Aschenputtel-Geschichte in Argentinien:Die Narben der Schönheit

Mit 14 wurde sie beim Müllsammeln auf der Straße entdeckt und macht nun als Model Karriere - wie Daniela Cott seither zwischen zwei Welten wandelt.

Peter Burghardt

Auch die Hände sind jetzt glatt und fein, wie es sich für ein Model gehört. Am Anfang des Gesprächs über die Verwandlung dieser jungen Argentinierin von der Müllsammlerin zum Mannequin liegen sie noch auf dem Schreibtisch oder fahren nervös durch das lange, kastanienbraune Haar. Es fällt Daniela Cott ganz offensichtlich schwer, ihren 1,77 Meter großen und sehr schlanken Körper in der dunkelblau gemusterten Bluse und dem weißgeblümten Rock halbwegs ruhig auf diesem schwarzen Lederstuhl zu halten.

Daniela Cott Die Narben der Schönheit

"Mit 18 will ich heiraten und viele Kinder kriegen": Daniela Cott lebt noch immer in einem Armenviertel von Buenos Aires.

(Foto: Foto: Gentileza Revista Noticias)

Sie hat Temperament und ist außerdem erst 15, der 16. Geburtstag steht erst im April an. Gerade kommt sie von einer Hautpflegesitzung ein paar Zimmer nebenan, das sind jetzt die Pflichttermine in ihrem neuen Leben. Nur wer sehr genau hinsieht, der entdeckt an Handrücken und Handgelenken des jungen Mädchens die verschwindenden Reste kleiner Wunden aus dem alten Leben.

Die winzigen Narben stammen aus den Zeiten, als diese Hoffnung der argentinischen Werbeindustrie jeden Tag im Abfall von Buenos Aires wühlte. Cartoneros nennt sich die Berufsgruppe, zu der auch sie bis vor kaum zwei Jahren gehörte. Das Wort kommt von Cartón, Pappe. Tausende suchen auf den Straßen der Hauptstadt nach Altpapier und Kartonagen, laden sie in wacklige Handwagen und verkaufen sie dann an Zwischenhändler und Wiederverwerter. Ganze Familien leben von diesem Gewerbe, es ist die nach wie vor sichtbarste Folge der schweren Wirtschaftskrise von 2001/2002 in Argentinien.

Eine Stadt als Laufsteg

Daniela Cott zog gemeinsam mit ihrer Mutter Olga und einigen ihrer acht Geschwister durch das wohlhabende Viertel Palermo. "Besser als klauen", sagt sie heute, solche Sätze hat sie gelernt. Oft zerkratzten und zerschnitten Blechränder und Glasscherben die Hände. Einmal, irgendwann 2005, blutete es besonders schlimm. Da klingelte Daniela Cott bei der Frau, die in ihrem Märchen so etwas wie die gute Fee ist.

Marina González Winkler wohnt an einer Ecke zweier Avenidas, wo die Cotts jeden Nachmittag Abfälle sammelten. Sie ist 30 Jahre alt und verdient mit dem Herstellen von Halsketten und anderem Schmuck selbst nur wenig Geld, hat sich aber angewöhnt, Bedürftigen zu helfen. Daniela Cott schenkte sie Klamotten, die sie nicht mehr anzog, so lernten sich die beiden kennen. Marina also verband den verletzten Finger, und eines Tages hatte sie eine Idee: Ob sie nicht auf der Terrasse ein paar Fotos von ihr machen dürfte, sie sehe so gut aus. Daniela, die damals Jeans, T-Shirt und Käppi trug, fand das lustig.

Sie zog Marinas Schuhe mit Absätzen an, ein Spaß. Die Bilder brachte Frau González zu einer Agentur, die sie zufällig entdeckt hatte. Es war ein Spleen, "eine Eingebung, ich hatte die nötige Verrücktheit", sagt sie. Hunderte solcher Bewerbungen fallen durch, doch diese fiel auf. Daniela Cott wurde eingeladen und nochmal professionell fotografiert. Der Sachverständige war begeistert. Diese grünen Augen. Die langen Beine. Diese natürliche Ausstrahlung. Und diese Herkunft, Cartonera aus der Provinz. Wie kurios.

Willst du es mit einem kostenlosen Model-Kurs versuchen, wurde Daniela Cott gefragt. Es ist ein Traum vieler Mädchen, gerade in Buenos Aires, einer Stadt, die wie ein öffentlicher Laufsteg ist. Ihrer war es erst nicht. "Ich dachte, die spinnen", sagt Daniela Cott. Sie war kaum 14, doch in diesem Alter fangen Fotomodelle mit ihrem Geschäft offenbar an. Ihre Mutter ließ sie das Stipendium für sechs Monate annehmen und die Schule aussetzen.

