Anti-Stalking-Gesetz:Schatten und Licht

Seit einem Jahr ist das Anti-Stalking-Gesetz in Kraft. Während Politiker es loben, sehen Opfervertreter es kritisch.

Claudia Fromme

In Nördlingen ist ein Mann am Freitag zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden, der seiner Ex-Freundin in einem Monat 99 SMS, neun Briefe, Blumen und Schmuck geschickt hat und sie wie ein Schatten verfolgte. Reue zeigte der einschlägig vorbestrafte Mann nicht. In Rotenburg an der Wümme kam im vergangenen Juli ein Mann in Haft, der eine Frau, die er nie persönlich kennengelernt hatte, am Tag bis zu 30 Mal anrief und sie mit Liebesschwüren belästigte. Am Ende sprach der Täter davon, er wünsche sich, dass sie im Rollstuhl sitze und er sie dann pflegen könne. In Bad Homburg belästigt seit zwei Jahren ein 70-jähriger Mann seine 80-jährige Nachbarin, indem er an ihre Wohnungstür klopft, schreit und randaliert. Die Frau hat Anzeige erstattet.

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Wie besessen: manche Stalker rücken ihren Opfern ganz schön auf die Pelle.

(Foto: Foto: iStockphotos)

So unterschiedlich die Fälle sind, haben sie eines gemein: Sie kamen alle nach Paragraph 238 des Strafgesetzbuchs zur Anzeige. Vor einem Jahr ist das "Gesetz zur Strafbarkeit beharrlicher Nachstellung" in Kraft getreten; nach langem juristischen Gezerre wurde Stalking zum Straftatbestand. Wer durch Psychoterror das Leben anderer schwerwiegend beeinträchtigt, riskiert seit 31. März 2007 bis zu drei Jahre Haft, bei schweren Folgen bis hin zum Tod bis zu zehn. Dass solch ein Anti-Stalking-Gesetz nötig war, zeigt eine Studie des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit in Mannheim: Nach der werden zwölf Prozent der Bevölkerung einmal im Leben Opfer von Stalking. Bekannt werden meist nur Fälle prominenter Opfer, wie der von Jeannette Biedermann: Ein Autohändler überzog die Sängerin mit SMS und Mails. Am Ende stieg er in ihre Wohnung ein, legte sich in ihr Bett und ließ Rosen als Geschenk zurück.

Tausende Strafverfahren

Inzwischen sind Tausende Strafverfahren an deutschen Gerichten nach §238 eingeleitet worden. In Nordrhein-Westfalen führt die Kriminalstatistik für 2007 allein 4429 Anzeigen wegen Stalkings, in Berlin 1048, in Bayern 854, in Hamburg 418. Die Länder werten das als großen Erfolg. "Das Anti-Stalking-Gesetz ist Opferschutz, es setzt dem Täter das deutliche Signal: Dein Verhalten ist unerwünscht", sagte Nordrhein-Westfalens Innenminister Ingo Wolf (FDP) der Süddeutschen Zeitung. Früher habe die Polizei strafrechtlich gegen Täter nur vorgehen können, wenn Nötigung, Bedrohung, Hausfriedensbruch oder Körperverletzung vorlag. "Jetzt kann sie früher eingreifen."

Der Opferanwalt Volkmar von Pechstaedt teilt die Euphorie nicht: "Die Politik klopft sich auf die Schulter, dabei ist das Gesetz nur ein Papiertiger, der in der Praxis wirkungslos ist." Seit 2001 hat er etwa 4000 Opfer vertreten, nach dem neuen Gesetz 500. Nur in zwölf Fällen sei es überhaupt zu einem Strafbefehl oder einer Verurteilung gekommen - aber nicht wegen Nachstellung, sondern Körperverletzung, Bedrohung oder Nötigung. "Sinn des neuen Straftatbestandes war, dass man frühzeitig eingreifen kann - bevor Schlimmeres passiert", kritisiert Pechstaedt. Er sei zu eng gefasst, weil er eine "schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung" voraussetze. In der Praxis, so seine Erfahrung, werde das erst dann als zutreffend gesehen, wenn es bereits zu einer Körperverletzung oder sozialen Isolation gekommen sei. Dazu brauche man kein neues Gesetz, das sei durch bestehende Straftatbestände abgedeckt, sagt er. "Da dreht man sich im Kreis, denn es sollte erst gar nicht zur Körperverletzung kommen."

