Asylunterkunft in Köln:"Es melden sich keine Opfer"

Flüchtlinge im ehemaligen Flughafen Tempelhof

Notunterkunft in Berlin: Raumtrenner wie diese gibt es in der Kölner Turnhalle nicht - aus Brandschutzgründen, erklärt die Stadt.

(Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa)
  • Die Anschuldigungen gegen den Sicherheitsdienst einer Kölner Flüchtlingsunterkunft wurden in offenen Briefen einer linke Initiative vor knapp zwei Wochen veröffentlicht.
  • Nach den anschließenden Nachforschungen der Polizei geht die Staatsanwaltschaft nun aber nur noch einem geringfügigen Vorwurf nach.
  • Bei der Flüchtlingsunterkunft handelt es sich um eine unübersichtliche Turnhalle, in der 200 Menschen ohne Privatsphäre leben.

Von Kristiana Ludwig, Köln

Die Anschuldigungen wiegen schwer. Neun Mitarbeiter eines Sicherheitsdienstes sollen gemeinsam den sexuellen Missbrauch von Frauen in einer Kölner Flüchtlingsunterkunft organisiert haben. Auf dem Weg zur Toilette oder in der Dusche hätten die Männer sogar Minderjährige überfallen. Sie hätten Frauen beim Stillen oder Schlafen fotografiert. So stand es in offenen Briefen, die eine linke Initiative vor knapp zwei Wochen veröffentlichte. Doch mittlerweile scheint von den Anschuldigungen nicht viel übrig zu bleiben. Nur in einem Fall ermittelt die Staatsanwaltschaft, wegen eines Schlags auf den Hintern. "Bislang", sagt ein Sprecher der Stadt Köln, seien die Vorwürfe "haltlos". Woher stammte also die Kritik an der Unterkunft und den Wachleuten?

In der Turnhalle, um die es sich handelt, leben knapp 200 Menschen. Sie gehört zu einer Schule im Osten von Köln. Unzählige Feldbetten stehen hier nebeneinander. Ein Mann liegt auf seiner Pritsche, mit halb geschlossenen Augen und geöffnetem Mund. Eine Frau hält ihren Säugling und blickt sich um, zwei Mädchen schlafen, alte Männer schlendern an den Betten entlang. Der Raum gleicht einer riesigen Wartehalle. Allerdings, erzählen die Leute, warteten viele von ihnen seit Monaten hier.

Zum Badezimmer führt eine Tür, an der das deutsche Wort "Umkleide" steht. Eine Mutter hält ihren quengelnden Jungen in einen Trog mit vielen Wasserhähnen, an dem sich sonst Schulkinder die Hände waschen. Die Sportduschen haben weder Türen noch Vorhänge. Jemand hat ein Handtuch zwischen die Wände geknotet. Es ist eine schmale Fahne geworden. In den offenen Briefen war auch die Unterkunft selbst kritisiert worden. Es fehle an Privatsphäre, die Menschen fühlten sich eingesperrt, falsch ernährt und medizinisch schlecht versorgt. Schnell hatte die Stadt Köln dies in einer Stellungnahme zurückgewiesen. Allerdings, erklärte sie, müsse in der Halle aus Brandschutzgründen auf Sichtschutz verzichtet werden. Und auch im Bad gebe es Einschränkungen: "Vor Ort besteht keine Möglichkeit, Duschvorhänge anzubringen."

Einige Helfer seien nicht in der Lage, im Notfall eine Unterkunft zu evakuieren

Die Wachleute, hieß es damals, seien qualifiziert. Doch mittlerweile räumt die Stadt ein, dass sie bereits im Januar von der Polizei über Probleme mit dem Personal in Flüchtlingsunterkünften informiert worden war. Sogenannte Brandschutzhelfer vom Subunternehmen Security Plus aus Essen sind rund um die Uhr in den Hallen und kontrollieren neben Fluchtwegen und Feuerlöschern auch Elektrogeräte zwischen den Kissen der Bewohner. Einige Helfer seien jedoch gar nicht in der Lage, im Notfall eine Unterkunft zu evakuieren, hieß es. Ihr Deutsch sei zu schlecht.