Sie lernte Laufen, Posieren, Schminken und Begriffe wie "Booker". Schließlich wurde das Talent 2007 für Argentiniens Teil des Nachwuchs-Wettbewerbs von "Elite Model" gemeldet, einer der wichtigsten Adressen der Branche. Die Brasilianerin Giselle Bündchen und Cindy Crawford aus den USA machten bei dieser Agentur Karriere. Die Außenseiterin Cott erreichte aus fast 1000 Kandidatinnen die Endausscheidung im Hotel Sheraton. Sie gewann, zur Überraschung fast aller, den Preis überreichte der argentinische Schauspieler Ricardo Darin.

Danach fuhr die Siegerin nach Hause an den Stadtrand, aß ein Schnitzel und ging ins Bett. In diesem Jahr vertritt sie ihre körperverliebte Heimat beim Weltfinale, der Weltmeisterschaft für junge Plakatschönheiten. Deshalb sitzt sie hier im Stadtpalast eines Mannes, der sie berühmt machen und ihre Geschichte aus den zwei weit entfernten Welten Argentiniens entsprechend vermarkten will.

Wenig Arbeit, viel Gewalt

Auf seinen Visitenkarten steht Dr. Salvador B. Jaef. Er ist Schönheitschirurg und war früher Bodybuilder - vor allem aber leitet dieser freundliche, großgewachsene Prominentenarzt von 48 Jahren Argentiniens Filiale von Elite Model und ist jetzt Danielas Manager. Neben ihm leuchten Monitore, seine Praxis wird mit Kameras überwacht. Vor ihm liegt die neue Ausgabe der populären Klatschzeitschrift Gente ("Leute"), die Daniela Cott gleich drei Doppelseiten gewidmet hat. Sie war dafür zum ersten Mal in ihrem Leben am Meer, in Pinamar, 300 Kilometer von der Metropole Buenos Aires entfernt und früher himmelweit weg. Sie verlor eine Sandale in den Wellen und zog einen Bikini an, lag für die Fotografen im Sand.

Fernsehen, Radio und Zeitungen berichten über sie, vor kurzem meldete sich das Wall Street Journal. In jedem Beitrag ist natürlich von der Cartonera die Rede. Und meistens auch von der "Cenicienta", das ist das spanische Wort für Aschenputtel. "Der Fall ist in jeder Hinsicht einzigartig", sagt Doktor Jaef, in der Hand einen goldenen Kugelschreiber. "Sie ist das moderne Aschenputtel." Daniela spielt inzwischen mit einem Röntgenbild.

Jedenfalls kommt Daniela Cott aus einer Welt, der wenige Dinge ferner sind als Laufstege und Modemagazine. Ihre Mutter hat mit 38 Jahren neun Kinder, die älteste Tochter ist 24. Die Familie wohnt in Villa Caraza an der Peripherie von Buenos Aires, das Viertel heißt Eva Perón, wie die Nationalheilige. Es ist keiner der schlimmsten Slums, aber dennoch eine Gegend, die Argentinier aus besseren Kreisen nie betreten würden, mit wenig Arbeit und viel Gewalt. Danielas Vater lebt mal zu Hause, mal woanders und verdingt sich bei Gelegenheit als Maurer.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie sich Daniela Cott im Modelbusiness zurechtfindet ...

Die Narben der Schönheit

Wer keinen Job findet, der verfällt leicht den Drogen - Paco nennt sich die übelste Plage, es sind Kokainreste, die Menschen zu Gespenstern werden lassen. Das sicherste Einkommen ist hier immer noch das, was die Besserverdienenden im Herzen der Metropole wegschmeißen. 200 Dollar brachten die Cotts in guten Wochen zusammen, das Geschäft mit dem Müll ist gut organisiert, beherrscht von Mafia-Banden. Dieser Basis der Gesellschaft erwachsen vielleicht spätere Fußballstars, Diego Maradona wurde im nahegelegenen Villa Fiorito groß. Aber Models?

Ihr neuer Berater war dieser Glamour-Szene schon immer nahe, er kommt vom andere Ende der Gesellschaft. Salvador Jaef hatte preisgekrönte Modelle als Freundinnen, selbst seine ebenfalls 16-jährige Tochter stand schon einmal probehalber vor der Kamera. Sein Vater war ein bekannter Mediziner, der aus Syrien einwanderte. Er bekam ein erstklassiges Studium, wurde Zahnarzt und folgte der Tradition - im Schrank seines salongroßen Büros stehen arabische Bücher, neben der Couchgarnitur lagert eine Wasserpfeife.

