"Alles läuft wie geplant", verkündet Italiens erleichtert wirkender Zivilschutzchef Franco Gabrielli am Montagmittag, um drei Grad hat sich das Riesenwrack bis zu diesem Moment gedreht; und es hat sich ein wenig vom Felsgrund gehoben. Trotz der 20 Monate, die sie nun mit ihrem ganzen Gewicht auf ihrer rechten Seite halb versunken liegt, hat der 290 Meter lange, geschundene Körper der Costa Concordia den gewaltigen Kräften standgehalten, die seit dem Morgen an ihr ziehen. Sobald sie sich um 40 Grad gedreht hat, wird die Schwerkraft mithelfen. Doch zwölf Stunden soll es dauern, bis das Wrack die 65-Grad-Drehung vollzogen hat, die den rostigen Rest des Kreuzfahrtschiffs wieder in die Senkrechte bringen sollen.
Um 9.06 Uhr hat vor der toskanischen Insel Giglio dieser Kraftakt begonnen, zu dem 36 Stahltrossen angelegt worden sind, die mit 6000 Tonnen Kraft ziehen. Das Meer hat mitgespielt, das war entscheidend für den Start, um drei Stunden musste er nur verschoben werden, dann hatten sich die Unwetter vom Vortag und der Nacht nach Süden verzogen. Von den gefürchteten Wogen keine Spur, es plätschern kleine Wellen um die Costa Concordia und die Kranschiffe - perfekte Bedingungen für das spektakuläre "Parbuckling" (drehen an Schlingen), das der 52-jährige Südafrikaner Nick Sloane, ein wettergegerbter Globetrotter im weltweiten Bergungsgewerbe, von Operationszentrum auf einem Plattformschiff mit einem zehnköpfigen Team lenkt.
Es ist ein Unternehmen, wie es noch nie gewagt worden ist - und von dem deshalb niemand weiß, ob es bis zum Ende gelingt. Der Aufwand ist gigantisch, das 500-Millionen-Euro-Projekt hat etwas von einem Technikmärchen. Es folgt der höchst realen Tragödie vom 13. Januar 2012, als der Kommandant Francesco Schettino, gegen den nun ein Strafprozess läuft, die Costa Concordia mit 4900 Menschen an Bord so nahe an Giglio heranfuhr, dass sie von Felsen unter Wasser aufgerissen wurde und zur Hälfte versank. Die Evakuierung verlief chaotisch, 32 Menschen kamen bei dem ohne Not herbeigeführten Unglück ums Leben. Seit 17 Monaten arbeitet das Konsortium aus der amerikanischen Bergungsfirma Titan Salvage und den italienische Plattformspezialisten von Micoperi Marine Contractors daran, wenigstens das Wrack mit möglichst wenig Schaden für Giglio und die kostbare Unterwasserwelt rund um die Insel zu entfernen.
15.000 Tauchgänge als Vorbereitung
Die Gigliesi haben sich an neue Nachbarn gewöhnen müssen, 500 Bergungsfachleute, von denen die meisten in der blauen Containerstadt leben, die sie aufgestapelt haben in der Nähe des Wracks. 15.000 Tauchgänge gehören zu dem Projekt, 300 Boote waren in all den Monaten im Einsatz, 30.000 Tonnen Stahl wurden verbaut. Ehe es nun an den Drahtseilakt des Drehens ging, haben sie das Wrack gesichert an Stahltrossen, die zu einem Dutzend Haltetürmen auf der Landseite des Wracks führen. Aus speziellen Zementsäcken haben sie unter Wasser einen "falschen" Untergrund errichtet, damit die Costa Concordia nicht abrutschen kann in den 30 Meter tiefen Felsabbruch, der sich in unmittelbarer Nähe auftut. Mit der Zementkonstruktion haben sie sechs Stahlplattformen verbunden, darauf soll das Schiff mit seinen 50.000 Tonnen Gewicht aufliegen, sobald es wieder ins Lot gelangt.
Dem Aufrichten dienen nicht nur die Stahltrossen, die an ihr ziehen. Schweißer haben 15 große Tanks an der obenliegenden Bordwand befestigt. Im Lauf des Manövers sollen sie geflutet werden, ihr Gewicht hilft dann, die linke Seite des Wracks nach unten zu drücken. Gleichzeitig bieten sie einen Hebelarm für 36 Stahlseile auf der Wasserseite des Rumpfes, die die Rollbewegung auslösen sollen. Wenn das Schiff steht, sollen auch auf der Steuerbordseite solche Tanks angeschweißt werden; in leerem Zustand sollen sie mit denen auf der anderen Seite dem Wrack genug Auftrieb geben, damit es schwimmt. Und im nächsten Frühjahr, wenn denn alles klappt, könnte die Costa Concordia dann weggeschleppt werden.
Doch zunächst gibt es noch andere Prioritäten. Zwei der Unglücksopfer sind noch immer vermisst, eine Sizilianerin und ein Inder, der zur Besatzung gehörte. Nach ihnen soll im Wrack zunächst gesucht werden. Zivilschutz-Chef Gabrielli hat klargemacht, dass das Vorrang hat; am Montag wurden die Leichen zunächst nicht entdeckt. Was eine andere große Sorge angeht, hatte Gabrielli am Montagmittag gute Nachrichten: Es ist bis zu dem Zeitpunkt keine Verschmutzung des Wassers festzustellen. Aber die Gefahr, die Umweltschützer und Gigliesi fürchten, ist nicht gebannt. Im Wrack faulen seit 611 Tagen Abwässer und Lebensmittel jeder Art für 5000 Menschen, auch Farben, Waschmittel und Treibstoffreste könnten austreten; 250 Tonnen Flüssigkeit werden im Inneren vermutet. Gabrielli sagt, man sei für alle Fälle gewappnet: Barrieren sollen eindämmen, was noch aus dem Schiff fließt.
Wohin nur mit dem Schiff?
Am Sonntag sind die Insulaner wie jedes Jahr in ihrer traditionellen Prozession für Giglios Schutzpatron San Mamiliano mit den Reliquien des Heiligen hinaus aus der Kirche oben in Giglio Castello und durch die Gassen des Ortes gezogen. Diesmal waren die Objektive von Fernsehkameras aus aller Welt auf sie gerichtet, und der Bischof bat um Beistand für einen guten Ausgang der Operation. An diesem Montag scheinen sich die Hoffnungen zunächst zu erfüllen.
Wenn alles klappt, dann kann die Costa Concordia im Frühjahr weggeschleppt werden zum Abwracken. Aber wohin? Das weiß bislang niemand. Palermos Bürgermeister Leolucca Orlando wirbt für seine Stadt und ihren Hafen mit den Reparaturwerften, aber die sizilianische Hauptstadt ist weit weg, zu weit vermutlich. Auch Livorno in der Toskana war im Gespräch, und seit einiger Zeit ist es das nähere Piombino, ebenfalls Toskana. Nur müsste dort der Hafen dafür noch umgebaut werden.
Doch an diesem Montag spielen diese Fragen noch keine Rolle, zumal am Nachmittag die erste schlechte Nachricht des Tages die Runde macht: Die Teile des Schiffes, die von der versunkenen Seite nach und nach wieder auftauchen, sind schwer beschädigt: "beträchtlich deformiert", wie Franco Gabrielli sagt. Es wird nicht leicht sein, den Koloss wieder schwimmen zu lassen. Egal wohin.