ARD-Dreiteiler "Steinzeit - Das Experiment":Familienfernsehen im Ziegenfell

Zwei normale deutsche Familien haben für eine ARD-Doku zwei Monate lang ein Leben wie vor 5000 Jahren geführt. Das Ergebnis hätte leicht eine Art historisches Dschungelcamp werden können, mit Schlampen, Maden, Psycho-Parcours. Doch heraus kam ein Projekt mit besten Absichten auf Wissensvermittlung, das viel Sympathie verdient hat.

Claudia Tieschky

Gleich am Anfang kommt der Wettersturz. Tagelang, nächtelang Regen. Rund um den Bodensee stehen die Keller unter Wasser. Und an einem Weiher im Hinterland droht in diesen kalten Augusttagen 2006 der Untergang einer Epoche: Der Südwestrundfunk (SWR) hat von Archäologen ein Dorf aus der Zeit von 3500 vor Christus nachbauen lassen. Der Plan: Zwei normale deutsche Familien werden für eine Fernsehdokumentation zwei Monate lang ein möglichst originalgetreues Leben wie vor 5000 Jahren führen. Zwei Männer der "Sippe" sollen sogar die Alpen überqueren.

"Steinzeit - Das Experiment", SWR/Schmoll, ddp
(Foto: SWR/Schmoll, ddp)

Doch jetzt tröpfelt es ganz erbärmlich durch die Dächer der Pfahlbauten auf sechs Kinder, auf sieben Erwachsene, Felle feuchteln, die Oma spürt die Hüfte. Regisseur Martin Buchholz trifft eine Entscheidung. Er lässt warme Decken bringen, die Dächer werden mit Planen abgedeckt. Das wird später direkt im Film zu sehen sein, gleich am Anfang des Vierteilers Steinzeit - Das Experiment, den die ARD an Pfingsten beginnt. "Wir wollen nur im Notfall eingreifen", wird aus dem Off erklärt: "An diesem Abend ist der Notfall da."

Das Problem beschäftigt Urs Leuzinger. Er hat auf der anderen Seite des Bodensees, den er "das jungsteinzeitliche Autobahnkreuz" nennt, im schweizerischen Frauenfeld einen bedeutenden Pfahlbau-Fund ausgewertet und war Berater im SWR-Projekt. "Schönwetter-Archäologie" sei doch, was man bisher getrieben habe, sagt er bei der Film-Präsentation. Regisseur Buchholz sagt so: "Die Theorie war nach drei Tagen völlig erledigt. Ich habe furchtbar überschätzt, was die Archäologen darüber wissen."

Wissenschaft im TV-Test - dafür haben sie beim cleveren SWR jetzt den Begriff "Living Science" erfunden. Der Südsender hat einst mit dem Schwarzwaldhaus das Zeitreisen-Fernsehen ("Living History") zum Renner entwickelt. Allerdings hat sich die Idee nach diversen Kostümfesten im Gutshaus, der Sommerfrische und bei Windstärke 8 auch abgenutzt. Als vorigen Sommer die Aufbauten zum Steinzeit-Projekt begannen, war (unter Beteiligung des SWR) gerade die Bräuteschule 1958 abgedreht worden, strenger Drill, pastellfarbene Lockenwickler, verklärte weibliche Einfalt. Das Motto "Leben wie vor 5000 Jahren" schien da als Fortsetzung erschreckend logisch.

Anders - und besser

Tatsächlich hätte man rund um die Sippe im Schlamm auch eine Art historisches Dschungelcamp inszenierten können, mit Schlampen, Maden, Psycho-Parcours. Aber der SWR leistet sich noch eine eigene Abteilung für Wissenschaft und Bildung. Dort hat man dann offensichtlich doch vieles anders und besser gemacht, und zeigt jetzt mit durch und durch bürgerlichem Bildungsauftrag Familienfernsehen im Ziegenfell.

An dem Vierteiler wirkte ein ganzes Netzwerk von Forschern und Museen: Das Pfahlbaumuseum in Unteruhldingen am Bodensee sorgte für die Ausstattung, vom Institut für Archäologie der Uni Innsbruck, wo der Gletschermann "Ötzi" erforscht wurde, kam die Route zur Alpenüberquerung - speziell entlang jungsteinzeitlicher Fundstellen. Wissenschaftler der Uni Freiburg nahmen das Schlafverhalten in der Sippe und ihre Zahnbakterien in den Blick, ein Spezialgerät wertet die Energiebilanz aus.

"1,5 Millionen Euro plus" kostete das Projekt laut SWR-Fernsehkulturchef Egon Mayer, woran zum kleinen Teil auch der Bayerische Rundfunk beteiligt war. Nebenbei entstanden ein Dreiteiler für Kinder, Hörfunkbeiträge, Specials für W wie Wissen (ARD) und für SWR-Sendungen.

Außerdem soll das Experiment Publikum in 20 deutsche Landesmuseen ziehen, in denen eine Wanderausstellung die Fernseh-Steinzeit mit regionalen Exponaten kombinieren wird. Kurzum, ein Projekt mit besten Absichten auf Wissensvermittlung, das viel Sympathie verdient hat.

Bekommen wird es sie vor allem, weil es in dem Dorf am Weiher sehr oft zugeht wie in einem großartigen Ferienlager mit Fischfang, Kinderabenteuern und überirdisch gelassenen Eltern. Die Familien Burberg und Matthes kennen sich seit Jahren, die Kinder Till, Roman, Mitja, Ronja, Merlin und Taliesin streifen als Bande in tollen Kostümen durchs Abenteuerland.

Versunken hinter der Mole

Morgens treten die Erwachsenen mit zerknautschen Gesichtern an erloschener Feuerstelle ihre Beine zurück ins Leben. Man muss den Reiz daran nicht völlig verstehen, aber Harm Paulsen tut es, weil er sein Leben lang solche Sachen gemacht hat - die Ostsee im Einbaum überqueren zum Beispiel. Der Archäotechniker am Archäologischen Landesmuseum Schleswig trägt seinen ergrauten Rundschnitt zum Pferdeschwanz gebunden, kann auf 43 Arten Feuer machen und trainierte die Familien gemütvoll, bevor sie in das Dorf zogen.

Dann musste er oft auf Abruf in den Süden kommen, wenn denen dort die Steinzeit mal wieder über den Kopf wuchs. Das Emmer-Getreide ließ sich mit keiner bekannten Methode entspelzen. Der Einbaum versank mit den Alpenüberquerern kurz hinter der Hafenmole im Bodensee. Solche Sachen.

Auffällig, dass das ZDF am Montag eine Dokumentation über die Himmelsscheibe von Nebra (4000 Jahre zurück) sendet. Urs Leuzinger soll als nächstes das Schweizer Fernsehen SF beim Projekt Pfahlbauer von Pfyn beraten - "Living Science" mit eidgenössischer Steinzeit.

Steinzeit- Das Experiment, ARD, vier Folgen, Sonntag und Montag, 21.45 Uhr, sowie 4. und 11. Juni, 21 Uhr. Die Steinzeit-Kinder, drei Folgen, Samstag, 10.30 Uhr, Montag 9 Uhr und 9.25 Uhr.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: