Süddeutsche Zeitung

Ausstellung:"Man sieht ja jar nüscht"

Der Linken-Politiker Gregor Gysi stellt erotische Bilder in seinem Berliner Polit-Büro aus, die andere Politiker verstecken wollten. Ist das nun Kunstfreiheit? Ein Besuch bei der Eröffnung.

Von Sebastian Fischer

Die Luft zwischen senfgelben Wänden ist warm und riecht nach Mettbrötchen mit Zwiebeln, als der Bundestagsabgeordnete Gregor Gysi in seinem Wahlkreisbüro vor vier mit Geschenkpapier verhüllten Fotografien nackter Frauen steht. Er blickt in sein Publikum, es sind an diesem Nachmittag vor allem ältere Männer gekommen, das Büro ist rappelvoll. Dann blickt er zu den Fotos, grinst ein Gysi-Grinsen und ruft: "So! Welches ist denn das schlimmste?"

Die Fotografen fühlten sich zensiert

Nur um das klarzustellen: Was sich am Dienstagnachmittag im Berliner Bezirk Treptow-Köpenick abspielt, ist nicht zum Kichern, sondern eine ernste Angelegenheit. Es geht um die Verteidigung der Kunstfreiheit. Neben Gysi steht der Präsident der Gesellschaft für Fotografie e. V., verbeugt sich und sagt: "Danke für die Solidarität." Denn Gysi zeigt hier Bilder, die Berliner Politiker verstecken wollten.

Im Frühjahr wollte die Foto-Gesellschaft die Bilder ihrer Mitglieder im Rathaus ausstellen, wie immer seit 22 Jahren. Doch unter den rund 400 Fotos zeigten ein paar auch Brüste - und damit begann das Problem. Der CDU-Bezirksstadträtin war der Gedanke nicht ganz geheuer, Nackte im Rathaus hängen zu haben. Sie forderte deshalb die Fotografen auf, ihr die Bilder vorzulegen. Sie schlug vor, die Aktbilder separat auszustellen, vielleicht nicht ganz so öffentlich. Die Künstler glaubten nicht, was sie da hörten.

Denn schon im Vorjahr hatte der damalige Bezirksstadtrat Aktbilder verbieten wollen und erklärt, muslimische Bürger würden sich beschweren. Später sprach er versöhnlich von Kunstfreiheit, die Beschwerden waren wohl erfunden. Und nun sollten sie ihre Arbeit vorlegen? Die Fotografen fühlten sich zensiert und kündigten die Zusammenarbeit, woraufhin die Stadträtin das Werk, das sie ja noch gar nicht gesehen hatte, beleidigt als "Aktfotos, Gewaltdarstellungen und Schockwerbung" beschrieb. "Skandalös", schrieben die Künstler in einer Stellungnahme, der Streit weitete sich über die Grenzen Treptow-Köpenicks hinaus aus, die Zeitungen der Hauptstadt berichteten, manch einer stellte die Weltoffenheit Berlins in Frage. Und dann kam Gysi.

Gysi: Kunst darf nicht aus Prüderie verboten werden

Der 69-jährige Politiker der Linken tritt zur Bundestagswahl noch mal als Direktkandidat in seinem Wahlkreis Treptow-Köpenick an, hier hat er seit 2005 stets gewonnen. "Das geht nicht", habe er gedacht, als er vom Verbot im Rathaus hörte, erzählt er am Dienstag. Kunst dürfe nicht aus Prüderie verboten werden, dann müsse man ja alle Museen in Deutschland schließen. Also schwang sich der Jurist zum Anwalt der Erotik-Fotografie auf. 36 Fotos werden seit Dienstag in seinem Büro ausgestellt, vier davon sind Aktfotos. Sie hängen im Büro gleich neben dem Regal mit den gesammelten Werken von Marx und Engels.

Ja gut, sagt Gysi jetzt, natürlich sei das auch Wahlkampf. Er reißt das Geschenkpapier herunter, posiert vor zwei nackten Hintern. Der Präsident der Gesellschaft für Fotografie spricht von der Liebe als Ursprung des Lebens. Und hinten, im Publikum, sagt ein Mann mit Bart: "Man sieht ja jar nüscht."

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SZ vom 19.04.2017/ees
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