Anschläge auf Möbelkette:Explosionsserie gibt Soko Ikea Rätsel auf

Ein Handy spielte eine Rolle beim Großalarm in einer Kieler Ikea-Filiale und bei der Explosion in Dresden: Nach mehreren Anschlägen auf die Möbelkette suchen die Ermittler noch immer nach einer Spur, vor vielen Filialen wachen nun private Sicherheitskräfte. Sie sollen genau hinsehen. Nur wohin? Ein Täterprofil gibt es bislang nicht.

Hans Leyendecker

Handys werden manchmal verlegt, mitunter rutschen sie aus Beuteln und Taschen; aber warum versteckt jemand sein Mobiltelefon in der Bettenabteilung von Ikea in Kiel? Der Fund eines auffällig unauffällig versteckten Apparats - eingewickelt in ein Schaffell und ohne Sim-Karte - löste am späten Mittwochnachmittag in dem Einrichtungshaus an der Förde Großalarm aus.

Anschläge auf Möbelkette: Wer steckt hinter den Sprengsätzen in Europas Ikea-Filialen?

Wer steckt hinter den Sprengsätzen in Europas Ikea-Filialen?

(Foto: Imago)

Weil bei einem Anschlag vorigen Freitag in der Dresdner Filiale des Konzerns ein Handy eine Rolle gespielt hatte, wurde jetzt auch das Warenhaus in Kiel komplett geräumt. Ein Kampfmittelräumtrupp der Polizei rückte an, nahm das Telefon in Augenschein - und konnte nichts Verdächtiges entdecken. Strafverfolger diskutierten danach ernsthaft, ob es sich um Störung der öffentlichen Ordnung durch Androhung von Straftaten handeln könne. Eher nein. Vorsicht, Furcht und Hysterie sind manchmal nur schwer voneinander zu trennen, und nachher ist man ohnehin meist schlauer.

Weil Ende Mai fast gleichzeitig in drei Ikea-Filialen in Belgien, Frankreich und den Niederlanden ähnlich gebaute Sprengsätze mit sehr schwacher Sprengkraft explodiert waren, die keinen nennenswerten Schaden anrichteten und weil danach am Freitagabend vor Pfingsten in der Küchenabteilung der Dresdner Filiale ein Mini-Sprengsatz hochging, ist das Management des Möbelhauses besorgt und warnt gleichzeitig vor Panik.

Seit Donnerstag patrouillieren vor den meisten europäischen Filialen des weltgrößten Möbelhauses private Sicherheitskräfte in Uniform. Die Kontrolleure sind angewiesen, genau hinzusehen. Aber wohin? Sie sollen Kunden und Personal das Gefühl von Sicherheit vermitteln und gleichzeitig einen möglichen Serientäter oder etwaige Nachahmer abschrecken.

Das sächsische Landeskriminalamt hat vor Pfingsten die zwanzigköpfige "Soko Ikea" gebildet, zu der auch ein Spezialist für operative Fallanalysen gehört. Solche Experten werden von Laien "Profiler" genannt, aber ein Profil des Täters gibt es noch längst nicht.

Ist der Verdächtige wirklich der Täter?

Weil sich ein Kunde zur Tatzeit sehr auffällig benommen haben soll, gilt er derzeit als verdächtig. Ein Phantombild wurde angefertigt, das am Mittwoch auch im Fernsehen gezeigt wurde und zu einigen Hinweisen führte. Auch haben die Kameras, die in Dresden an den Kassen sowie am Ein- und Ausgang angebracht sind, den Mann gefilmt, aber zu sehen ist nicht viel, weil er eine tief ins Gesicht gezogene Schirmmütze trug. Und ist der Verdächtige wirklich der Täter?

Mehrere Bekennerschreiben gingen Mitte der Woche per E-Mail ein, doch möglicherweise handelt es sich bei dem Autor oder den Autoren nur um einen Trittbrettfahrer. Echte Bekennerschreiben seien heutzutage eher selten geworden, meinen Polizei-Experten. Auch gibt es Anhaltspunkte dafür, dass die Anschläge von Ende Mai und der Anschlag in Dresden von Anfang Juni doch nicht dieselbe Handschrift haben.

