Es ist ein sehr großes Taxi, das Okan fährt. Mit Multimedia- und Klimaanlage, acht Sitzen und dunklen Scheiben. Vor dem kleinen Bahnhof des österreichischen Urlaubsortes Zell am See finden sich fast nur solche Taxis. Gleich neben dem Café "Istanbul" und dem Telefonladen, der in arabischer Schrift für was auch immer wirbt. Gegenüber: ein Restaurant, auf dessen Terrasse Männer neben schwarz verhüllten Frauen Wasserpfeife rauchen. "In ein paar Wochen ist Ramadan", sagt der in Österreich geborene Türke, "dann geht die Saison so richtig los."
Okan, 28, wird dann wieder arabische Touristen nach Wien fahren, nach München, Paris, Rom oder Salzburg. Zell am See gehört unter reichen Golfstaatlern zu den beliebtesten Reisezielen in Europa. Dass der Zeller Tourismusverband deshalb jetzt Benimmregeln an Gäste aus dieser Region verteilt, findet Okan gar nicht gut. Seinen vollen Namen möchte er auch nicht in der Zeitung lesen.
Die Informationsbroschüre "Where Cultures meet" erhält seit Anfang Mai jeder Araber beim Check-In im Hotel. "Österreichische Frauen können sich ihren Dress frei wählen, das wird sichtbar in bunten, modernen Kleidern", steht da beispielsweise auf Englisch und Arabisch. Schwarz hingegen, so wird erklärt, stehe für "Trauer". Und: "In unserer Kultur sind wir gewohnt, in das lachende Gesicht unseres Gegenübers zu schauen". Es folgen zahlreiche Hinweise, dass man in Österreich den Müll nicht auf die Straße werfen darf, im Hotel nicht am Boden essen soll, zerstörte Einrichtungsgegenstände ersetzt werden müssen und die Mittagsruhe von 11.30 bis 14.30 Uhr dauert. Man hat offenbar so seine Erfahrungen gemacht. Ganz wichtig: Nicht-angeschnallte Kinder im Auto können bis zu 5000 Euro Strafe kosten. "Diese Broschüre ist rassistisch", finden Taxifahrer wie Okan.
"Dieses Wasser, dieses Grün, diese Berge. Das ist Gott. Unser aller Gott."
"Die Broschüre ist Wischiwaschi", findet ein paar Meter weiter Hermann Mosshammer, der in dritter Generation ein Café in der 9500-Einwohner-Stadt führt. Die Stimme des sportlichen wirkenden 56-Jährigen schallt über den Kirchplatz: "Was wir für diese Gäste brauchen, das sind klare Verbote!" In den vergangenen zehn Jahren sei die Zahl arabischer Touristen um mehrere hundert Prozent gestiegen. Das vergraule viele andere. "Statt der Piefke-Saga ist das jetzt die Burka-Saga." Der Ort gerate aus dem Gleichgewicht. "Nach Ramadan siehst Du vor lauter verhüllten Frauen den See nicht mehr." Doch in der Broschüre stehe immer nur: "Könnten Sie nicht vielleicht. . .", "Tun Sie doch, bitte. . ." Das helfe niemandem. Mosshammer war mal in Oman. Da sei man nicht so tolerant.
"Für mich ist das hier das Paradies", sagt ein Tourist, der sich als saudischer Arzt vorstellt und gerade mit Frau (verhüllt) und Sohn (in Lederhose) aus dem Tretboot steigt. "Dieses Wasser, dieses Grün, diese Berge. Das ist Gott. Unser aller Gott." Kennt er die Benimmfibel? "Ja", sagt er, "für uns ist das eine sehr hilfreiche Information." Seine Frau sagt nichts. Sie verschwindet im Kristallschmuckladen.
Als "innovativer Dialog" zu einem "brennenden Thema" ist für diesen Abend eine Veranstaltung im örtlichen "Ferry Porsche Congress Center" angekündigt. Der Eintritt ist frei, der Saal mit einigen hundert Menschen überfüllt, ständig werden weitere Stühle aus den Seiteneingängen hereingereicht. Das Thema: "Araber in Zell am See". Verhüllte Frauen oder Taxifahrer mit Migrationshintergrund sind hier nicht zu sehen. Organisiert wird die Veranstaltung von der "Schmittenhöhebahnen AG", die sich, so erklärt der Vorstand auf der Bühne, nicht nur als "Wertschöpfungskette", sondern auch als "Plattform für kontroversielle Themen" sehe. Auf Monitoren werden die Begriffe "Burka", "Niqab", "Hidschab" und "Tschador" erklärt. Im Publikum wird getuschelt: "Deren Mentalität ist so ganz anders. . ." "Haben Sie gesehen? Sogar der Friseur wirbt auf Arabisch. . ."
Dann übergibt der Seilbahnen-Vorstand das Mikrofon an den deutsch-ägyptischen Publizisten Karim El-Gawhary. Der Leiter des Kairoer ORF-Büros hat das Buch "Frauenpower auf Arabisch" geschrieben und ursprünglich geglaubt, hier für eine Lesung gebucht worden zu sein. Nun sitzt er Hunderten Bürgern gegenüber, die über Verhüllung und Benimmbroschüren diskutieren wollen. El-Gawhary bleibt beim Thema seines Buches und erzählt vom schrecklichen Schicksal derer, die vor Krieg, Armut und Hunger über das Mittelmeer fliehen. Er schließt: "Seien Sie sich bewusst: Das ist reiner Zufall, das Sie hier geboren sind. Sie könnten genauso in Aleppo geboren sein. Diese Erkenntnis ist das beste Mittel gegen Arroganz." Der Saal schluckt.
Sodann erhalten die örtlichen Touristik-Vertreter das Wort. Sie sagen, man solle doch stolz sein, in einer solch florierenden Region zu leben. Auch die "enorme Kapazität an Flugverbindungen" mit den (reichen) arabischen Ländern wird gepriesen. "Solange Wertschöpfung und Verhalten stimmen", sagt ein Herr vom Tourismusverband, "ist für uns jeder Gast wichtig. Gerade in diesen Zeiten." Und habe es nicht schon in den Sechzigerjahren in Zell am See Diskussionen gegeben? Damals war man die Franzosen leid, die irgendwann auch nicht mehr gekommen seien. Dann waren es die Schweden, weil sie so viel getrunken hätten. Und, mal ehrlich, gegen die Deutschen habe man doch auch schon immer was gehabt. Applaus. Jetzt seien es halt die "Golfis", wie der Publizist El-Gawhary die Touristen aus den Golfstaaten nennt, gegen die gehetzt werde.
Hat deren Zahl die der deutschen Gäste schon überholt? Oder nicht? Da ist man sich im Ferry Porsche Congress Center nicht ganz sicher. Doch egal, ob Platz eins oder zwei - Einigkeit herrscht am Ende nur darüber: Die Golfis sind spitze. Kommen auch ohne Werbung, nur über Mundpropaganda, buchen übers Internet, kaufen viel und trinken wenig. Für das "ausgeglichene Gästeprofil" von Zell am See seien sie sogar wesentlich angenehmer als jeder Inder oder Chinese. Und die Benimmfibel: sehr gelungen!
Dann meldet sich noch El-Gawharys Vater im Publikum zu Wort: "Ruhen Sie sich nur nicht aus auf Ihrem paradiesischen Produkt! Sonst wachen irgendwann die Wirte an den oberbayerischen Seen auf - und die Golfis fahren dorthin." Der Saal schluckt wieder. Zu diesem Zeitpunkt hat Café-Besitzer Mosshammer, der eigentlich ein warnendes Wort führen wollte, schon resigniert: "Wie ich sehe, haben wir gar keine Probleme", sagt er und wirkt wie der Klassensprecher, den die Schülerschaft erst ins Lehrerzimmer schickt, um ihm dann die Gefolgschaft zu verweigern.
"Letztens sah ich in der Fußgängerzone eine arabische Familie", erzählt ein paar Stunden später der Zeller Pfarrer Christian Schreilechner in der Sakristei. Gerade hat er die Heilige Messe gelesen. Vor zwölf alten Damen. "Die Kinder der vollkommen verhüllten Mutter haben mit riesigen Augen ein Pinzgauer Mädel beobachtet, das ein bauchfreies T-Shirt trug. Bei der quollen die Würschtel nur so raus. Da haben die Kinder gesehen: Aha. Es geht auch anders." Und so, wer weiß, wächst die Welt ja vielleicht doch noch mal zusammen.