Süddeutsche Zeitung

Anklage gegen Vater von getöteter Kurdin:Falsch verstandene Ehre

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Die Kinder sitzen schon in Haft, jetzt muss sich auch der Vater der getöteten Arzu Ö. vor Gericht verantworten. Der Vorwurf gegen ihn: Anstiftung zum Mord. Er soll seinen Kindern befohlen haben, die 18-Jährige zu töten, um die Ehre der Familie wieder herzustellen.

Von Annette Ramelsberger, Detmold

Fünf seiner zehn Kinder sitzen schon in Haft. Nun muss sich auch der Vater der Familie Ö. aus Detmold vor Gericht verantworten - wegen Anstiftung zum Mord und schwerer Körperverletzung. Fendi Ö. lebt seit mehr als 20 Jahren in Deutschland und er und seine Familie galten als bestens integriert. Doch dann verliebte sich die jüngste Tochter Arzu in einen Deutschen. Erst prügelte sie der Vater deswegen und sperrte sie ein. Dann entführten fünf ihrer Geschwister die 18 Jahre alte Arzu aus der Wohnung ihres Freundes und töteten sie mit aufgesetzten Schüssen in einem Waldstück.

Ein Sohn wurde wegen Mordes, zwei Geschwister wurden wegen Beihilfe zum Mord und zwei wegen Entführung zu teils langjährigen Haftstrafen verurteilt. Die fünf Geschwister nahmen alle Schuld auf sich, ihr Vater habe damit nichts zu tun, sagten sie bei dem Prozess im Frühjahr. Doch die Staatsanwaltschaft kann beweisen, dass in der Nacht der Entführung viele Gespräche zwischen den Handys der Entführer und der Wohnung des Vaters geführt wurden.

Die Staatsanwälte gehen davon aus, dass Vater Fendi seine erwachsenen Kinder angestiftet hat, Arzu zu töten - um die falsch verstandene Ehre der Familie zu retten. Denn bei der Glaubensgemeinschaft der Jesiden, zu denen die Familie Ö. gehört, sind Liebesbeziehungen außerhalb der jesidischen Gemeinde nicht erlaubt. Der Vater habe durch den Tod der Tochter den in der jesidischen Öffentlichkeit vermeintlich erlittenen Ehr- und Gesichtsverlust wiedergutmachen wollen, erklärt die Staatsanwaltschaft.

Fendi Ö. hatte bereits vor der Entführung seine Tochter mit der flachen Hand ins Gesicht geschlagen und sie mit einem massiven Holzstock verprügelt. Und die Mutter der Kinder, Adle Ö., stand daneben und unternahm nichts dagegen. Ein Fall von Körperverletzung durch Unterlassen, sagt die Staatsanwalt. Sie wollte auch die Mutter vor Gericht bringen, doch das lehnte das Landgericht Detmold ab. Die Frau habe "mit Rücksicht auf den kulturellen Hintergrund der Familie nach ihrem Status und ihrer Stellung keine reale Möglichkeit gehabt", ihren Ehemann und den gemeinsamen Sohn von der Misshandlung Arzus abzuhalten. Der Prozess beginnt Ende Januar.

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Quelle:
SZ vom 01.12.2012
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