Anklage im Fall Trayvon Martin:Amerika, aufgewühlt von einem Gerichtsprozess

George Zimmerman, the accused shooter in the death of Trayvon Martin, appears in Seminole circuit court, in Sanford

Der Angeklagte George Zimmerman vor Gericht in Sanford, Florida.

(Foto: REUTERS)

Schusswaffen, das Recht auf Selbstverteidigung, vor allem das Thema Rasse: Den Prozess nach dem Tod von Trayvon Martin hat Amerika am Rande der Besessenheit verfolgt. Der schwarze Gymnasiast war unbewaffnet, als er 2012 erschossen wurde. Nun wartet das Land gespannt auf das Urteil gegen den hellhäutigen Angeklagten - bei einem Freispruch werden bereits Unruhen befürchtet.

Von Nicolas Richter, Washington

Zwischenzeitlich kniete der Staatsanwalt auf dem Boden vor den Geschworenen und würgte eine Puppe aus Schaumstoff. "Kann ich ihre Puppe ausleihen?", bat der Verteidiger, bevor er selbst den Dummy misshandelte. Es waren die letzten Versuche, das nachzustellen, was sich am verregneten Abend des 26. Februar 2012 in Sanford, Florida ereignet hatte. Sie versuchten es mit allen Mitteln, mit Grafiken, Zeitleisten, Telefonmitschnitten, aber dieser Strafprozess, den Amerika wochenlang am Rande der Besessenheit verfolgt hat, er endet ohne Gewissheiten.

Der Angeklagte George Zimmerman, Mitglied einer Bürgerwehr, hatte in der Tatnacht in seinem umzäunten Wohnviertel einen unbekannten, verdächtigen Jungen bemerkt, der aus seiner Sicht Ärger machen wollte. Er folgte dem 17 Jahre alten schwarzen Schüler Trayvon Martin, der ihm bald entgegentrat. Es kam zu Handgreiflichkeiten, und am Ende schoss Zimmerman, damals 28 Jahre alt, seinem Gegner in die Brust. Trayvon Martin starb noch am Tatort. Er war nach Sanford gekommen, um die Freundin seines geschiedenen Vaters zu besuchen.

Wochenlang haben sie nun vor Gericht die Abläufe, die Motive und das Vorleben der Beteiligten zerlegt, ohne zu einem eindeutigen Ergebnis zu gelangen. Nun muss die Jury entscheiden: Ist Zimmerman im Sinne der Anklage eines Mordes schuldig, sind seine Motive also besonders verwerflich gewesen, oder handelte er bloß in Notwehr, um sich vor einem halbstarken Rabauken zu retten, der ihm während der Schlägerei die Nase gebrochen und mehrere Wunden am Hinterkopf zugefügt hatte?

"Hätte ich einen Sohn, dann sähe er aus wie Trayvon Martin"

Verdict watch in the trial of George Zimmerman for the shooting d

Vor dem Gerichtsgebäude in Sanford, Florida, ist die Stimmung gereizt. Demonstranten fordern "Gerechtigkeit für Trayvon". 

(Foto: dpa)

Der Prozess bietet alles, was so viele Amerikaner leidenschaftlich interessiert: Der Kampf der Guten gegen die Bösen, Segen und Fluch von Schusswaffen, das - in Florida besonders weitreichende - Recht auf Selbstverteidigung und dessen Grenzen. Vor allem aber das Thema, über das im Prozess kaum geredet wurde und das doch allgegenwärtig ist: Rasse. Zimmerman, Sohn eines deutschstämmigen, weißen Amerikaners und einer Latina. Und Trayvon Martin, der schwarze Junge mit dem Kapuzenpulli, von dem sich Zimmerman angeblich bedroht fühlte, obwohl Martin zunächst nur friedlich seines Weges ging, unbewaffnet, in der Tasche nur ein Päckchen der Süßigkeit "Skittles".

Die Jury wird versuchen müssen, scheinbar sachfremde Erwägungen wie Hautfarbe zu ignorieren. Aber letztlich wird das Urteil allein davon abhängen, welche Geschichte die Geschworenen mehr überzeugt hat: Die des Opfers Zimmerman, oder die des Täters Zimmerman. Es ist kaum auszuschließen, dass die Rasse der Beteiligten dabei eine Rolle spielt, und sei es nur im Unterbewussten.