Zudem habe er die Erfahrung gemacht, dass die Würdigung des Stalkings bei Staatsanwälten und Richtern sehr unterschiedlich ist, kritisiert Pechstaedt. In Bremen oder Bayern habe man für Opfer ein offeneres Ohr als in NRW oder in Hamburg. "Es gibt immer noch Richter, die Stalking nicht ernst nehmen - Gesetz hin oder her." Das Gesetz schüre Hoffnungen, die enttäuscht würden, sagt der Anwalt. Fast immer müsse er seine Mandaten enttäuschen, 90 Prozent der Verfahren würden eingestellt, im Rest der Fälle kämen die Täter meist mit geringen Geldstrafen davon, ein paar hundert Euro seien da keine Seltenheit. Von der Möglichkeit, Stalker in Deeskalationshaft zu nehmen, werde fast nie Gebrauch gemacht, da die Voraussetzungen dafür zu hoch seien.

Der Weiße Ring sieht "manche Unzulänglichkeit", zieht aber "ein positives Fazit". Die Zahl hilfesuchender Stalkingopfer, die zu 80 Prozent Frauen sind, sei seit Inkrafttreten des Gesetzes "explosionsartig" gestiegen, sagt Veit Schiemann von der Opferschutzorganisation. "Sie fühlen sich ernster genommen, da der Missstand einen Namen und ein Gesetz dazu hat", sagt er. Wie es vorher aussah, zeige eine Studie des Weißen Rings mit der Technischen Universität Darmstadt. "69Prozent der befragten Stalkingopfer fühlten sich von der Polizei nicht ernst genommen", sagt Schiemann. "Passen Sie halt auf sich auf", sei eine typische Reaktion mit der viele auf der Wache konfrontiert würden, sagt Hans-Georg Voß, der seit Jahren Stalking an der TU erforscht. Das neue Gesetz könne dazu beitragen, die Einstellung zu ändern. In Deutschland gebe es großen Nachholbedarf im Umgang mit Stalking - bei den Strafverfolgungsbehörden wie bei der Gesellschaft allgemein. Ein britisches Opfer melde sich im Schnitt nach 21 Ereignissen wie Anrufe oder Auflauern bei der Polizei. In Deutschland geschehe es erst nach 50 Vorfällen.

Abschreckende Wirkung

Schreckt das Gesetz Stalker ab? Zwar lägen dazu noch keine Zahlen vor, Erfahrungen aus anderen Ländern aber zeigten, dass von ihm ein Warnsignal ausgehen könnte, sagt Stalkingforscher Voß. In Großbritannien sei die Zahl der Fälle um ein Drittel zurückgegangen seit Stalking unter Strafe stehe, was seit acht Jahren der Fall ist. Um den Erfolg des Gesetzes in Deutschland zu beurteilen, müsse man einige Jahre abwarten. Jetzt seien die Zahlen natürlich hoch, weil das Delikt erstmals erhoben wird. Das Gesetz schrecke manche ab - aber nicht alle. In 15 Prozent aller Fälle seien Täter, die zu 80 Prozent Ex-Partner sind, von Rache beseelt - die ließen sich nicht von einer Strafbewehrung beeindrucken, so Voß. Drei bis sechs Prozent seien psychisch krank, die sähen ihr Handeln gar nicht als Unrecht an. So wenig wie Mord und Diebstahl aus der Gesellschaft verschwinden werden, weil Strafen darauf stehen, so wenig ließen sich hartnäckige Stalker von welchem Gesetz auch immer von ihrer Tat abhalten.

Ein Fall in Hamburg zeigt das besonders krass: Knapp überlebt hat eine Frau, deren Stalker seit Dienstag vor Gericht steht. Fünf Jahre lang stellte der 48-Jährige der Krankengymnastin nach, deren Patient er war. Als er sie im Oktober trotz gerichtlichen Verbots ansprach und sie die Polizei rief, stach er blind vor Wut zu. Er muss sich wegen Mordversuchs verantworten. Sie habe ihm zuerst Avancen gemacht und ihn dann noch als Stalker bei der Polizei diffamiert, behauptete er vor Gericht. "Sie ist eine sehr clevere Person und eine 1-A-Schauspielerin", sagte er.

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