Süddeutsche Zeitung

Interview am Morgen: Mangel an Anwälten:"Wir müssen an die Ursache heran"

Bei Allgemeinanwälten im ländlichen Raum zeichnet sich ein ähnlicher Mangel wie bei den Hausärzten ab. Der Deutsche Anwaltverein verlangt höhere Honorare.

Interview von Wolfgang Janisch

In manchen ländlichen Regionen fehlt inzwischen nicht nur der Supermarkt, der Bäcker, der Hausarzt und das schnelle Internet - es gibt dort auch immer weniger Anwälte. Einerseits liegt das an der Gebührenordnung, aber auch an der Vorstellung der Menschen. In dieser Woche sucht der Deutsche Anwaltstag in Leipzig nach Lösungen.

SZ: Der Deutsche Anwaltverein fordert eine Anhebung der Rechtsanwaltsvergütung - auch um das Angebot auf dem flachen Land zu verbessern. Warum?

Edith Kindermann: Die Anwälte in der Fläche rechnen ganz überwiegend nach der gesetzlichen Gebührenordnung ab - die zuletzt 2013 angepasst worden ist. Seither sind die Tariflöhne um 16 Prozent gestiegen. Wir fordern nur, diese Steigerung nachzuholen. Denn in der Tat, bei den Allgemeinanwälten im ländlichen Raum zeichnet sich ein ähnlicher Mangel wie bei den Hausärzten ab.

Können die Anwälte hier nicht selbst etwas tun, um die Lücken zu füllen?

Interview am Morgen

Diese Interview-Reihe widmet sich aktuellen Themen und erscheint von Montag bis Freitag spätestens um 7.30 Uhr auf SZ.de. Alle Interviews hier.

Es gibt positive Beispiele. Ich weiß von Kollegen, die sich auf Vorsorgevollmachten und Patientenverfügungen spezialisiert haben. Sie haben sich einen Bus gekauft und sich bei Bürgermeistern erkundigt, ob sie damit mal für zwei Tage ins Dorf kommen dürfen. Die haben die Rechtspflege in die Fläche gebracht. Wir müssen aber an die Ursache heran und die Präsenz von Anwältinnen und Anwälten in der Fläche durch eine Anpassung weiterhin ermöglichen.

Der Allgemeinanwalt, wie Sie ihn nennen, wäre idealerweise die erste Anlaufstelle bei einem juristischen Problem. Viele denken aber erst mal an die Rechnung, die ihnen der Anwaltsbesuch eintragen wird.

Wenn ich den Leuten sage, was nach der Gebührenordnung an Kosten anfällt, dann sagen viele: Da hätte ich aber mit ganz anderen Summen gerechnet.

Aber es gibt doch Untersuchungen, dass die Menschen erst ab einem gewissen Betrag den Klageweg beschreiten - weil darunter das Kostenrisiko zu hoch ist.

Ja, man geht von einer Schwelle von 1950 Euro aus. Aber man kann den Anwalt vorher fragen, was das kosten wird. Ein Beispiel: Der Vermieter fordert vom Mieter 1300 Euro Schadenersatz wegen verkratzter Türen. Wer vom Anwalt eine Beratung darüber will, ob sich ein Prozess lohnt, kann vorher ein Honorar vereinbaren. Die Kappungsgrenze für die Erstberatung liegt bei 190 Euro plus Mehrwertsteuer, also bei 226,10 Euro.

Das Internetportal Flightright, das Entschädigungen bei Flugverspätungen eintreibt, wirbt mit einem Kostenrisiko von null Euro bei hoher Erfolgschance. Keine Frage, wohin der Verbraucher geht, oder?

Bei Flightright geht es in der Regel um eindeutige Fälle. Und bei eindeutigen Fällen hat man beim Anwalt ebenfalls nur ein geringes Kostenrisiko - weil man, wenn man gewinnt, die Kosten vom Gegner erstattet bekommt, falls der nicht pleite ist.

Also ist das Augenwischerei?

Nein, aber man muss es differenziert betrachten: Die "ungewisse Erfolgsaussicht", die da beim Gang zum Anwalt unterstellt wird, besteht in den allermeisten Flugverspätungsfällen gerade nicht. Weil dort schnell klar ist, ob es eine Erstattung gibt oder nicht.

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Quelle:
SZ vom 14.05.2019/ick
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