Die Stadt lässt derzeit Helfer in mehreren Einrichtungen überprüfen. Aus der Turnhalle im Osten musste Security Plus seine Mitarbeiter abziehen, um "die Situation vor Ort durch einen Austausch des Personals zu beruhigen", sagt eine Stadtsprecherin. Den Flüchtlingen in der Unterkunft ist diese Veränderung nicht entgangen. Wachleute, mit denen es vor zwei Wochen Probleme gab, seien nun fort, sagen sie. Zwei der Männer seien etwa in die Duschräume der Frauen gegangen, sagt Ahmed F., der hier seit drei Monaten lebt. Sein Mitbewohner Ibrahim sagt, er habe gesehen, wie sie Frauen im Schlaf fotografiert hätten. Eine Frau spricht von einem Heiratsantrag der Wachmänner.

Flüchtlingsunterkunft Köln Gremberg

Ob es hier zu Übergriffen kam, ist noch nicht klar: In der Turnhalle auf dem Gelände des Berufskollegs leben etwa 200 Menschen.

(Foto: Oliver Berg/dpa)

Auch vor zwei Wochen hatten Flüchtlinge Journalisten von ähnlichen Vorfällen berichtet. Die Staatsanwaltschaft hat die Anzeige eines Mädchens, das beklagte, ein Wachmann habe es zum Sex aufgefordert, wieder fallen gelassen. Dies allein sei keine Straftat. Die schweren Vorwürfe der organisierten Vergewaltigung hat jedoch keine der 50 Frauen wiederholt, die von der Polizei befragt wurden. Sarah Bergheim, deren Aktivistengruppe "Dignity for Refugees" die Briefe geschrieben hat, sagt nach wie vor, die Flüchtlinge hätten ihr von Vergewaltigungen berichtet.

Rückzugsräume für Frauen oder geschützte Toiletten gibt es hier nicht

Dass die Anzeigen nun ausblieben, wundere sie nicht. Es sei schließlich leichter, als Teil einer anonymen Gruppe über Missstände zu sprechen. "Dignity for Refugees" sei ein spontanes Bündnis gewesen, sagt Bergheim, auch organisiert von Mitgliedern der kommunistischen Gruppe Rote Aktion Köln. Der Geschäftsführer des Kölner Flüchtlingsrats, Claus-Ulrich Prölß, wirft den Aktivisten vor, sie hätten die Flüchtlinge "instrumentalisiert". Bergheim bestreitet das.

Die Kritik an den Räumlichkeiten ist dabei auch für Prölß nicht von der Hand zu weisen. Rückzugsräume für Frauen, geschützte Toiletten und Umkleiden oder eine separate Unterbringung von allein reisenden Frauen gibt es hier nicht. Um all dies hatte die nordrhein-westfälische Gesundheitsministerin Barbara Steffens (Grüne) Kommunen gebeten, welche Asylsuchende in weitläufigen Hallen unterbringen. Eine Unterkunft, in der es keine Duschvorhänge gibt, "geht gar nicht", sagt sie. Auch die Kölner Frauenberatungsstelle Agisra kritisiert die Zustände in den Unterkünften. Frauen berichteten von Übergriffen der männlichen Mitbewohner. Gerade für muslimische Frauen sei das Leben in den offenen Hallen schwer, weil sie dort rund um die Uhr ihr Kopftuch tragen. Sie klagen über Kopfschmerzen.

Fotos oder Sprüche des Sicherheitspersonals seien zwar "strafrechtlich irrelevant", sagt Agisra-Beraterin Denise Klein, "es besteht jedoch ein Abhängigkeitsverhältnis." Sie hält es deshalb noch immer für möglich, dass auch die drastischen Schilderungen in den offenen Briefen einen Wahrheitsgehalt haben: "Um über sexuelle Übergriffe zu sprechen, benötigen Frauen die Perspektive, nicht mehr in die Einrichtung zurückzumüssen", sagt sie. Für die Vernehmungen waren die Frauen in der Turnhalle geblieben. Die Polizistinnen befragten sie in der Umkleidekabine.

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