"Er wird nie wieder in Sicherheit sein"

Die Geschworenen wissen, dass ihr Urteil - egal wie es lautet - draußen im Land enorme Wirkung entfalten wird. Viele schwarze Amerikaner hoffen auf ein deutliches Signal, dass die Justiz einschreitet, wenn ein friedlicher, minderjähriger schwarzer Junge erschossen wird. Falls Zimmerman freigesprochen wird, rechnen zumindest die Alarmisten im Kabelfernsehen mit Unruhen in der schwarzen Bevölkerung. Der Fall hat Amerikas Schwarze von Anfang an bewegt; Präsident Barack Obama sagte: "Hätte ich einen Sohn, dann sähe er aus wie Trayvon Martin."

Gegen Zimmerman spricht am Ende der Beweisaufnahme eine ganze Reihe von belastenden Indizien. Zunächst die Tatsache, dass er Martin überhaupt in einer regnerischen Nacht verfolgte, obwohl ihn die Polizei am Telefon ausdrücklich dazu aufgefordert hatte, dies nicht zu tun. In der Hitze des Gefechts dann soll er gesagt haben: "Fucking punks. Diese Arschlöcher kommen immer davon."

In seinem Schlussplädoyer beschrieb Staatsanwalt Bernie de la Rionda den Angeklagten Zimmerman als Möchtegern-Sheriff. Er hätte liebend gern eine Polizeimarke gehabt, und er habe sich nichts sehnlicher gewünscht, als von Polizisten respektiert zu werden. Er sei mit einer 9-Millimeter-Waffe und falschen Verdächtigungen durch sein Viertel gezogen. Schon zu Prozessbeginn betonte die Anklage: "Zimmerman hat Martin nicht erschossen, weil er musste. Sondern aus dem schlimmsten Grund, den es gibt: Weil er wollte."

Aber aus der Sicht etlicher Beobachter ist es der Staatsanwaltschaft nicht gelungen, zweifelsfrei zu beweisen, dass Zimmerman der Aggressor war. Umstritten ist zum Beispiel noch immer, wer beim Faustkampf über dem anderen kniete, wer die Oberhand hatte. Am Schluss ließ sogar die Staatsanwaltschaft die Möglichkeit zu, dass es Martin war, der über Zimmerman gebeugt war. Wenn aber auch nur ein vernünftiger Zweifel bleibt an Zimmermans Mordabsicht, muss die Jury ihn freisprechen. Das Gericht brachte am Ende noch die Möglichkeit ins Spiel, Zimmerman wegen Totschlags schuldig zu sprechen.

Kritiker merken an, dass die Staatsanwaltschaft von Anfang an auf Totschlag hätte plädieren sollen. Stattdessen habe sie sich aus politischen Gründen auf eine überehrgeizige Mord-Anklage eingelassen. Eine mildere Anklage wiederum hätte der Staatsanwaltschaft seitens der schwarzen Gemeinde den Vorwurf eingetragen, Zimmerman bloß deswegen zu schonen, weil sein Opfer schwarz war.

Die Polizei hatte den Fall zunächst eher zurückhaltend behandelt, auch Wochen nach der Tat hatte sie Zimmerman nicht festgenommen. Als Proteste aus der schwarzen Bevölkerung zunahmen und Verschwörungstheorien wucherten, wurde der verantwortliche Ermittler abgesetzt. Er hat im Prozess den Vorwurf erhoben, dass Härte gegen Zimmerman politisch gewünscht war.

Die Jury wollte am Freitag mit ihren Beratungen beginnen, nach dem Schlussplädoyer der Verteidigung. Wie auch immer der Prozess ausgeht: Zimmermans Verteidiger sieht seinen Mandanten schon jetzt als ewigen Gefangenen, der auch außerhalb des Gefängnisses dem dauerhaften Risiko der Vergeltung ausgesetzt sei. "Er wird nie wieder in Sicherheit sein."

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