Australien:Ein Land versinkt

Nach zehn Jahren Dürre kam der Regen: Für das australische Queensland und seine Farmer geraten die Überschwemmungen zum Desaster - und die Pegel steigen weiter.

Urs Wälterlin, Queensland

Der Weg nach Rockhampton führt normalerweise über einen vielbefahrenen Highway. Am Montag aber tuckerten Fischerboote mit Außenbordmotor als wichtigste Verkehrsmittel vom südlich gelegenen Gladstone aus in die Nachbarstadt, während Hubschrauber weitere Nahrungsmittel einflogen.

Zuvor hatten Konvois der Armee Güter für die 75.000 Einwohner geliefert, dann war die letzte Zufahrtsstraße gesperrt worden. "Rockhampton gleicht einer Stadt, die mitten in einem See liegt", sagte Anna Bligh, Ministerpräsidentin des Bundesstaates Queensland, nachdem sie sich persönlich ein Bild von der Katastrophe gemacht hatte. Bligh klang aufrichtig schockiert, als sie die Flut im Rundfunk ein "Desaster nie dagewesenen Ausmaßes" nannte.

Unterdessen warnten die Behörden die Bevölkerung vor Plünderern und Hamsterkäufen; die Stadt sei mit Lebensmitteln und Medikamenten für die kommende Woche versorgt. Das Schlimmste steht den Bewohnern von Rockhampton aber erst bevor: Am Montag begannen die Wassermassen des Fitzroy-Flusses - wie befürchtet - die Innenstadt zu überfluten, etwa 150 Häuser waren bis zum späten Abend (Ortszeit) vollgelaufen.

Erst am Mittwoch soll der Fluss den Höchststand von 9,4 Metern erreichen. Trifft diese Prognose ein, würden nach Experten-Schätzungen bis zu 4000 Häuser überspült. "Die Aufräumarbeiten dürften drei bis sechs Monate dauern", sagte der Katastrophenkoordinator Ian Stewart im Rundfunk. Immerhin entspannte sich die Wetterlage: Eine weitere Sturmwarnung wurde am Montagabend aufgehoben.

Keine Überschwemmung in der jüngeren Geschichte Australiens hat so schwerwiegende Konsequenzen für die Bevölkerung wie die Flut in Queensland. 850.000 Quadratkilometer sind inzwischen von der Flut betroffen, 22 Städte und Gemeinden mussten zum Teil oder ganz evakuiert werden. Allein seit dem Wochenende sind drei Menschen ertrunken und Dutzende weitere verletzt worden.

Nicht dass Überschwemmungen ungewöhnlich wären auf diesem wettererprobten Kontinent. In weiten Teilen des Landes wechseln sich Dürre und Flut ab, in unregelmäßigen Abständen - seit Jahrtausenden. Auch die jüngsten Überschwemmungen signalisieren das Ende einer langen Dürreperiode: Zwölf Jahre lang gab es in weiten Teilen der australischen Ostküste kaum Niederschläge.

Dann - gegen Mitte 2010 - "brach die Dürre", wie Experten den Vorgang nennen. Schon damals kam es zu Überflutungen. Doch was von Tausenden Bauern zunächst als Antwort auf ihre Gebete begrüßt wurde, entwickelt sich jetzt zum Albtraum. Die Pegel vieler Flüsse stiegen nach den jüngsten Regenfällen deutlich rascher als in früheren Jahren. Auch ist es das erste Mal, dass alle Flüsse gleichzeitig Hochwasser führen.

Schäden gehen in die Milliarden

Im australischen Fernsehen geben betroffene Farmer einen Katastrophenbericht nach dem anderen zu Protokoll. Man sieht verzweifelte Bäuerinnen wie Bindi Boshammer, die in der Nähe des Dorfes Chinchilla am Rand ihres Ackers steht, auf dem 200 Tonnen faulende Melonen liegen. Tagelang lag die Frucht unter Wasser - auch Pflanzen können ertrinken. "Um diese Jahreszeit sichern die Melonen unser Haupteinkommen. Das macht es also sehr hart für uns", klagt sie.

Deutsche aus Fluss voller Krokodile gerettet

Vor den Fluten gerettet: Menschen auf einem Autodach am Magela Creek nahe Jabiru im australischen Bundesstaat Darwin.

(Foto: dpa)

Die Boshammers sind nur eine von Hunderten Familien, die in den kommenden Monaten um ihr finanzielles Überleben kämpfen müssen. Australische Farmer sind es gewohnt, mit einer harten Umwelt zurechtzukommen. Doch ein Jahrzehnt der Dürre und dann eine Jahrhundertflut - für einige wird das nun zu viel sein. Auch das Melonen-Fest, das jährlich Tausende Touristen nach Chinchilla lockt, muss wohl abgeblasen werden, glaubt Gemeinderat Bill McCutcheon. Die Folgen für die von der langen Dürre ohnehin geschwächte lokale Wirtschaft sind nicht absehbar.

Vor allem im Binnenland hatte sich die Lage am Montag indessen wieder entspannt. Bewohner des Dorfes Emerald etwa kehrten wieder in ihre Häuser zurück. Sie hatten das Wochenende in Auffanglagern verbracht, nachdem ihr Ort zwangsevakuiert worden war. Während einige ihre Häuser unversehrt vorfanden, mussten andere feststellen, dass das Wasser all ihre Habe weggeschwemmt hatte.

"Ich werde weinen über meinen Verlust", sagte eine Bewohnerin im Fernsehinterview, "aber anderen geht es noch schlechter. Die haben gar nichts mehr." Die australische Regierung hat inzwischen mehrere hundert Millionen Dollar an Hilfeleistungen sowie zinsgünstige Darlehen versprochen. Die Schäden an Gebäuden, Infrastruktur und der Erwerbsausfall der Bauern und Bergbauindustrie werden allerdings in die Milliarden gehen.

Während in Chinchilla am Montag die Sonne den Schlamm der wassergesättigten Erde wieder austrocknete, und sich auf den Gehsteigen von Emerald Berge von Abfall und zerstörten Küchengeräten türmten, lieferte man sich im Süden von Queensland einen Wettlauf mit der Zeit. Im Gebiet um die Städte St. George und Surat sollen in den kommenden Tagen die Flüsse so stark anschwellen, dass die kurz vor der Ernte stehenden Weinreben unter Wasser stehen werden. Winzer versuchen, noch so viele Trauben wie möglich zu ernten. Sie arbeiten Tag und Nacht. Hoffnung, dass das Wasser doch nicht kommen möge, hat keiner mehr. "Im Süden wird die nächste Krise sein", sagte ein Meteorologe in den Abendnachrichten.

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