Süddeutsche Zeitung

Asylbewerber:Was das BKA über kriminelle Flüchtlinge weiß

Der Lagebericht zeigt: Nur bei einem Tötungsdelikt mit deutschem Opfer ist ein Flüchtling dringend tatverdächtig.

Von Jan Bielicki

Hilde S. war 92 Jahre alt, als ihr Leben ein gewaltsames Ende nahm. Ihr älterer Bruder Josef entdeckte sie kurz nach Mitternacht in ihrer Wohnung im Westerwald-Örtchen Frickhofen. Die alte Frau starb noch im herbeigerufenen Rettungswagen an ihren schweren Kopfverletzungen. Ein Jahr später sucht die Polizei im hessischen Limburg den mutmaßlichen Täter noch immer per internationalem Haftbefehl. In dringendem Verdacht hat sie einen 36-jährigen Mann aus Pakistan. Er war Asylbewerber und zur Miete in einer Wohnung der ehemaligen Gastwirtin im Nebenhaus untergebracht. In der Tatnacht soll er zusammen mit seiner Vermieterin ferngesehen haben. Seither ist er verschwunden.

Asylbewerber tötet deutsche Frau: Was in der Nacht zum 16. Februar 2015 im Westerwald mutmaßlich geschah, ist kein in den Gerüchteküchen des Internets zusammengerührtes Schauermärchen, sondern Wirklichkeit - und eine absolute Ausnahme.

Hilde S. war 2015 das einzige deutsche Opfer eines Tötungsdelikts, bei dem ein Flüchtling als Tatverdächtiger gilt. Das geht aus einer Lageübersicht hervor, mit der das Bundeskriminalamt angesichts der wachsenden Flüchtlingszahlen - und des ebenso rapide zurückgehenden Sicherheitsgefühls weiter Teile der Bevölkerung - zu erfassen sucht, wie es um die Kriminalität bei Asylbewerbern wirklich steht.

Ergebnis: nicht so schlimm, wie es viele Einheimische fürchten. Der stark steigenden Zahl der Zuwanderer stehe ein nur moderater Anstieg von Zuwanderern begangener Straftaten gegenüber, heißt es in dem aktuellen BKA-Papier. Und: "Die weitaus überwiegende Mehrheit der Asylsuchenden begeht keine Straftaten."

"Soko Asyl": Kriminelle aus Nordafrika und Georgien auffällig

Ebenso gilt aber: Selbstverständlich gibt es auch unter Flüchtlingen Verbrecher. "Da kommen natürlich auch Strolche", sagt Ulf Küch. Der Leiter der Braunschweiger Kripo hat im vergangenen August eine eigene Sonderkommission - inoffizielles Kürzel: Soko Asyl - eingesetzt, die gegen kriminelle Flüchtlinge ermittelt. Küchs Bilanz: Von den etwa 40 000 Flüchtlingen, die seither durch das Landesaufnahmezentrum im Stadtteil Kralenriede kamen, seien seinen Leuten etwa 150 bis 200 in Zusammenhang mit Straftaten aufgefallen. Es waren wenige schwere Verbrechen darunter, zwei Vergewaltigungen zum Beispiel, die Täter wurden bereits zu langen Haftstrafen verurteilt.

Doch in mehr als 60 Prozent der Fälle war die Soko wegen Ladendiebstahls unterwegs. Allerdings gingen ihr dabei eben nicht nur Gelegenheits-Langfinger ins Netz, sondern auch Banden, meist aus Nordafrika und aus dem Kaukasus-Staat Georgien, die auf organisierte Klau-Touren durch die Kaufhäuser der Stadt zögen. Aber in der Kriminalstatistik der Viertelmillionenstadt fallen auch sie kaum ins Gewicht. "Polizeilich", so Küchs Fazit, "lässt sich das gut in den Griff kriegen."

