Süddeutsche Zeitung

Corona und Garten:Archäologie im Blumenbeet

Weil die Menschen in der Pandemie viel Zeit zum Gärtnern haben, steigt die Zahl der historischen Zufallsfunde. Denkmalpflegerin Susanne Friederich erklärt, worauf es ankommt, wenn man beim Umgraben auf ein historisches Objekt stößt.

Von Xenia Miller

Da kniet man im Blumenbeet und stößt beim Unkrautjäten plötzlich auf einen Widerstand. Oft ist es nur die Hacke, die man beim letzten Umgraben vergessen hat, aber manchmal finden Hobbygärtner auch Scherben, Schmuck und andere Dinge, die aus einer fernen Zeit zu stammen scheinen. Solche Funde sollte die Finderin oder der Finder dem örtlichen Landesamt für Denkmalpflege melden. Die Archäologin Susanne Friederich leitet die Abteilung für Bodendenkmalpflege im Denkmalamt in Sachsen-Anhalt und ist zuständig für solche Entdeckungen. Im vergangenen Jahr hatte die 50-Jährige deutlich mehr zu tun als gewöhnlich, denn weil die Menschen wegen Corona zum Zu-Hause-Bleiben verdammt waren, hatten sie mehr Zeit zum Graben.

SZ: Wenn man an Archäologen denkt, denkt man an Forschende, die jeden Tag in den ägyptischen Pyramiden Historisches entdecken. Ist Ihr Alltag genauso spannend?

Susanne Friederich: Mein Alltag ist wahrscheinlich noch viel spannender, weil er eine längere Zeitspanne abdeckt.

Was wird bei Ihnen in der Gegend gefunden und was lesen Sie daraus ab?

Die Funde reichen von einem unscheinbaren, aber aufschlussreichen Spulwurm bis zur Himmelsscheibe von Nebra. Sie ist ein herausragendes Beispiel dafür, dass man zunächst nicht viel oder alles über die gemachten Funde weiß. Denn sehr häufig sind archäologische Funde einmalig, das heißt noch nie da gewesen. Das betrifft auch ganz winzige Funde: zum Beispiel erhaltene Organik wie Flügeldecken von Käfern in einem tiefen, immer feucht gebliebenen Brunnen der Jungsteinzeit. Da kann man sogar noch aus den kleinsten Erdkrümeln etwas herauslesen und daran die Geschichte rekonstruieren. Seit einigen Jahren bekommen wir von den Kollegen aus der Genetik sogar die alte DNA entschlüsselt. Das geht so weit, dass im vergangenen Jahr erkannt werden konnte, dass Hepatitis schon vor 7500 Jahren hier in Sachsen-Anhalt mindestens einmal aufgetreten ist.

Sie haben dem Spiegel gesagt, dass im vergangenen Jahr viel mehr von Privatpersonen gefunden wurde.

Das ist aus der Pandemiesituation heraus eigentlich folgelogisch. Im vergangenen Jahr waren zeitweise alle Spielplätze geschlossen. Also bestellt man sich im Internet eine Schaukel, hebt von Hand das Fundament aus und stößt dabei auf "etwas". Gleiches beobachten wir beim Poolbau im Garten: Normalerweise hätte der Bauherr einen Bauunternehmer beauftragt, jetzt hat er mit dem Spaten selbst geschachtet. Bei dieser Handarbeit bemerkt man eher als mit dem Bagger kleine Objekte im Boden. Darüber hinaus unterstützen uns 300 bis 350 ehrenamtlich Beauftragte für Denkmalpflege. Sie interessieren sich sehr für ihre eigene Geschichte, gehen aber einem ganz anderen Beruf nach. Diese Kollegen haben jetzt, weil sie in Kurzarbeit sind, viel mehr Zeit, die Äcker zu beobachten, und schon werden auch hier ganz verstärkt weitere Funde erkannt.

Dinge ausgraben ist zum Corona-Trend geworden?

Nicht das Ausgraben von archäologischen Funden, sondern das Umgraben des eigenen Gartens haben im letzten Jahr viele Bürger verstärkt gemacht. Keiner wird aber sagen, dass sie Hobbyarchäologen sind oder bewusst im Garten nach antiken Gegenständen gesucht haben. Vielmehr haben sie mehr Gartenarbeit erledigt, weil sie zu Hause bleiben mussten. Dabei sind sie auf Objekte gestoßen, die ihnen unbekannt vorkamen. Vielleicht hätte man diese Objekte in Zeiten mit üblicher Alltagshektik einfach achtlos zur Seite geworfen. Aber in Lockdown-Zeiten ist man ja mit ganz anderen Aufmerksamkeiten ausgestattet, und da merkt man dann eher, dass es sich um Archäologie handelt.

