Atomkraftwerk Tihange:In Aachen werden vorsorglich Jodtabletten für den Fall eines Atom-Unglücks verteilt

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Das Kernkraftwerk Tihange in Belgien. (Foto: dpa)
  • In der Region Aachen werden ab Freitag hoch dosierte Jod-Tabletten verteilt, die die Bürger im Falle eines Atomunglücks schützen sollen.
  • Die Stadt ist nur 70 Kilometer vom belgischen Atomkraftwerk Tihange entfernt.
  • Das Atomkraftwerk ist umstritten: Die Reaktorbehälter haben tausende Mikrorisse, immer wieder gab es Störfälle.

Tausende Mikrorisse in den Reaktorbehältern, immer wieder Störfalle: Das 40 Jahre alte belgische Atomkraftwerk Tihange ist umstritten. Viele Menschen in der Region haben deshalb Angst vor dem Ernstfall: Wenn Strahlung austritt, treibt der Wind die radioaktive Wolke auf Aachen zu, die Stadt ist nur 70 Kilometer entfernt. Die Angst in der Bevölkerung, aber auch in Politik und Verwaltung ist groß, dass im Ernstfall die Zeit nicht reicht, die Bevölkerung mit hoch dosierten Jodtabletten zu versorgen. Deshalb werden ab Freitag in der Region Aachen Tabletten verteilt, die verhindern sollen, dass die Schilddrüse radioaktives Jod aufnimmt.

Diese Maßnahme wurde bisher nur in Ausnahmefällen und in sehr begrenzten Bereichen zugelassen. Aus Kostengründen, einerseits, aber auch weil befürchtet wurde, dass Menschen die Tabletten vorbeugend schlucken könnten, ohne dass überhaupt Strahlung austritt. Das könnte zu Nebenwirkungen wie Herzkreislauferkrankungen führen.

Menschen bis zu 45 Jahren, Schwangere und Stillende haben ein Anrecht auf die kostenlosen Tabletten. Sie können in der Aachener Region bis Ende November über einen Link im Internet Bezugsscheine beantragen, die sie in beteiligten Apotheken einlösen. Die Behörden rechnen damit, dass mehr als jeder Dritte das Angebot wahrnimmt.

Die Risiko-Wahrnehmung erhöht sich

Durch die Verteilung der Tabletten verändert sich dem Psychologen Joachim Funke zufolge allerdings auch die Einschätzung der Menschen in der Region über eine mögliche atomare Gefahr: "Die Risiko-Wahrnehmung erhöht sich, weil die Behörden ja offensichtlich den Eindruck haben, dass sie ihre Strategie ändern müssen." Je nach Typ reagierten Menschen ganz unterschiedlich auf die Situation: Die einen würden mehr grübeln, die anderen meinten, sie hätten mit den Jodtabletten alles unter Kontrolle, sagt Funke. Aber das ist nur eine Scheinkontrolle. Denn mit den Jodtabletten lasse sich das Geschehene ja nicht beeinflussen.

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Und dann gibt es vielleicht noch die Sorglosen, die die Sorgen anderer nicht ernst nehmen - und nichts tun. Für die würden im Ernstfall noch Jodtabletten ausgegeben, sagt der Aachener Ausgabekoordinator Kremer. Aber das wäre in keinem Fall so entspannt wie jetzt: "Wir appellieren, die Chance einfach jetzt zu nutzen und sich den Druck zu nehmen."

© SZ.de/dpa/ElkeSilberer/vbol - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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