Süddeutsche Zeitung

Antisemitismus in Israel:Neonazis im "Gelobten Land"

Jährlich kommt es in Israel zu rund 500 antisemitischen Übergriffen. Die Täter sind meist eingewanderte Russen. Die Behörden sprechen nur allgemein von "Vandalismus".

Nicht im Traum hätte Abraham Lewin daran gedacht, dass ihn ausgerechnet in Israel judenfeindliche Skinheads zusammenschlagen. Genau das ist dem Rabbiner aber passiert, vor einigen Wochen, als er in einem Vorort von Tel Aviv auf dem Heimweg war. "Sie haben sich auf mich geworfen, haben mich geschlagen und meine Mutter auf Russisch beleidigt", berichtet Lewin.

Er habe sich zwar den Arm gebrochen, "aber Gott hat mir das Leben gerettet", sagt der 38-Jährige. Am schlimmsten habe er es gefunden, dass die Bande ihn als "Shid" beschimpft habe. "Wenn mich in Russland jemand 'Shid' nennen würde, würde ich ihn schlagen. Wie kann das jemand in Israel tun?"

Shid ist ein russisches Schimpfwort für Jude, und Lewin ist nicht der einzige, der es ausgerechnet im jüdischen Staat mit Antisemiten zu tun bekommt, wie Salman Gilitschenski sagt. Der ultraorthodoxe Jude leitet das Dmir-Zentrum, das judenfeindliche Übergriffe und Angriffe im Auge hat und die Opfer unterstützt. Schon seit den 90er Jahren würden in Israel Angriffe auf Juden verübt, und in den meisten Fällen kämen die Täter aus den früheren Sowjetrepubliken, sagt Gilitschinski.

Dem israelischen Einwanderungsministerium zufolge ließen sich nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion in den frühen 90er Jahren mehr als eine Million Einwanderer in Israel nieder. Das israelische Gesetz räumt ihnen das Recht auf "Rückkehr" ein, weil sie selbst, ihre Eltern oder ihre Großeltern jüdisch sind, wie Gilitschinski sagt. Dabei würden sich mehr als 300.000 von ihnen selbst gar nicht als Juden betrachten.

Mehrere hundert Neonazis

In ihrer Heimat, den früheren Sowjetrepubliken, hätten diese Menschen ein schlechtes Bild von den Juden bekommen, denn dort sei der Antisemitismus besonders stark, sagt Gilitschinski. So lasse sich erklären, dass in fast jeder israelischen Stadt "ein paar Dutzend Judenfeinde" lebten. "Alles in allem gibt es in Israel mehrere hundert Neonazis."

Das Dmir-Zentrum verzeichnet im Jahr an die fünfhundert Zwischenfälle, wie der Leiter der Einrichtung sagt. Aber die israelischen Behörden schauten bei solchen Angriffen einfach weg. "Israel ist schnell damit bei der Hand, Judenfeindlichkeit im Ausland zu kritisieren. Zu Antisemitismus im eigenen Land sagt es nichts."

Tatsächlich nennen weder die Polizei noch die Justiz noch das Innenministerium Zahlen dazu. Im Falle von Lewin stellte die Polizei die Ermittlungen ein, ohne dass die Täter gefasst wurden - der Angriff auf den Rabbiner sei "ein Einzelfall".

Im israelischen Gesetz sei Antisemitismus nicht einmal verboten, sagt Gilitschinski - die Abgeordneten hätten sich früher nämlich gar nicht vorstellen können, dass es ausgerechnet im Staat der Juden dazu kommen könnte. "Wir haben nicht einmal die Möglichkeit, einen Zwischenfall in Israel als judenfeindlich zu definieren", sagt ein Mitarbeiter des Justizministeriums, der nicht namentlich genannt werden will. "Das fällt alles unter den allgemeinen Begriff Vandalismus."

Der bislang schlimmste Vorfall geht auf Mai 2005 zurück: Damals verwüsteten unbekannte Täter die Synagoge von Petah Tikwa, einem Vorort von Tel Aviv, und hinterließen judenfeindliche Schmierereien. Im gleichen Monat nahm die Polizei einen sowjetischstämmigen Soldaten fest, der ein Nazi-Zeichen in den Arm tätowiert hatte und sagte, er hasse Juden. Kurz darauf musste sich ein weiterer Soldat verantworten. Er hatte die erste Neonazi-Seite Israels ins Internet gestellt, die unter anderem einen Link zum Text von Adolf Hitlers "Mein Kampf" enthielt. Der Mann wurde zu 200 Stunden gemeinnütziger Arbeit verurteilt.

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