Daniela Cott weiß dagegen nicht mal, ob ihr Nachname von deutschen oder österreichischen Vorfahren stammt. Salvador Jaef besaß eine Klinik in Spaniens Luxustreff Marbella und reist gelegentlich mit Privatflugzeugen nach Dubai oder Saudi-Arabien, um dort Prinzessinnen und Prinzen zu operieren. 1001 Nacht. Seine Spezialität sind Gesichtsveränderungen mit biologischen Implantaten - das lohnt sich auch in Argentinien, wo sich schon Jugendliche die Formen verändern lassen. Seine Klientin braucht solche Eingriffe nicht. "Sie hat einen guten Knochenbau", lobt der Experte. Daniela Cott zerknüllt derweil ein Stück Papier.

Sie ist ein hübsches Mädchen, fällt aber nicht jedem gleich als künftige Nadja Auermann auf. Auch Jaef fand bei der ersten Begegnung nichts Besonderes an der jungen Dame. Fachleute dagegen waren sofort begeistert, und inzwischen weiß auch er: "Sie ist ungewöhnlich fotogen und sehr wandelbar, ein Chamäleon." Hübsche Mädchen gebe es ja so viele, gerade in Argentinien - "gesucht werden Charaktere, Rohdiamanten, ihre Reife erreichen Models mit 20 oder 21." Im vergangenen Jahr zum Beispiel, da habe bei der weltweiten Talentschau eine traurige Tschechin triumphiert. Daniela blättert in einer Zeitschrift, der PR-Termin beginnt langweilig zu werden. Solche Hefte zog sie einst aus Tonnen und Plastiktüten.

Das mit der Cartonera ist einerseits eine Attraktion. Und andererseits ein Makel im klassenbewussten Südamerika. Salvador Jaef klagt, Freunde hätten sich von ihm abgewandt, weil sie das mit der Müllsammlerin geschmacklos und seinem Niveau unangemessen finden. Daniela Cott erzählt, wie bei einem Fototermin eine Frau gefragt habe, ob sie "neben dieser Cartonera" stehen müsse. "Andere Models haben Polospieler als Freunde", sagt sie. Als ihr daheim in Villa Caraza jemand zurief, "ah, unser Model", da fühlte sie sich nicht etwa geschmeichelt, sondern drehte sich um und verpasste ihm eine ordentliche Ohrfeige. Von dem Handgemenge trug sie eine Schramme an der Schläfe davon, Visagisten kümmerten sich darum.

Pommes statt Paella

Salvador Jaef könnte bei diesen Launen manchmal verzweifeln, aber er ist von seiner Entdeckung überzeugt. "Niemand kann garantieren, dass es mit ihr so weiter geht. Noch investieren wir, aber wir glauben, dass sie eine große Karriere machen wird." Mehrere Verträge sind schon unterzeichnet. Ein spanischer Fernsehsender lud nach Madrid, Daniela flog zum ersten Mal, übernachtete zum ersten Mal in einem Hotel, schlief zum ersten Mal allein in einem Zimmer - sie ist an Geschwister gewöhnt und kann Einsamkeit nicht ertragen. Fremdes Essen wie Paella fand sie ekelhaft und bestellte Pommes Frites, dabei hatte sich das Restaurant solche Mühe gegeben.

Jetzt bekommt sie ihre Website, Salvador Jaef sicherte sich mit Mühe die Adresse, zunächst hatte sie ein Unbekannter anmelden lassen. Clarín, die auflagenstärkste Tageszeitung in spanischer Sprache, bat sie für das Sonntagsmagazin ins Fotostudio. Ein Treffen mit der neuen argentinischen Staatspräsidentin Cristina Kirchner ist geplant. Autoren und Filmproduzenten sind interessiert. "Sie kann ein Vermögen verdienen", sagt Salvador Jaef. Bei Claudia Schiffer wird ein Guthaben von 250 Millionen Dollar geschätzt. Von Linda Evangelista stammt der Satz: "Für 10000 Dollar stehe ich morgens gar nicht erst auf." Die Argentiniern Valeria Mazza wurde ebenfalls Millionärin.

"Geld ist mir nicht wichtig", sagt Daniela Cott. "Fotos gefallen mir, ich will mich auf Plakaten sehen." Außerdem? "Mit 18 will ich heiraten und viele Kinder kriegen." Und wenn sie schon ins Ausland müsse, dann "nach Paris". Vorläufig spielt sie weiter Fußball auf den Bolzplätzen von Villa Caraza und isst, was sie will. Und absolviert Fototermine, gibt Interviews. Und lässt sich von Kosmetikern Hände, Knie und Gesicht pflegen.

Zwei Stunden sind vorbei, Daniela Cott zerkratzt mit den Fingernägeln die Schreibtischunterlage aus feinem Leder. Salvador Jaef zeigt entsetzt auf die Schrammen. "Weißt du", fragt er, "was das gekostet hat?"

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