Süddeutsche Zeitung

Archiveinsturz in Köln:In allen Grundfesten erschüttert

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Die Probleme beim Kölner U-Bahnbau, die den Archiv-Einsturz verursacht haben sollen, waren bekannt. Der Oberbürgermeister fühlt sich hintergangen.

Johannes Nitschmann

Die Stimme des Kölner Oberbürgermeisters bebte vor Zorn. "Ein Skandal" sei das, polterte Fritz Schramma (CDU) am Samstag, "eine Unverschämtheit". "starker Tobak". Der Grund für die Wut: Der Rathauschef fühlt sich von seinen eigenen Mitarbeitern und den Kölner Verkehrsbetrieben(KVB) hintergangen. Brisante Protokolle über Zwischenfälle beim Kölner U-Bahn-Bau sollen dem OB vorenthalten worden sein. Tagelang, so sagte Schramma, hätte ihn die KVB vor die Mikrophone treten lassen und offenbar gewusst, "dass da noch was ist."

Bereits sechs Monate vor dem Einsturz des Historischen Archivs und der benachbarten Wohngebäude, bei dem zwei Menschen starben, waren die Grundwasserprobleme an der angrenzenden U-Bahn-Baustelle am Kölner Waidmarkt offenkundig dramatisch und für die Bauarbeiter zeitweise unbeherrschbar geworden. Dies geht aus Protokollen von drei "Baustellenbesprechungen" hervor, die monatelang gegenüber der Rathausspitze und dem Stadtrat geheim gehalten wurden.

Der Zwischenfall, der sich bereits am 8.September 2008 in der 28 Meter tiefen Baugrube vor dem Historischen Archiv ereignete, wird in einem der Dokumente als "kleiner hydraulischer Grundbruch" beschrieben - für unterirdische Arbeiten ein echter GAU, bei dem Wasser und Erde in die Baugrube eindringen und die Fundamente umstehender Gebäude gefährdet werden. Am 3. März dieses Jahres war das sechsgeschossige Archivgebäude in die vom Grundwasser bedrohte Baugrube am Kölner Waidmarkt gestürzt.

Zwei junge Männer waren unter den Trümmern begraben worden. Als wahrscheinlichste Unglücksursache wird nun von Experten ein hydraulischer Grundbruch angenommen. Am 9. Februar 2009, also einen Monat vor dem folgenschweren Archiv-Einsturz, sollen am Waidmarkt erneut "Probleme mit der Wasserhaltung" aufgetreten sein. Dabei soll das Archivgebäude binnen 24 Sunden um sieben Millimeter abgesackt sein. Auch sollen Schlitzwände, mit denen die U-Bahn-Grube abgesichert wurde, wiederholt undichte Stellen gehabt haben.

Brisante Protokolle

Nach Bekanntwerden der brisanten Protokolle hat OB Fritz Schramma die Kölner Verkehrsbetriebe als Bauherr der unterirdischen Nord-Süd-Bahn aufgefordert, bis zu diesem Montag alle "relevanten Bauprotokolle und Sachverhalte" über Zwischenfälle beim Bau der vier Kilometer langen U-Bahn-Trasse offen zu legen. Anschließend müssten diese Dokumente von einem unabhängigen Gutachter überprüft werden. "Ich fordere Sie auf, mit einer offensiven Informationspolitik für Transparenz und Aufklärung zu sorgen und alles zu unternehmen, das Vertrauen der Bürger zurück zu gewinnen", heißt es in dem Schreiben des Oberbürgermeisters an den KVB-Vorstand.

"Behinderung infolge erhöhten Wassereintritts im Bereich des Brunnens B 3", notierten Arbeiter am 8. September 2008 im Bautagebericht der mit dem Trassen-Bau beauftragten Firmen. Tags darauf meldeten die Unternehmen in einem Schreiben an die KVB wegen eines "kleinen hydraulischen Grundbruchs" in der Grube am Waidmarkt "Mehrkosten" an.

"Disziplinarrechtliche Prüfungen"

Zusätzlich wurden sechs weitere Brunnen installiert, um das hereinfließende Grundwasser abpumpen zu können. "Der hydraulische Grundbruch zählt zu den gefährlichsten Versagensmechanismen im Bereich der Geotechnik", heißt es in einer Studie des Aachener Hochschul-Instituts für Geotechnik über den Kölner U-Bahn-Bau. Der hydraulische Grundbruch, so erklärt die Studie, trete "durch rückschreitende Erosion ohne große Vorankündigung" ein und führe "zum schlagartigen großflächigen Aufbrechen der Baugrubensohle".

Er frage sich, warum man nach dem Zwischenfall am 8. September vergangenen Jahres "nicht sofort die Notbremse gezogen" und das Historische Archiv evakuiert habe, erklärte der Kölner OB. Er habe "disziplinarrechtliche Prüfungen" gegen diejenigen Beamten eingeleitet, die von Problemen beim U-Bahn-Bau gewusst, diese aber verschwiegen hätten. Auch gegen Baudezernent Bernd Streitberger würden solche Schritte geprüft. Bisher habe ihm die KVB immer versichert, dass es an der Baustelle Waidmarkt keine Probleme gegeben habe. Dies werde durch die Protokolle jedoch widerlegt.

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SZ vom 23.03.2009/woja
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