Der Berliner Sven Marx ist seit 2009 schwerbehindert. Bei ihm wurde ein nicht operierbarer Tumor diagnostiziert, von einem Tag auf den anderen wurde er zum Pflegefall. Doch er kämpfte sich ins Leben zurück. Zwar fällt dem 49-Jährigen das Gehen nach wie vor schwer, doch auf dem Fahrrad fühlt er sich wohl. So wohl, dass er inzwischen 49 000 Kilometer zurückgelegt hat.
SZ: Herr Marx, Sie brechen an diesem Sonntag in Berlin mit dem Fahrrad zu einer 18 Monate dauernden Weltreise auf. Begleiten wird Sie Ihr Hirntumor.
Sven Marx: Der Tumor hält schon seit einer ganzen Weile still, mir fehlt das räumliche Sehen, aber damit kann ich leben. Genauso ist es mit meinem Hautkrebs, der gibt inzwischen seit fünf Jahren Ruhe.
Ein guter Zeitpunkt also, um jetzt loszufahren.
Ja, den Auftakt bildet eine große Veranstaltung am Brandenburger Tor. Mit Bands, Showacts, Infoständen und mit einem gemeinsamen Rennen von Rad- und Rollstuhlfahrern, an dem ich auch teilnehme. Einmal bis zur Siegessäule und zurück. Gut vier Kilometer sind das. Ich fahre dann anschließend noch ein bisschen weiter.
Wie ist Ihre Route?
Die erste Etappe führt bis in die estnische Hauptstadt Tallinn. Von da setze ich über nach Helsinki, dort besucht mich meine Frau. Bis zu meinem 50. Geburtstag am 12. Mai will ich am Nordkap sein. Danach geht es weiter nach Sankt Petersburg und Wladiwostok. Von da geht es mit dem Schiff rüber nach Japan und ich hoffe, dass mich dort jemand vom Königshaus empfängt. Während der ganzen Reise werde ich meine Inklusionsfackel dabei haben.
Vom Pflegefall zum Globetrotter:"Der Hirntumor ist eine Bombe, die jederzeit explodieren kann"
Sven Marx steht mitten im Leben, als bei ihm ein Tumor am Hirnstamm diagnostiziert wird. Mit 42 ist er halbseitig gelähmt - und kämpft sich auf dem Rad zurück ins Leben. Seine Weisheit? Gib das alte Leben auf!
Welche Inklusionsfackel?
Die hat mich schon zum Papst begleitet und besucht nun mit mir die deutschen Botschaften der Länder, die ich bereisen will.
Ein bisschen ähnlich wie eine Olympische Fackel.
Ja. Meine Reise soll Menschen mit ähnlichen Beeinträchtigungen Mut machen. Deshalb beteilige ich mich auch an dem Projekt "Inklusion braucht Aktion". Wir wollen die Inklusion stärker ins Bewusstsein rücken, Menschen mit und ohne Handicap zusammenbringen.
Wie kommen Sie von Japan weiter?
Über Vietnam, Laos, Thailand und Malaysia. Von Singapur fliege ich nach Australien und Neuseeland. Von dort geht es weiter in die USA, die ich durchqueren werde. Dann fliege ich nach Marokko, Portugal, Spanien, Frankreich, England und Holland. Nach 18 Monaten ist es dann nur noch ein kleines Stückchen nach Hause.
Hört sich gewaltig an. Wie viele Kilometer davon werden Sie auf dem Rad sitzen?
Das werden etwa 29 000 reine Fahrkilometer mit dem Rad.
Und das alles fast allein. Wieso?
Weil es die angenehmste Form zu reisen ist. Ich muss mich mit niemandem abstimmen und niemand muss sich auf mich einstellen. Ich fahre teilweise sieben Tage in der Woche zwölf bis vierzehn Stunden am Tag Fahrrad. Das ist anstrengend und dann will ich mich am Abend nicht noch darüber auseinandersetzen, ob es Fisch oder Pizza gibt oder ob man im Zelt oder im Hotel schläft. Die Kraft habe ich dann einfach nicht mehr, ohne mich zu streiten.
Sie könnten niemand als Begleitung akzeptieren?
Selbst mit meinem besten Freund wäre das nicht möglich. Höchstens mit meiner Frau. Wenn die mal einen blöden Spruch macht, dann weiß ich das zu nehmen. Allerdings hat meine Frau keine Lust zu so einer Tour.
Ihre Behinderung ist nicht sofort offensichtlich, hat das schon zu seltsamen Begegnungen geführt?
Ja, etwa in Sachsen-Anhalt, als ich gegenüber Polizisten erwähnte, dass ich behindert bin, wollten die mir sogar das Rad tragen. Oder in Warschau. Da bin ich wegen meines eigeschränkten Sehvermögens mal mit dem vollgeladenen Fahrrad die Treppe runter gepoltert und habe damit einen ziemlichen Aufruhr verursacht.
Ist das Fahrradfahren in abgelegenen Regionen nicht auch gefährlich?
Respekt habe ich vor giftigen Pflanzen. In Russland etwa gibt es ganze Wälder mit Riesen-Bärenklau, wenn man mit dieser Pflanzenart in Berührung kommt, wird es unangenehm. Vor Affen in Thailand nehme ich mich auch in Acht, da muss man alles anbinden. Aber eigentlich sind die Mitmenschen am gefährlichsten.
Welche denn?
Busfahrer, das sind die beklopptesten Typen auf der ganzen Welt. Vor ein paar Tagen in Berlin etwa hat mich einer so an die Wand gedrückt, dass ich fast gefallen bin. Ginge es mir darum, der Gefahr ins Auge zu blicken, müsste ich also gar nicht weit fahren.