Arabische Welt:"Ich werde Gott alles erzählen"

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Kinder gegen Krieger: Wie ein Video über Selbstmordattentäter und ihre Opfer im Ramadan zum Internet-Hit wurde.

Von Dunja Ramadan

Ein Mann werkelt in einer düsteren Kammer vor sich hin, die Kamera nähert sich von hinten, und mit jeder Sekunde wird deutlicher, was er da treibt: Er lötet Kabel, um sich den selbstgebauten Bombengürtel umzuschnallen. Es folgen Bilder seiner möglichen Opfer; ein Großvater, der ausgelassen mit seinem Enkel spielt; ein Brautpaar, das sich für den Hochzeitstag schön macht. Und immer wieder Kinder, mit Ruß überdeckt, mit blutenden Wunden überzogen. Sie klagen in diesem Video den Terroristen an, eine Kinderstimme singt: "Ich werde Gott alles erzählen, dass du die Friedhöfe mit uns Kindern gefüllt hast und die Schulbänke leer sind."

Der kuwaitische Mobilfunkanbieter Zain stellte diese dreiminütige Anti-Terror-Werbung kurz vor Beginn des Fastenmonats Ramadan auf Youtube, seitdem wurde das Video fast drei Millionen Mal geklickt. In Deutschland schalten Supermarktketten in der Vorweihnachtszeit sentimentale Werbungen, das Gleiche gilt für den Ramadan-Werbespot. Denn während der muslimischen Fastenzeit, die am Samstag begonnen hat, gehen die TV-Zuschauerquoten in der arabischen Welt nach oben: Nach dem Fastenbrechen schauen viele Muslime eine der unzähligen arabischen Seifenopern. Und genau in dieser wichtigen Werbepause platziert Zain seinen Anti-Terror-Werbespot.

In dem Video werden die Opfer von Schauspielern gespielt, und sie widersetzen sich dem Terror: Sobald der Terrorist zu religiösen Bekundungen ansetzt, sind sie es, die ihm antworten. Als der Attentäter das muslimische Glaubensbekenntnis spricht, antwortet ihm zum Beispiel ein älterer Mann mit einer blutenden Schnittwunde am Hals und einem weinenden Baby im Arm: "Du kommst im Namen des Todes, doch er ist der Schöpfer des Lebens."

In dem Clip tauchen auch Terror-Opfer aus dem realen Leben auf

Ein anderes Mal ist es eine junge Lehrerin, die dem Terroristen auf seinen Ruf "Gott ist größer" antwortet: "Er ist größer als jemand, der nur gehorcht, ohne nachzudenken." Und dann folgt der Refrain: "Bete deinen Gott mit Liebe an, nicht mit Terror", gesungen von dem sehr bekannten arabischen Sänger Hussein al-Jassmi. Auch Terroropfer aus dem echten Leben wie Nadia al-Alami, eine Frau aus Jordanien, sind Teil des Anti-Terror-Videos. Auf ihrer Hochzeit im Jahr 2005 brachten Selbstmordattentäter 27 Menschen um, darunter ihre Mutter und ihren Vater.

Der Mobilfunkanbieter Zain wendet sich mit seinem Video gegen religiöse Extremisten, die den Islam ihrer Meinung nach missbrauchen. Das Lob für die Friedenshymne ist in den sozialen Netzwerken dementsprechend groß. Doch eine Szene entzweit die Gemüter. Ein Kind spielt den fünfjährigen Omran; das Bild von ihm, wie er nach einem Bombenangriff auf Aleppo blutverschmiert in einem Krankenwagen sitzt, ging damals um die Welt.

Im Video wird nämlich nicht erwähnt, dass Terror auch von Staaten wie Syrien ausgehen kann. Auf Twitter gab es daraufhin den arabischen Hashtag "Zain entstellt die Wahrheit". Und schließlich meldete sich die syrische Aktivistin Lina Shamy, eine der letzten Vertriebenen aus Aleppo, per Video zu Wort: "Terroristen können auch einen Anzug tragen und in einem Palast wohnen." Das Schicksal des jungen Omran dürfe nicht umgedeutet werden, forderte sie.

© SZ vom 31.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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