Beim Bundeskriminalamt gibt es Fallstudien über diese seltsame Täterspezies. Die meisten der darin aufgeführten Fälle beziehen sich zwar auf sogenannte Produkterpresser (und in Dresden soll noch kein Erpresserschreiben vorliegen), aber Ableitungen sind durchaus möglich. Meist handelt es sich um Einzeltäter unterschiedlichster Berufsgruppen, fast immer um Männer, und gegen die meisten der gefassten Täter lagen zuvor keine kriminalpolizeilichen Erkenntnisse vor.

Der Leitende Kriminaldirektor Bernd Fuchs, Chefredakteur der angesehenen Fachzeitschrift Kriminalistik und Chef der Polizeidirektion Heidelberg, kann "zu Dresden nichts sagen", aber generell sei doch festzustellen, dass die "Motive sehr breit gefächert sein können".

Beispielsweise könne ein entlassener Mitarbeiter, der sich rächen wolle, als Täter ebenso in Frage kommen wie radikale Globalisierungskritiker, die multinational operierende Konzerne ins Visier nehmen wollten. Ikea war, ebenso wie andere Konzerne in den vergangenen Jahren, immer wieder mal das Ziel von Amateur-Bombern.

Jede Zeit hat ihre Moden: In den achtziger Jahren wurden häufig Anschläge auf Firmen verübt, die mit dem damaligen Apartheidstaat Südafrika zusammenarbeiteten. In den neunziger Jahren wurden Konzerne wie Daimler oder die Deutsche Bahn das Ziel von Erpressern.

Die meisten Täter wurden gefasst und zu hohen Haftstrafen verurteilt. Genaue Zahlen gibt es nicht, da einige Unternehmen offenbar aus Angst um den Ruf ihrer Produkte schweigen. Und dann gibt es noch die militanten Tierschützer, die allezeit mit Anschlägen auf sich aufmerksam machen wollen.

Spezialversicherer für Terrorakte

Als neue Bedrohung ist der Terrorismus hinzugekommen. Die Gründer der Terror-Bande Rote Armee Fraktion begannen mit einem Brandanschlag auf ein Kaufhaus und fanden viele Nachahmer. Dazu gehörte Ende des vorigen Jahrzehnts eine "Bewegung Morgenlicht", die in Hessen mehrere Brandanschläge verübte, und am Ende stellte sich heraus, dass das "revolutionäre Kommando", das Frankfurt in Atem und die Polizei in Trab gehalten hatte, aus einem Ein-Euro-Jobber bestand, der für sich das "Recht auf Widerstand" proklamiert hatte.

Die Terrorgefahr ist manchmal virulent und nicht existent zugleich. Als im Herbst 2010 in Deutschland angeblich gewaltige Terroranschläge drohten, warnten Beamte in Rheinland-Pfalz den damaligen SPD-Innenminister Karl Peter Bruch, bei Ikea sei samstags auch immer viel los. Was sollte er damit anfangen?

In Deutschland gründeten Assekuranzfirmen kurz nach dem 11. September 2001 einen Spezialversicherer namens Extremus Versicherungs- AG. Die Firma versichert Gebäude, Einrichtungen und Vorräte gegen Schäden im Fall von in Deutschland begangenen Terrorakten. Pro Unternehmen steht maximal eine Jahreshöchstentschädigung von 1,5 Milliarden Euro zur Verfügung. Im vergangenen Jahr waren hier rund 1300 Unternehmen versichert, darunter soll sich auch Ikea befinden. Die Anzahl der bisher von Extremus regulierten Fälle: null.

Wie geht man am besten mit Risiken um? Große Unternehmen haben bei Sicherheitsfirmen einschlägige Krisenpakete geordert. Das Führungspersonal wird auf den Ernstfall vorbereitet, Schwachstellen werden analysiert. Völlig auszuschließen ist nichts. Aber Daueralarm kann auch nervig werden.

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