Das ist nicht nur in Braunschweig so. Zahlen aus Sachsen zeigen ähnliche Tendenzen. Laut einer Analyse des Landeskriminalamts in Dresden ist in den ersten neun Monaten des vergangenen Jahres etwa jeder zehnte Zuwanderer als Verdächtiger einer Straftat aufgefallen, Verstöße gegen das Ausländerrecht nicht gerechnet. Erfasst wurden Asylbewerber und Ausländer, die sich unerlaubt oder nur mit einer Duldung im Land befinden. Dabei ging es meist um Bagatelldelikte. Jeder fünfte Fall betraf Schwarzfahren - Zuwanderer wurden so häufig ohne Fahrkarte erwischt, dass sich Landesinnenminister Markus Ulbig (CDU) überlegt, Asylbewerbern eine Art Asyl-Ticket zu verpassen und dessen Kosten vom Taschengeld abzuziehen.

40 Prozent der Zuwanderern zugeschriebenen Taten seien Diebstähle. Schwerstverbrechen mit zugewanderten Tatverdächtigen registrierte Sachsens Polizei nur selten - bis September fünf Vergewaltigungen und sexuelle Nötigungen; für Ulbig sind das "mithin keine Schwerpunkte".

Viele Opfer von Zuwanderern sind selbst Zuwanderer

Zwar sind Polizeistatistiken mit Vorsicht zu betrachten. Sie zählen stets nur Verdächtige, nicht tatsächlich Verurteilte. Zudem spielt die Zusammensetzung der betrachteten Gruppe eine enorme Rolle. Unter den Flüchtlingen sind beispielsweise besonders viele junge Männer - und junge Männer, egal ob zugewandert oder einheimisch, kommen eben deutlich öfter mit dem Gesetz in Konflikt als Rentnerinnen. Doch die Zahlen aus Sachsen spiegeln den bundesweiten Trend: Auch nach der Lagebewertung des Bundeskriminalamts sind zwei Drittel der erfassten Taten Eigentumsdelikte - darunter prominent: Schwarzfahren.

Ebenso bestätigen sich in Sachsen Tendenzen, wie sie die Polizei auch in Nordrhein-Westfalen beobachtet. Knapp 600 sogenannte Mehrfach-Intensivtäter begehen laut sächsischem LKA die Hälfte aller Zuwanderern zugeschriebenen Taten. Von diesen kommt ein Drittel aus Tunesien. Zwar stellen Tunesier in Sachsen nur jeden 25. Zuwanderer, aber jeden vierten, der polizeiauffällig wird.

Dagegen sind Zuwanderer, die aus den Bürgerkriegsländern Syrien, Irak und Afghanistan nach Deutschland fliehen und gute Chancen haben, hier bleiben zu dürfen, in den Polizeiberichten "unterrepräsentiert", wie es in der Lagebeurteilung des Bundeskriminalamts heißt. "Stark zugenommen" habe dagegen die Zahl der Syrer, Iraker und Afghanen, die Opfer von Straftaten wurden. Das hat vor allem damit zu tun, dass es in den Flüchtlingsheimen immer häufiger zu Gewalt kommt.

Deutlich öfter als noch im Jahr zuvor musste die Polizei 2015 wegen sogenannter Rohheitsdelikte in die Sammelunterkünfte kommen, meist Schlägereien mit Körperverletzungen. Die immer länger dauernde Unterbringung oft sehr unterschiedlicher Gruppen auf engem Raum lässt den Streit um Lärm oder Schmutz in Bädern und Toiletten öfter eskalieren, vor allem wenn Drogen oder Alkohol im Spiel sind, wie eine Studie über Gewalt in Brandenburgs Heimen feststellt. Die Studie geht zudem "von einer überaus hohen Dunkelziffer" bei häuslicher Gewalt aus.

Bei vier von fünf Rohheitsdelikten waren laut BKA Tatverdächtige wie Geschädigte Zuwanderer. Dasselbe gilt verstärkt bei Mord und Totschlag. 26 der 27 im vergangenen Jahr mutmaßlich von Zuwanderern getöteten Menschen kamen selbst aus dem Ausland. Nur eben Hilde S. nicht.

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Quelle:
SZ vom 01.02.2016
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