Asyl-Politik in Österreich:Wie flüchtig ist doch Mitgefühl

Vom Liebling der Nation zum Hassobjekt: In Österreich soll eine 16 Jahre alte und gut integrierte Kosovo-Albanerin abgeschoben werden.

Michael Frank

Wien - Vor einem halben Jahr war Arigona Zogaj Liebling der österreichischen Nation: Ein tapferes Mädchen aus dem Kosovo wehrte sich gegen die Abschiebung, gegen die Grausamkeit ministerieller Apparate. Heute ist die Sympathie verflogen. Kalte Abneigung durchweht Arigonas Heimatort Frankenburg. Ihre Mutter hat versucht, sich umzubringen. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International bemängelt die unklare Gesetzeslage. Der Verfassungsgerichtshof muss sich damit befassen. Die Ausweisung des Mädchens steht kurz bevor.

Asyl-Politik in Österreich: Arigona im Jahr 2007, nachdem sie untergetaucht war - damals war sie noch Liebling der Österreicher.

Arigona im Jahr 2007, nachdem sie untergetaucht war - damals war sie noch Liebling der Österreicher.

(Foto: Foto: Reuters)

Was war das im November noch für eine Welle der Zuneigung gewesen für die 16-jährige Arigona. Ganz schien es so, als seien Österreicher nicht mehr gewillt, der extremen Härte ihrer Behörden gegenüber Asylsuchenden beizupflichten.

Das Städtchen Frankenburg am Hausruck, das Land Oberösterreich, die halbe Nation legte sich ins Zeug für die junge Kosovo-Albanerin, die in den neunziger Jahren mit Eltern und vier Geschwistern als Flüchtling hierher gekommen war und sich bestens eingelebt hatte. Die Familienmitglieder waren wohlgelitten als fleißige, umgängliche Leute. Doch nach langen Jahren wurden die Asylanträge der Zogajs abgelehnt. Und wieder nach Jahren verfügte Wiens Innenminister Günther Platter aus heiterem Himmel ihre Ausweisung. Dies mitten in einer Debatte, die für Zuwanderer in Österreich als Wichtigstes die vorbehaltlose Integration forderte.

Wenn jemand dem entspreche, dann die Zogajs, so das allgemeine Urteil. Dennoch schob man Vater und Kinder in einer Nacht-und-Nebel-Aktion ab. Die Mutter blieb, weil sie im Krankenhaus lag. Tochter Arigona, zufällig außer Haus, tauchte unter und richtete einen dramatischen Appell an ihre Mitbürger: Wieso solle sie in ein Leben ohne Zukunft abgeschoben werden, in ein Land, das sie nicht kenne und dessen Sprache sie nicht spreche?

Ein in Asylhilfe bewanderter und im Kampf mit hartleibigen Behörden gestählter Pfarrer nahm sich ihrer an. Empörung allerorten über bürokratische Herzlosigkeit. Kirchen, Vereine, Bürger und Politiker verlangten ein "humanitäres Bleiberecht" wenigstens für Arigona und ihre Mutter, wie es das Asylrecht in Sonderfällen vorsieht. Der Bezirkshauptmann, der Landeshauptmann - alle beschworen ein Einlenken des Innenministers. Schließlich forderte man, die Entscheidungsbefugnis über das humanitäre Bleiberecht grundsätzlich vom Bund auf Länder oder Bezirke zu übertragen, wo man die konkreten Fälle besser kenne.

Der christsoziale Innenminister blieb hart. Arigona könne noch das Schuljahr beenden, dann sei Schluss mit allen Gnadenakten. Platter deklarierte die anstehende Ausweisung gar als einen Akt der Familienzusammenführung - hin zu den soeben gewaltsam in den Kosovo ausgewiesenen Geschwistern und zum Vater. Wird nun wirklich am letzten Schultag Anfang Juli die Polizei vor der Schultüre stehen und Arigona mit ihrer Mutter hinausverfrachten aus Österreich? Wie flüchtig ist doch Mitgefühl.

Die Leute in Frankenburg, wo man sich für Arigona so tapfer schlug, seien mehrheitlich längst dafür, dass sie in "ihre Heimat" Kosovo verschwinde, glaubt der Bürgermeister. Der Pfarrer bekommt keine Ermunterungsschreiben mehr, sondern anonyme Briefe, man solle ihn, den "Kanakenfreund", aufhängen oder am besten vergasen. Die Fürsprecher dagegen seien des Falles überdrüssig geworden, so der Pfarrer. So gewinnen Fremdenhass und Unduldsamkeit die Oberhand.

Und die Gerüchteküche spinnt sich die seltsamsten Privilegien für die beiden Frauen der zerrissenen Familie zusammen. Weil ihnen ein mildtätiger Baron in höchst bescheidenen Räumen seines Adelssitzes Obdach gewährt, erzählt man sich Märchen über Arigonas Prinzessinnenleben auf einem Schloss. Selbst wenn das Mädchen nur Pizza essen geht, ist das Anlass zu giftigen Bemerkungen.

Wer hält das schon aus? Das Mädchen fand jüngst seine Mutter mit aufgeschnittenen Pulsadern in ihrem Blut liegen, rettete ihr das Leben. Ein Selbstmordversuch aus Angst vor der Ausweisung, zumal der 42-jährige Vater, der mit den vier anderen Kindern in den Kosovo zurück musste, dort plötzlich verschwunden ist. Niemand weiß, wohin. Sicher ist nur: Österreichs Fremdenpolitik hat eine Familie zerrüttet.

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