Bis vor Kurzem verlief die tägliche Ich-Aufführung noch nach relativ klaren Regeln. Im Internet hatte man gut auszusehen, Grimassen und andere Blödelfotos waren speziellen Anlässen wie dem Geburtstag oder der Fußball-WM vorbehalten. Doch immer, wenn man meint, die Welt verstanden zu haben, versteht man sie plötzlich nicht mehr.
Oder wie konnte es so weit kommen, dass diese Menschen im Internet plötzlich gar nicht mehr gut aussahen und mit pinkelnden Weihnachtsmännern, kotzendenden Rentieren oder "Jingle my bells"-Schriftzügen auf dem bunten Pulli das Haus verließen? Ganz einfach: Die Weihnachtszeit hatte begonnen, nur war sie nicht friedlich oder besinnlich, sondern: hässlich.
In den USA und Großbritannien ist das modische Anti-Statement des "Ugly Christmas" Usus, in den vergangenen Jahren ist dieser Wille zur Scheußlichkeit nun auch bei den eher beigefarbenen Deutschen angekommen.
Während Menschen mit hässlichen Strickklamotten in der Vorweihnachtszeit durch Boston, Washington D. C. und Seattle rannten und beim traditionellen "Ugly Sweater Run" Geld für einen wohltätigen Zweck sammelten, trafen sich am Freitag in Köln etwa 1500 Menschen, um auf einer "Ugly Sweater Party" gemeinsam schlecht auszusehen und dabei möglichst viel Anmut zu transportieren: Sehen wir nicht gut aus? Nein, sehen wir nicht.
Mesut Özil im Schneemann-Pulli
Wie so oft sind es auch hier die Stars und Sternchen, die den eigentlichen Fauxpas erst massentauglich machen. War der Elch-Pulli von Colin Firth in dem Film Bridget Jones (2001) noch ein Grund zum Lachen, ist rund um die hässlichen Scherzartikel eine wahre Industrie entstanden. In den USA wird am 18. Dezember nicht nur der "National Ugly Sweater Day" gefeiert, Onlineshops bieten auch alles, was man so braucht für den ironischen Bruch mit dem anständigen Weihnachtsfest: Rentier-Haarreifen, rot-weiße Ganzkörperanzüge oder einen Pullover, der Kim Kardashian zur modernen Weihnachtsfigur verklärt.
Als Mesut Özil dann vor ein paar Wochen mit Schneemann-Pulli durch die sozialen Netzwerke gereicht wurde, war klar: Die schönen Zeiten sind nun auch hierzulande vorbei. Der Onlinehändler Amazon etwa bietet drollige Tiermotive ebenso an wie anzügliche Pullover-Aufschriften, und auch so manche Massenmarke hat eine glitzernde Weihnachtskollektion herausgebracht, allerdings ohne anzugeben, ob das nun "ugly" oder "pretty" sein soll. Ist ja auch alles schwer auseinanderzuhalten.