Anklagen im Vatileaks-Skandal:Zweiter Mann im Rabennest

Der Kammerdiener des Papstes sei ganz allein verantwortlich für das Verschwinden vertraulicher Dokumente aus dem engsten Umfeld Benedikts, hieß es bislang immer aus dem Vatikan. Nun soll plötzlich ein zweiter Mann angeklagt werden. Sollten die Verschwörungstheoretiker am Ende doch recht behalten?

Ein "Eifersuchtskrieg" der Deutschen? Eine Verschwörung gegen den umstrittenen Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone? Oder die Tat eines psychisch kranken Mannes? Von gemäßigt bis haarsträubend sind die Spekulationen über die Hintergründe des Vatileaks-Skandals am Heiligen Stuhl. Von Raben ist die Rede, bisweilen von einem ganzen Nest der schwarzen Vögel. Einig scheinen sich die meisten Beobachter einzig in einem Punkt: Sie zweifeln daran, dass Paolo Gabriele allein dafür verantwortlich ist, dass vertrauliche Papiere aus dem Innersten des Kirchenstaats in die italienischen Medien gerieten.

-

Während in Rom weiter Verschwörungstheorien kursieren, empfängt Papst Benedikt XVI. Pilger auf dem Gelände seiner Sommerresidenz in Castelgandolfo.

(Foto: AFP)

Diese Theorie eines Einzeltäters wurde allerdings nachdrücklich von den vatikanischen Ermittlern vertreten. Bisher. Denn nun soll urplötzlich nicht nur Anklage gegen den langjährigen Kammerdiener und Vertrauten Benedikts Anklage erhoben werden, sondern auch gegen Claudio Sciarpelletti. Das teilte der Ermittlungsrichter Piero Bonnet am Montag mit.

Sciarpelletti arbeitete als Programmierer im Staatssekretariat, ist von dieser Aufgabe allerdings inzwischen entbunden. Nur wenige Stunden nachdem Gabriele, ein tiefgläubiger Mann und seit 2006 Kammerdiener des Papstes, am 23. Mai festgenommen worden war, wurde Sciarpelettis Büro durchsucht. Nach Angaben des Gerichts fanden Polizisten auf seinem Schreibtisch einen Briefumschlag mit vertraulichen Dokumenten; darauf soll sich der Name Gabrieles sowie ein Stempel des Staatssekretariats befunden haben.

Ermittlungen gegen weitere Verdächtige

Vatikan-Sprecher Federico Lombardi bemühte sich am Montag, die Aufregung um den zweiten Verdächtigen in der Enthüllungsaffäre zu dämpfen. Nach nur einer Nacht in einer Sicherheitszelle sei Sciarpeletti im Mai bereits wieder freigelassen worden, weil klar gewesen sei, dass er in der Affäre keine zentrale Rolle gespielt habe, sagte Lombardi. Demnach soll er auch nur wegen Beihilfe zum Diebstahl angeklagt werden.

Allerdings: Es gebe auch Ermittlungen gegen weitere Verdächtige, sagte Vatikansprecher Lombardi.

Im Vatileaks-Skandal geht es um die Weitergabe interner Papiere aus dem Vatikan an italienische Medien. Unter den veröffentlichten Unterlagen befanden sich unter anderem Dokumente zu einem angeblichen Mordkomplott gegen den Papst und zu umstrittenen Geschäften der Vatikan-Bank IOR.

Paolo Gabriele war am 23. Mai verhaftet worden, nachdem die Gendarmerie in seiner Wohnung zahlreiche vertrauliche Papiere sichergestellt hatte, die in dem wenige Tage zuvor veröffentlichten Buch "Sua Santità" des italienischen Journalisten Gianluigi Nuzzi abgebildet waren.

Nach einigen Wochen in einer Zelle wurde Gabriele in den Hausarrest entlassen und arbeitet nach Angaben der Ermittler inzwischen voll und ganz mit den Behörden zusammen. In einem Brief entschuldigte er sich bei Benedikt XVI. Gabriele habe aus rein persönlichen Gründen gehandelt, beteuerten seine Anwälte mehrfach. Er selbst gab als Motiv an, er habe den Eindruck gehabt, der Papst werde falsch informiert. Bei einer Verurteilung wegen schweren Diebstahls drohen ihm sechs bis acht Jahre Haft.

Über einen "Eifersuchtskrieg der Deutschen" spekulierte etwa Ende Juli das römische Blatt La Repubblica. Einigen Vatikan-Kennern zufolge richtet sich die Affäre vor allem gegen den Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone. Der 77-Jährige steht wegen zahlreicher Medien-Pannen in der Kritik - etwa im Zusammenhang mit dem Missbrauchsskandal oder dem Umgang mit dem Holocaust-Leugner Richard Williamson aus der erzkonservativen Piusbruderschaft. Der Papst hatte ein Gesuch Bertones auf Ruhestand vor zwei Jahren dennoch abgelehnt und sich hinter ihn gestellt.

Der Prozess gegen Gabriele und Sciarpelletti könnte im Oktober beginnen, das genaue Datum ist jedoch noch völlig offen.

Bislang nicht veröffentlicht wurde der Bericht der von Benedikt eingesetzten Kommission von Kardinälen, die die Hintergründe der Affäre untersucht hatten. Dem Papst lägen die Ergebnisse vor, er verfolge die weiteren Entwicklungen, sagte Lombardi.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: