Süddeutsche Zeitung

Anzeige wegen sexueller Belästigung:Kuss voller Verachtung

Die Mailänder Studentin will eigentlich nur demonstrieren, dann küsst sie einen Polizisten auf den Helm. Was aussieht wie ein Friedensangebot, endet in einer Anklage wegen sexueller Belästigung.

Auf einer Demonstration in der italienischen Stadt Susa geht die Mailänder Studentin Nina De Chiffre auf einen Polizisten zu und küsst mit geschlossenen Augen seinen Helm. Das Visier des Mannes hält sie liebevoll mit beiden Händen fest. Das Foto dieser Szene geht durch die internationale Presse. Und jeder interpretiert es anders.

Fest steht: De Chiffre kam nach Susa, um gegen die geplante Hochgeschwindigkeitstrasse zwischen dem italienischen Turin und dem französischen Lyon zu demonstrieren. Die Züge sollen auf dieser Strecke ab 2023 durch einen Tunnel fahren, dessen Bau Norditaliens Umwelt ernsthaft beschädigen könnte, wie Experten vermuten.

Als es bei dem Protest gegen das Projekt zu einem Zusammenstoß zwischen Beamten und Aktivisten kommt, entsteht das symbolträchtige Bild. Doch was sollte der Kuss bedeuten? Versöhnung? Vergebung? Ein Friedensangebot?

Nichts von alledem, wie die die 20-Jährige später der italienischen Zeitung La Repubblica erklärte. Sie habe mit dieser Geste ihre Verachtung gegenüber den Polizisten ausdrücken wollen.

Kein Friedensangebot, sondern Hohn

Während manche Medien und Nutzer sozialer Netzwerke laut der britischen Tageszeitung The Independent die Szene zunächst als friedliche Geste feierten, verstand die italienische Polizeigewerkschaft den Kuss so, wie er auch gemeint war: als Geste des Hohns. Denn was das Foto nicht zeigt, ist, wie die 20-jährige Studentin nach dem Kuss versucht, dem Beamten ihre abgeleckten Finger in den Mund zu drücken.

Generalsekretär Franco Maccari erstattete daher laut The Independent Anzeige wegen sexueller Belästigung und Beamtenbeleidigung. In einem Interview mit dem italienischen Radiosender Radio24 sagte er: "Wenn der Polizist sie geküsst hätte, wäre der dritte Weltkrieg ausgebrochen." Außerdem fragte Maccari die Journalistin, die ihn interviewte: "Wenn ich Sie auf den Mund geküsst hätte, wäre das etwa keine Belästigung?"

Die Aktivistin de Chiffre stört die Anzeige offenbar kaum. Zu La Repubblica sagte sie, sie würde für den Kuss lieber verurteilt werden, als dass er als friedliche Geste interpretiert würde.

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