischen Festland auf die Insel und setzten sie aus." Seitdem suchen Emms und seine Helfer jede Nacht im Licht von Scheinwerfern nach Füchsen, Gewehr im Anschlag. Bisher wurden erst ein paar gesichtet. ¸¸Zum Glück", sagt Chris Emms. ¸¸Wenn es mehr wären, hätten wir den Kampf bereits verloren."

Im Obduktionssaal des Landwirtschaftsdepartements in der Stadt Launceston riecht es nach Formalin und Blut. Der Glasschrank ist ein Gruselkabinett. Veterinärpathologe Stephen Pyecroft erklärt die Präparate. Tumore, groß wie Äpfel, die sich von den Lippen der Tiere durch den Kiefer in die Augenhöhle fraßen, schwimmen in beschrifteten Marmeladegläsern herum.

¸¸Das Geschwür scheint immer vom Gesicht auszugehen", sagt der Wissenschaftler. ¸¸Der Erreger wird wahrscheinlich beim Fresskampf durch Bisse übertragen." Ähnlich einem Basalzellenkrebs, der auch Menschen befallen kann, greift der Tumor Haut, Muskeln, Knochen und innere Organe an. Nach sechs Monaten sterben die Tiere. Meist verhungern sie, weil ihnen Speiseröhre und Mund zuwachsen.

Das Gift der Jäger

Es bleiben viele offene Fragen. Untersuchungen lassen die Vermutung zu, es handle sich um ein Retrovirus - ähnlich dem Aids-Erreger HIV -, das den Tumor auslöst. Aber das sei nur eine Theorie, meint Pyecroft. Über die Ursachen für die mysteriöse Krankheit gibt es bislang nur Spekulationen. Auch darüber, ob die Krankheit von den Tasmanischen Teufeln auf andere Tiere übertragen werden kann - oder gar auf den Menschen. Nichts als Mutmaßungen.

Die Freycinet-Halbinsel im Südosten von Tasmanien ist eine Landschaft von paradiesischer Schönheit. Menna Jones schaut auf den Boden. Mit einem kleinen Stock hebt sie ein Stück ausgetrockneten Teufelskot hoch. ¸¸Der ist zwei Tage alt", sagt sie mit bewundernswertem Enthusiasmus. ¸¸Und das hier sind Knochenstücke eines Kängurus, das ist das Fell eines Kleinbeutlers." Jones ist Zoologin an der Universität von Tasmanien in Hobart und eine der weltweit führenden Expertinnen für Tasmanische Teufel.

Seit 1999 stellt sie einen dramatischen Rückgang der gesichteten Tiere fest. Die Geschwüre allein würden ihr keine allzu großen Sorgen machen. Solche Krankheitsepisoden seien auch bei anderen Tierarten nichts Außergewöhnliches, ein natürlicher Reinigungsprozess. ¸¸Danach erholen sie sich wieder - in diesem Fall aber nur, wenn wir den Fuchs unter Kontrolle halten können."

Offiziell mag die Forscherin den Grund für die Krankheit in evolutionären Theorien suchen, andere Ursachen für die Krankheit will sie aber nicht ausschließen. Es sei durchaus möglich, dass Einflüsse auf die Umwelt für den Ausbruch der Seuche verantwortlich seien, sagt sie. Abwartendes Schweigen.

Sie weiß nur zu gut, das sie damit ein Tabuthema in Tasmanien angeschnitten hat. Zwar verkauft sich die Insel gegenüber Touristen aus aller Welt als grün und sauber. Die Regierung aber erlaubt der politisch mächtigen Holzindustrie den Kahlschlag jahrtausendealter Urwälder, um Platz für Plantagen zu schaffen. Nicht nur, dass dadurch die natürlichen Lebensräume für einheimische Tiere und Pflanzen immer kleiner werden. Damit die Sprösslinge neu gesäter Plantagenbäume nicht gefressen werden, töten Holzfäller auch Tiere wie Kängurus zu Tausenden mit starkem Gift.

Für die Tasmanischen Teufel sind die Kadaver ein gefundenes Fressen. Ob die Krankheitswelle in Zusammenhang mit dieser Praxis steht - niemand weiß es, niemand kann es beweisen. Einige Experten aber fürchten es. Darüber sprechen wollen sie jedoch nur hinter vorgehaltener Hand. Tasmanien sei ¸¸wie ein kleines Dorf", meint einer. ¸¸Jeder kennt jeden." Wer hier als Nestbeschmutzer gesehen werde, habe eine ähnlich unsichere Zukunft wie der Tasmanische Teufel.

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