Ausbau des Kölner Rheinufers:Treppe putzen: 860 000 Euro

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Die neue Freitreppe am Rhein in Köln hat viele Feinde -dabei soll der Bau Frieden zwischen den Stadthälften stiften. (Foto: imago/Future Image)

Eine Freitreppe am Kölner Rheinufer? Schöne Sache. 860 000 Euro Reinigungskosten? Unschön. Dabei sollte der Bau doch eigentlich Frieden stiften zwischen den Stadthälften.

Von Jannis Brühl, Köln

Auch die Schönheit von Beton hat ihren Preis. Im Fall des derzeit gewagtesten Bauprojektes Kölns, der Freitreppe am Rhein, liegt er bei fast 859 400 Euro. So viel kostet es, die gigantischen hellen Stufen am östlichen Ufer ein Jahr lang gründlich sauber zu machen. Seit das Reinigungskonzept von Verwaltung und Stadtreinigung dem Stadtrat vorgelegt wurde, fragen sich die Kölner: Ist uns die Entfernung von ein paar Rotweinflecken so viel Geld wert?

Es geht um die Promenade des einst industriell geprägten Deutz', eines Stadtteils, dessen Name klingt, als würde ein Sack voll nasser Wäsche auf den Boden klatschen. Der Rheinboulevard und die darunter liegenden Stufen am Wasser sollen den Ruf des Viertels aufbessern. Noch in diesem Jahr werden sie eröffnet. Einwohner und Touristen können dann auf die Altstadt und den Dom schauen, nach lokaler Überzeugung das schönste Panorama des Landes. Die Treppe soll eine Tribüne sein für das Spektakel, das Köln ist.

Die Stufen sind einen halben Kilometer breit, 10 000 Menschen sollen sich darauf niederlassen können. Seit vier Jahren wird gebaut, insgesamt kostet das Prestigeprojekt 24,8 Millionen Euro - ohnehin mehr als ursprünglich geplant. Zehn Millionen trägt die Stadt selbst, dabei hat sie selbst für das ohnehin klamme Nordrhein-Westfalen eine überdurchschnittliche Pro-Kopf-Verschuldung. Weil der Kölner aber nicht zur Bescheidenheit neigt, wenn er über die eigene Stadt spricht, vergleicht der Baudezernent die neue Freitreppe auch mal mit der Spanischen Treppe in Rom.

Wie sich die Kosten zusammensetzen

Die Reinigung beginnt dem Plan von Stadtverwaltung und Abfallwirtschaftsbetrieben (AWB) zufolge im Morgengrauen, bis zehn Uhr soll alles sauber sein: Per Nassreinigung soll der Putztrupp laut Konzept "Tauben- und Möwenkot (auch auf den Geländern), Urin, Getränkereste, Staub und losen mineralischen Belag" entfernen. Zweimal die Woche kommt ein "Graffiti-Fahrzeug", um Farbe zu entfernen, die Sprüher auf den Treppen hinterlassen könnten. Mal ganz davon abgesehen, dass die Stufen auch gegen Hochwasser geschützt werden müssen.

Schön ist gut, und sauber noch besser, denkt sich nun mancher Kölner - aber muss das mit fast einer Million Euro zu Buche schlagen? CDU, Linke und Grünen wollen sich im beginnenden Wahlkampf für die Oberbürgermeisterwahl im September als verantwortungsbewusst präsentieren: Sie fordern mehr Transparenz, woher die hohen Kosten kommen. Die Grünen haben die Kosten zum Tagesordnungspunkt der kommenden Stadtratssitzung gemacht. Aus der regierenden SPD heißt es, trotz der Kosten dürfe das "Jahrhundertprojekt" nicht kaputtgeredet werden. Die Stadt lässt das Reinigungsbudget jetzt noch einmal genau nachrechnen.

Die Treppe soll eine Tribüne sein für das Spektakel, das Köln ist. (Foto: imago/Future Image)

Mittlerweile haben die AWB aufgeschlüsselt, was sie so alles für die Reinigung brauchen: Nass-Sauger, Hochdruckreiniger, Kaugummi-Entferner. Die genaue Kalkulation wollen sie nicht offenlegen, damit private Wettbewerber nicht zu viel erfahren. Als Unternehmen in öffentlicher Hand konnten die AWB den Auftrag ohne Ausschreibung erhalten - im sogenannten In-House-Verfahren. In sozialen Netzwerken bieten unterdessen Kölner spaßeshalber ihren Kehrdienst an, nach dem Motto: Für 860 000 Euro mach' ich euch die Treppe selbst sauber.

Architektonische "Aufwertungen" wie jene in Deutz müssen in Köln mehr leisten als anderswo. Kaum eine Großstadt muss so viele Bausünden wiedergutmachen, die über die Jahrzehnte begangen wurden. Der Spiegel schrieb schon 1956 über den Kölner Wiederaufbau nach dem Krieg, nicht nur einmal hätten "die Baumeister eine verblüffende Begabung bewiesen, mit sicherem Griff das Bizarre zu tun".

Boulevard und Treppe haben aus Sicht der Stadtoberen aber eine noch tiefere, fast schon metaphysische Bedeutung: Es geht um nicht weniger als die Einheit der Stadt. Zu Beginn des Baus verkündeten die Planer, er solle "die beiden Uferseiten des Rheins auf gleiche Augenhöhe bringen". Was sieben Brücken über den Rhein nicht geschafft haben, soll nun eine Treppe möglich machen: "Der Rheinboulevard macht das immer stärkere Zusammenwachsen der beiden Hälften Kölns deutlich."

Die Treppe ist zentraler Bestandteil der Aufwertung der "Schäl Sick", jener Stadtteile, die östlich des Rheins liegen. Die werden von den Kölnern auf der Westseite gerne mal ignoriert. Der Westen hat die Altstadt, den Dom, er zieht mehr Karnevalstouristen an. Auf der "Schäl Sick" dagegen heißen die Stadtteile Porz, Kalk oder eben Deutz, sie gelten vielen als trist und weniger lebenswert. Das ist nicht ganz fair, Teile der Ostseite mit ihren leerstehenden Fabriken aus rotem Backstein haben durchaus Williamsburg- Potenzial haben, jenes alte Hafengebiet in Brooklyn, das zum Inbegriff urbanen Stils geworden ist (allerdings auch der damit einhergehenden Blasiertheit). Längst haben Künstler alte Fabrikhallen übernommen.

Und wenn man sich im Baufieber schon mit Rom vergleicht, warum nicht auch gleich mit New York?

Jetzt plädieren Lokalpolitiker dafür, die Treppe schon vor dem Herbst zu eröffnen. Dann könnten die Kölner sich bereits in diesem Sommer dort in die Sonne setzen - und man könne schnell herausfinden, welcher Reinigungsaufwand tatsächlich nötig sei. Auch Claus Vinçon von den Grünen sagt, man müsse nach einem halben Jahr "evaluieren". Aber die Alternative zum gründlichen Reinigen sei nun einmal, dass der Wind den Müll in den Rhein trage. Und der werde dann nach Düsseldorf geschwemmt.

Das zu verhindern, ist dem Erzrivalen Köln erstaunlich viel Geld wert.

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