Das klingt jetzt fast so, als wären die Böden so reich an Artefakten und Schätzen, dass man nur irgendwo buddeln muss, um etwas zu finden.

Wenn wir Sachsen-Anhalt mit seinen guten Böden betrachten, dann ist das genau so. Die hohe Bodenqualität haben bereits die ersten Bauern und die Siedler vor 7500 Jahren erkannt. Zudem sind die Böden durch ihren hohen Kalkgehalt hervorragend geeignet, um Gegenstände bis heute zu erhalten.

Meinen Sie, dass es sich als Privatperson lohnt, im Garten mal ein bisschen nachzuschauen, was sich da so verbirgt?

Das lohnt sich gar nicht. Das Kulturgut ist Allgemeingut, und deshalb ist für jede Nachforschung eine Genehmigung einzuholen. Illegale Sondengänger oder Raubgräber meinen, dass man mit einzeln herausgelösten Funden helfen könne, die Geschichte zu schreiben. Hier klären wir selbstverständlich kontinuierlich auf. Denn das bewusste Suchen ist eine genehmigungspflichtige Nachforschung. Wenn man ohne Genehmigung in den Boden eingreift, begeht man oftmals sogar eine Straftat.

Wann genau muss ich eine Genehmigung einholen?

Wenn Sie einen Carport oder eine Schaukel aufstellen oder einen kleinen Pool im Garten anlegen wollen, braucht es dazu weder eine Bau- noch eine denkmalrechtliche Genehmigung. Aber wenn Sie ganz bewusst mit Ihrem Spaten losziehen und sagen: Ich möchte Geschichte ausgraben, dann möchten Sie ja nachforschen, und dafür benötigen Sie eine Genehmigung. Wenn ich hingegen eine Baumpflanzgrube aushebe oder mein Frühbeet anlege, habe ich das Ziel, etwas in meinem Garten zu erledigen. Und wenn dabei Funde zutage kommen, hat man ja nicht absichtlich nachgeforscht. Dann, so ist es im Gesetz geregelt, meldet man den Zufallsfund und lässt die Fundstelle die nächsten fünf Tage unverändert, bis weitere Entscheidungen von den Denkmalpflegern getroffen werden.

Was passiert dann mit den Gegenständen? Kann man die am Ende in einem Museum betrachten?

Archiviert werden alle Gegenstände. Und wenn sie von besonderer Bedeutung sind, kann es sehr gut sein, dass sie bei uns in die Dauerausstellung oder eine Sonderausstellung integriert werden. Es ist kein Geheimnis, dass zahlreiche Objekte in unserer Ausstellung von ehrenamtlich Beauftragten erkannt worden sind.

Was war das Außergewöhnlichste, was im vergangenen Jahr gefunden wurde?

Was sehr spannend war, war ein Gräberfeld aus den ersten Jahren nach Christi. Es wurde beim Bau einer landwirtschaftlichen Produktionshalle entdeckt. Niemand hätte gedacht, dass in einem Meter Tiefe ein Gräberfeld von einer Qualität liegt, wie wir sie bislang noch gar nicht kannten. Aber es gibt auch interessante kleine Einzelobjekte. Vor wenigen Wochen haben wir eine kleine Achat-Perle gefunden, die 6000 Jahre alt ist. Achat ist ein ganz harter Stein und schwer zu bearbeiten. Dass man schon vor 6000 Jahren Achat verwendet hat, war uns neu.

Begrüßen Sie es denn, dass immer mehr gefunden wird?

Die Archäologin in mir freut sich über jeden Wissenszugewinn. Als Denkmalpflegerin weiß ich aber, dass Archäologie im Boden am besten aufbewahrt wird. Wenn wir meinen, wir würden heute gut ausgraben, dann ist das wenig selbstkritisch. Denn wir wissen ganz genau, dass in zehn Jahren die nächsten Methoden dazukommen - gerade die naturwissenschaftliche Archäologie verbessert sich laufend. Das Besondere an einem Fund ist der Erkenntniszugewinn, dass man die Geschichte komplementieren kann. Von daher ist es immer ein Ja und ein Nein, ob ich mich über Funde freue. Wenn sie geordnet und dokumentiert ausgegraben werden, ist es toll. Wenn sie aber böswillig und unkontrolliert aus dem Boden gerissen werden, dann ist es ärgerlich. Man meint oft, man hilft, und merkt dabei gar nicht, dass gut gemeint gar nicht gut gemacht ist.

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