Anschlag in Nizza:Und im Hintergrund glitzert das Meer

Anschlag in Nizza: Die Flaggen auf Halbmast, die Stadt voller Trauer: Nizza am Tag nach dem Attentat.

Die Flaggen auf Halbmast, die Stadt voller Trauer: Nizza am Tag nach dem Attentat.

(Foto: AFP)

In Nizza beginnt am 14. Juli normalerweise die Hochsaison. Stattdessen suchen die Menschen in der gelähmten Stadt nach einem Ort, an dem sie ihre Blumen niederlegen können.

Von Felix Hütten, Nizza

Nizza, Côte d'Azur, la Baie des Anges - die Bucht der Engel: Am 14. Juli, es ist der Nationalfeiertag Frankreichs, haben die Engel dieser Stadt, die von Luxus und Schönheit umgeben ist, den Rücken gekehrt. Seitdem am Abend ein Terrorist mit einem Lkw auf der Promenade des Anglais, der weltberühmten Strandpromenade, 84 Menschen in den Tod gerissen hat, ist Nizza gelähmt - wie sollte es anders sein. Am Tag danach ist der Strand abgesperrt, weiße Planen verdecken kilometerweit die Sicht auf das Meer. Durch die Stadt laufen Menschen mit Rosen. Sie wollen sie niederlegen, aber wo, wenn es keinen Ort gibt, zu dem man hingehen kann? Keinen Ort wie das Bataclan oder die Redaktion von Charlie Hebdo in Paris, wo der Horror eine Adresse bekommen hat.

Wer es trotz der vielen Polizisten bis runter zum Strand schafft, sieht noch Spuren des Terrors der Nacht. Zerknickte Ampelmasten und Glassplitter liegen umher, genau dort, wo einst Regenbogenfahnen wehten, als vor drei Jahren das erste homosexuelle Paar in Frankreich geheiratet hat. Vor dem Edelhotel Negresco stehen die Portiers weiterhin Spalier, nachdem dort gestern im Foyer die ersten Verletzten versorgt wurden. Die Gäste trauen sich nicht mehr aus dem Gebäude.

Vor der Absperrung, weiter die Straße hinauf, schweigen die Menschen, die Polizisten auch, sie schwitzen unter den Schusswesten, die Gurte der Maschinenpistolen schneiden in die Haut. Es war eine lange Nacht gestern, sagt ein Gendarm. Im Hintergrund glitzert das Meer. Und dann geht das Geschrei los, ein Mann regt sich furchtbar auf, brüllt die Polizisten an, doch endlich etwas zu unternehmen. Ihn stören die Menschen, die Fotos machen von den Blumen, vom blauen Meer, auf dem heute ausschließlich Militärboote patrouillieren. Die Luxusjachten der französischen Schickeria haben ihre Anker schon lange gezogen.

Fast jeder kennt irgendjemanden, der jemanden kennt, der tot ist

Eine Frau mit weißem Kleid und Sonnenbrille bricht schließlich in Tränen aus, als der Mann sich noch immer aufregt, sich vor ihr aufplustert und sie anbrüllt: Das hier sei keine Touristenattraktion, er habe Freunde verloren, wie alle hier. Die Frau schreit zurück, zwischen den Tränen verschwimmen die Worte. Als sie sich fasst, wird klar, dass sie da gewesen ist, gestern Abend mit ihren beiden Kindern, als der Lkw an ihr vorbeirauschte. Sie habe die Kinder, acht und zehn Jahre alt, an den Händen gepackt, und sei gelaufen, immer den Hügel hinauf, ohne Luft zu holen.

Die Stadt ist voll von Kamerateams und Reportern, die in Straßencafés das angeblich typisch französische Leben filmen und die Menschen fragen, wie es ihnen nun geht. Doch was sollen die Menschen schon antworten, außer, dass es furchtbar ist? Bei 84 Toten kennt fast jeder irgendjemanden, der jemanden kennt, der gestorben ist. Gestern, einfach so. Zerquetscht, unter einem Lkw, direkt am Meer.

Überhaupt das Meer.

Natürlich gibt es auch in Nizza Leute, die jetzt sagen: Da kommen sie her, die Attentäter. Mit dem Schiff von einem anderen Kontinent. Oft sind die Terroristen Franzosen, diesmal war der Angreifer, Mohamed Lahouaiej-Bouhlel, Tunesier.

Die hunderten Toten, darunter die Kinder, die in diesem Meer sterben, wenn sie sich auf den Weg nach Europa machen, sie sind nicht vergessen, sagt die Frau mit dem weißen Kleid, als ihre Tränen in der Mittagsglut getrocknet sind. Nur: Wie solle man ihnen helfen, wenn es eben Menschen mit afrikanischen oder arabischen Wurzeln sind, die heute hier morden? Den Unterschied zwischen Opfern und Tätern, sagt sie, bekommt doch kein Franzose mehr hin.

Der Taxifahrer will keine Araber mehr als Kunden

Tatsächlich. Die Taxifahrer in Nizza haben schwarze Schleifen an ihre Fahrzeuge gebunden und wenn man mit Albert, von Mittag bis Mitternacht im Dienst, Taxi fährt, dann sagt Albert, dass Araber ja immer das Rückgrat von Nizza waren, seine besten Kunden. Aber heute denkt er darüber nach, sie nicht mehr zu fahren.

Die Anschläge treffen also ins Herz einer Stadt, man hört das jetzt überall. Was das bedeutet, zeigt sich an Albert und an dunkelhäutigen Touristen, die womöglich schon bald vergeblich nach einem Taxi wedeln. Dabei war Nizza immer ein Touristenmagnet. Die weltberühmte Promenade des Anglais, wo jene 84 Menschen nun getötet wurden, hat ihren Namen von den Engländern, die einst von ihrer verregneten Insel nach Nizza flohen.

Dort ist es, dank der Halbkessellage, auch im Winter ganz gut auszuhalten. Das bringt Geld in die Stadt, Millionen. Und deshalb kennt Nizza, anders als Marseille, weniger soziale Spannungen. Der 14. Juli war als Tag des Anschlags auch deshalb besonders perfide, weil in Frankreich nun die Sommerferien anstehen. Halb Paris verweilt dann an der Bucht der Engel, die Feierlichkeiten zum Nationalfeiertag sind für gewöhnlich der Startschuss in diese freien Wochen am Strand. Ob aber die Pariser dieses Jahr kommen, wer weiß das heute? Jetzt essen in den Cafés vor allem Amerikaner und Briten, so schnell konnten und wollten sie nicht abreisen.

Einer von ihnen, er will seinen Namen nicht nennen, steht nun nahe eines dieser Cafés und sagt, der Lkw-Fahrer sei im Zickzack-Kurs durch die Menge gefahren, um möglichst viele Menschen zu treffen. Polizisten seien nebenher gerannt und hätten geschrien, aber von Geschrei hätten sich Terroristen noch nie aufhalten lassen. Und doch ist es kein Wunder, sagt der Mann, dass es nicht noch mehr Tote gibt. Was der Fahrer des Lkw nicht bedacht habe: Diese Promenade ist breit. Es gibt dort, heute muss man das so sagen, viel Platz zum Wegrennen. Am Tag nach dem Anschlag aber ist nicht mehr klar, wohin die Menschen hier noch rennen sollen.

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