Süddeutsche Zeitung

Ausbruch aus der JVA Aachen:Durch fünf Türen in die Freiheit

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Zwei Schwerverbrecher fliehen aus der Aachener Justizvollzugsanstalt - und nehmen kurzzeitig eine Frau als Geisel.

Dirk Graalmann

Die Porträt-Fotos wirken wie Aufnahmen aus einer guten, schönen Zeit. Die beiden Männer lächeln. Michael Heckhoff, 50, mit Oberlippenbart und braunem Haar sowie braune Augen, zeigt offenkundig fröhlich seine Zähne. Auch sein Kompagnon, der 46-jährige Peter Paul Michalski scheint ganz zufrieden zu sein. Der Gesichtsausdruck des Mannes mit Halbglatze, einer schmalen Augenpartie und dem grauen Drei-Tage-Bart verrät ein verdecktes Feixen.

Die vermeintlich netten Schnappschüsse aber werden längst als "höhnische Grinse-Fotos" interpretiert. Es sind aktuelle Fahndungsfotos, denn Heckhoff und Michalski sind hochgefährliche Schwerverbrecher, verurteilt wegen schwerster Kapitalverbrechen - und seit dem Donnerstag Abend flüchtig. Der Ausbruch aus der bisher als sicher geltenden Justizvollzugsanstalt (JVA) Aachen gelang ihnen offenkundig mit Hilfe eines JVA-Beamten. Ein Bediensteter sei am Freitag unter dem Verdacht der Gefangenenbefreiung festgenommen worden, sagte die nordrhein-westfälische Justizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter (CDU).

"Zwei hoch gefährliche Männer"

Nach dem Ausbruch hatte sich das Duo von einem gekaperten Taxi zum Kölner Hauptbahnhof bringen lassen, dort sprachen sie offenbar eine Frau an und zwangen sie, mit ihnen nach Essen zu fahren, sagte ein Polizeisprecher. "In Essen sind sie wegen Spritmangels stehen geblieben." Die Täter flüchteten zu Fuß und ließen die Frau unverletzt in ihrem Auto sitzen. Nach "Bild"-Informationen zogen sich die beiden Männer in dem Wagen um und rasierten sich. Man könne laut Polizeiangaben aber noch nicht mit Sicherheit sagen, dass es sich bei den beiden Geiselnehmern um die Ausbrecher Heckhoff und Michalski handele.

Nun sind die beiden unterwegs im Rheinland, der Republik, vielleicht auch im Ausland, bewaffnet mit zwei Pistolen der Marke Walther P7 und jeweils acht Schuss Munition. "Das sind zwei hoch gefährliche Männer, die im Zweifelsfall gewaltbereit und gewalttätig sind. Bitte keine Heldentaten", warnte der Aachener Polizeipräsident Klaus Oelze.

Die beiden Gefangenen hatten offenbar dank ihres Komplizen leichtes Spiel. Die Inhaftierten, die ansonsten regulär um 21.30 Uhr in ihre Zellen eingeschlossen werden, konnten sich bis dahin in ihrer etwa 20-köpfigen Abteilung frei bewegen. Ohne Mühe konnten sie dabei mittels eines Schlüssels fünf verschlossene Sicherheitstüren überwinden, ehe sie von ihrer Abteilung in der ersten Etage zur sogenannten Schleuse kamen. Dort überwältigten sie gegen 20 Uhr einen Wärter, fesselten den Mann mit Handschellen und knebelten ihn. Aus einem Tresor in der Pforte raubten sie dann die Dienstpistolen.

Das Fluchttaxi hatten die Flüchtigen bezahlt

Mit einem Taxi, das nach ersten Erkenntnissen zufällig vor der Anstalt stand, entkamen die Männer. Das Taxi fuhr das Verbrecher-Duo nach Kerpen, wo ein zweites Taxi gerufen wurde, in das sowohl Heckhoff und Michalski als auch der erste Taxi-Chauffeur stiegen. Es habe sich aber nicht um eine Geiselnahme gehandelt, sagte Polizeipräsident Oelze. Warum dieser aber freiwillig mit nach Köln gefahren sein soll, konnte Oelze nicht erklären. Für die Fahrt nach Köln hätten die Männer bezahlt und die Fahrer auch nicht bedroht.

Die Polizei stuft die Flüchtigen als brutal und rücksichtslos ein, auf dem Boulevard nennt man sie "Killer". Beide saßen wegen Mordes, versuchten Mordes sowie Geiselnahme im Gefängnis, beide hatten eine lebenslange Haftstrafe zu verbüßen, zudem war die anschließende Sicherungsverwahrung verfügt worden. So war Heckhoff etwa 1992 an einer Geiselnahme in der JVA Werl beteiligt. Dabei hatten er und ein Komplize mit einer täuschend echt gekneteten Pistolenattrappe aus Seife und Brot Geiseln in ihre Gewalt gebracht. Beim Zugriff der Polizei übergoss Heckhoffs Kumpan zwei weibliche Geiseln mit einer brennbaren Flüssigkeit und zündete sie an. Die Frauen erlitten schwere Verbrennungen. Da das Duo kaum über ausreichend Bargeld verfügen dürfte, müssen auch Überfälle befürchtet werden.

Die Frage aber bleibt: Kann es sein, dass Schwerverbrecher so offenkundig weitgehend ungehindert aus deutschen Gefängnissen fliehen können? In der JVA Aachen, 1995 offiziell eröffnet, sind wegen der vorgeblich strikten Sicherheitsvorkehrungen auch Schwerstkriminelle untergebracht. Das Gefängnis galt als eines der modernsten in Europa und zudem als ausbruchssicher, wie Gefängnisleiterin Reina Blikslager betone.

Im Leitbild der JVA Aachen, die ebenso wie alle anderen Anstalten über chronischen Personalmangel klagt, steht als Grundsatz: "Die uns anvertrauten Gefangenen behandeln wir stets menschlich und verständnisvoll. Bei der Erfüllung unseres Auftrages werden wir dem Sicherheitsbedürfnis der Allgemeinheit gerecht." Offenkundig haben sich aber nicht alle Bediensteten daran gehalten.

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Quelle:
SZ vom 28.11.2009
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